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Mittwoch 15. Oktober 2008

Though this be madness, yet there is method in it (Hamlet)
William Shakespeare

 

Juristenpuzzle

JustitiaSelten, wirklich selten, kann es zu einer Situation kommen, in der Juristen nicht wirklich weiterkommen: Die Rede ist von echten Gesetzeslücken. Meist haben diese mit technischen Neuerungen zu tun. So gab es in alten Zeiten tatsächlich Diskussionen darüber, ob man Strom stehlen könne. Das Problem entzündete sich hauptsächlich an der Frage, ob Strom eine Sache ist. Der Laie staunt: Wer seinen Stromzähler überbrückt, erschleicht sich Leistung. Der Jurist runzelt die Stirn und sagt „Es kommt darauf an“… und damit wird es spannend.

Nun also das Internet, neue Technik und damit prädestiniert für zerbrochene Juristenköpfe und mitunter putzige Kapriolen:

  • Sind EMails Briefe? Sind sie es, unterliegen sie dem Briefgeheimnis. Sind sie es nicht, was sind sie dann – Faxe? Oder allgemeiner einfach Telekommunikation? Sind EMails Sachen? Wohl eher nicht! Wie lächerlich ist es dann, wenn im Abspann einer EMail steht, dass sie Eigentum des Absenders bleibt… Aber solche Abspanne („disclaimer„) sind ohnehin lächerlich: „Wehe Sie lesen das, wenn es nicht für Sie bestimmt ist“ etc. Muß man Logik studiert haben, um das als (unfreiwilligen) Scherz zu entlarven? Aber wieso sind es gerade die Disclaimer von Anwälten, in denen solch ein Unsinn steht?
  • Unterliegt ein VoIP-Telephongespräch dem Fernmeldegeheimnis? So abwegig ist die Überlegung nicht, sieht man sich die Entwicklung von VoIP an: Zuerst war da die EMail. Dann der Chat – Textmitteilungen, die nicht asynchron wie bei Mail verschickt werden, sondern typischerweise zwischen Menschen ausgetauscht werden, die gleichzeitig vor dem Rechner sitzen. Dann kam Voicemail, wieder asynchron, also gesprochene Emails. Heute ist meist profan der Anrufbeantworter damit gemeint, aber die Idee, via Chat-Programm nicht nur Texte, sondern auch beliebige Dateien, also auch Gesprochenes, auszutauschen, ist älter als der Name VoIP. Also wo bitte genau beginnt das Telephon­gespräch? Oder haben wir einen Fall für unscharfe Prädikate, einer schönen Anwendung der mehrwertigen Logik?
  • Ist eine EMail, die digital unterschrieben ist, aber nicht konform zum Signaturgesetz, unterschrieben? Wirkungsvoll? Wer darf das entscheiden, der Empfänger allein? Oder muss es zu einer Übereinkunft Sender-Empfänger gekommen sein? Absurd? Nicht wirklich – zum Nachweis von Betriebsausgaben genügt die Vorlage einer Rechnung. Die kann auch per EMail ins Haus geflattert sein. Nur wenn man auch die Umsatzsteuer wiederhaben will, kommt es auf einmal darauf an, dass diese Rechnung unterschrieben ist. Und zwar nicht mit irgendeiner Norm, GPG dürfte die bekannteste sein, nein, es muss das deutsche Signaturgesetz sein. Was wiederum bedeutet, dass viele Unternehmen Eingangsrechnungen einfach ausdrucken. Jetzt gelten sie wieder. Nun ja, nicht wirklich, aber man kann sie nicht mehr unterscheiden von gültigen Papierrechnungen. Die auch gefaxt werden dürfen. Es spielt also eine Rolle, in welcher Reihenfolge die Tätigkeiten ausgeübt werden: „Ausdrucken, schicken, abheften“ oder „Schicken, ausdrucken, abheften“. Was aber sicher geht: „Schicken, ausdrucken, zurückschicken, wieder zurückschicken, abheften“. Abstrus.
  • Ist eine Domain (irgendeinname.de) eine Sache? Zum Beispiel im Sinne von etwas, das man pfänden kann? Da bin ich nicht auf dem laufenden, da ich mich nach fünfzehn Jahren Diskussionen eben gerade ein paar Wochen nicht damit beschäftigt habe.
  • Wer haftet im Netz für Inhalte? Was passiert, wenn jemand in einem Land etwas macht, was dort erlaubt, hier aber verboten ist – macht der sich hier strafbar? Etwa sogar, ohne es zu wissen? Verkauft ein Pole einem Amerikaner eine deutsche Reichskriegsflagge via bebilderter Anzeige im Internet, so ist das in den USA legal und in Polen auch. Da man die Bilder aber auch in Deutschland anschauen kann – hier ist es verboten, eine Reichskriegsflagge abzubilden – sollte sich der Pole hüten, seinen nächsten Frankreichurlaub mit der Eisenbahn oder dem Auto anzutreten. Völlig überspitzt? Das dürfte der Chef von XS4ALL anders sehen. XS4ALL ist ein holländischer Provider. Auf dessen Servern lag die radikale und hier nicht weiter diskutierte Zeitung „radikal“, aber, und das halten wir fest, legal nach holländischem Recht. Die Bundesanwaltschaft forderte den Holländer auf, die Seiten zu entfernen, widrigenfalls er mit seiner Verhaftung rechnen müsse. Da wir uns schlecht leisten können, schon wieder in Holland einzumarschieren, kann sie nur gemeint haben, sie werde ihn verhaften lassen, sobald er deutschen Boden betrete.
  • Und zuguterletzt: Der WLAN-Zugang zum Internet. Ist es strafbar, sich in ein ungeschütztes Netz einzuklinken? Und: Ist es strafbar, ein solches zu betreiben? Oder nur fahrlässig? Wer haftet überhaupt für die Nutzung eines Internetzugangs, der Nutzer oder der Betreiber? Oder der Provider?

Diese Fragen im Zusammenhang mit WLAN-Zugängen sind mit Sicherheit noch nicht abschließend beantwortet. Wie wird man jemanden beurteilen, der ein Gerät mit sich führt, das ihm automatisch alle offenen Netze der Umgebung zeigt und sich dort einwählt? Ist das strafbar? Nun, mindestens ein Richter (Fundstelle taz, siehe unten) erkennt darin das Ausspähen von Daten. Wie bitte? Auflösung: Der WLAN-Router (i.e. das „Kasterl, das ein Endgerät ins Netz aufnimmt und mit dem Internet und dem Internen Netz verbindet) gibt dem Eindringling ja eine Adresse. Aus dem internen Adresspool. Intern. Na also. Man hofft, dass alle Gerichte so restriktiv mit schützenswerten Daten umgehen, denn, was da ausgespäht wird, schaut höchstwahrscheinlich so aus:

192.168.0.3

Sehr schützenswert. Und wie sieht es mit diesem Gerät aus, das die Zugänge ausspioniert? Wer so ein Gerät hat, kann seine üblen Absichten doch kaum verleugnen. Ich habe so ein Gerät. Der Volksmund nennt es Handy. Ein Glück, dass man mit etwas Sachverstand dafür sorgen kann, dass das Handy die Sucherei unterläßt. Gut, telephoniert man eben auch zuhause teuer über GSM, aber noch besser als schwedische Gardinen. Die ihren Namen übrigens simplerweise von der schwedischen Stahlindustrie haben, das hätten auch Krupp-Gardinen sein können.

An den Haaren herbeigezogen? Nun, in der taz liest man dazu eine auffällige Geschichte

Denkbar sei, dass der Mann einen Internetzugang nutzen wollte, ohne dafür zu bezahlen. Es werde ebenfalls geprüft, ob der Mann „Daten ausgespäht“ oder mit seiner „Funkanlage“ Nachrichten abgehört habe – so heißt es im Juristendeutsch in den Paragraphen aus insgesamt drei Gesetzen, die für das W-Lan-Surfen in Frage kommen.
(…) Bekannt geworden ist in Fachkreisen ein Wuppertaler Richterspruch: Der Richter verwarnte im Jahr 2007 einen Schwarzsurfer – und zog dessen Laptop als „Tatwerkzeug“ ein. Der Mann habe vom Router eine IP-Adresse zugewiesen bekommen, urteilte das Gericht – das sei unbefugtes Abhören personenbezogener Daten.

Immerhin werden Leute festgenommen und Laptops „eingezogen“ – das ist de facto eine Strafe im vierstelligen Bereich. Aber wie sieht es mit der Gegenseite aus? Haben wir nicht gelernt, dass ein Grundstück ohne Zaun und ein Haus mit offener Eingangstür einen Einbruch unmöglich macht, da es nichts gibt, in was man einbrechen könnte? Und wenn nun jemand im Haus steht und jedem Neuankömmling zuruft „Dich nenn ich jetzt Gast_001“ (den nächsten 002 etc.) – ist das dann wirklich Ausspähen? Ist nicht vielmehr der, der seinen Besitz so nachlässig sichert, der Übeltäter? Darüber gibt es bereits einen Artikel von Netzheimer, dem nichts hinzuzufügen ist.

Somit ist die Lösung klar: Die Provider sind natürlich schuld. Wie das kommen wird, weiss ich noch nicht, aber wer aus Gras Bäume machen kann, kann auch aus elektromagnetischen Schwingungen Sachen machen:

Bambus

Ein Grundstückseigentümer hatte die Bambussträucher auf eine Höhe von fünf Metern wachsen lassen, ohne sich um den Grenzabstand zu bekümmern. Der Nachbar hatte daraufhin gefordert, das Gewächs auf eine Höhe von 1.80 m zurück zuschneiden. Obwohl es sich bei Bambus aus botanischer Sicht  um ein Grasgewächs handle, ist es juristisch nach Auffassung des Gerichts als Gehölz einzuordnen, welches unter das Nachbarschaftsgesetz falle. Entscheidend sei, dass Bambus auch Stämme bilde.

 

Ein Kommentar zu “Juristenpuzzle”

  1. SvB-Blog » Blogarchiv » Drahtlose Spitzfindigkeit sagt:

    […] seien.” Wobei man mit der Nutzung offener WLANs durchaus anderen Ärger bekommen kann, wie hier zu lesen […]

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