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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Freitag 10. April 2009

Der Vorteil der Klugheit liegt darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger.
Kurt Tucholsky

 

Mütter der Klamotte

Wer vergnügungssüchtig ist, will manchmal doch wissen, wie die meist nur höchst indirekt vom Volk gewählten Damen und Herren Volksvertreter agieren, was sie sagen, was sie denken. Besonders geeignet sind Debatten über Themen, zu denen man selbst etwas beitragen kann. Daher also mein Interesse für die Debatte im Deutschen Bundestag, 16. Wahlperiode, 214. Sitzung, in Berlin, am  Donnerstag, den 26. März 2009 (PDF, ab Seite 23.162). Unter anderem widmete man sich der Diskussion um die Kinder­porno­graphie im Internet. Darüber wurde hier genug geschrieben. Daher geht es heute an dieser Stelle nicht um die Sache, sondern um die Methode. Wie wurde diskutiert?

Auffällig vor allem die verbalen Entgleisungen. Aus Mangel an rationalen Argumenten verfielen einige darauf, eben die Ratio verächtlich zu machen. Wer nicht mitmacht, ist ein Bedenkenträger. Wie er­bärm­lich. Das soll die Lösung sein? Anstatt zu überlegen einfach spontan ins Blaue regieren? Be­denken­losig­keit als Dogma? Keine Vorsicht, keine Rücksicht, einfach drauf los? Sehen wir uns die Rede­bei­spiele an:

bild-1Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):

(…) Nach dieser Tat des Herrn Ziercke, die begrüßenswert ist, gab es zweitens eine quälende Diskussion bei uns Innenpolitikern aller Seiten über den Umgang mit Reichsbedenkenträgern, die sagten, das sei technisch und rechtlich nicht möglich. Dann wurden die entsprechenden Artikel aufgezählt. Es geschah nichts.

Reichsbedenkenträger? Das denke ich mir nicht aus. Das hat der gesagt! Wenn etwas rechtlich nicht geht, muss man die Gesetze ändern oder es einsehen. Wenn etwas technisch nicht geht, muss man etwas erfinden oder es einsehen. Wenn etwas sinnlos ist, muss man sich etwas anderes ausdenken. Und solange, wie man hier hört, hauptsächlich über den Umgang mit denen gesprochen wird, die noch denken, wundert es niemand, dass keine Lösung gefunden wird.

nollSpäter kam Michaela Noll (CDU/CSU):

Vielleicht kennen Sie den Spruch „Wer ein Ziel verfolgt, sucht Wege; wer blockieren will, sucht Gründe.“ Was wir von den Bedenkenträgern heute wieder gehört haben, ist für die Kinder mehr als unangenehm.

Ich habe eher den Verdacht, dass es unangenehm für diejenigen war, die nicht hören wollten, dass sie im Moment versagen. In diesem Moment. Da hilft die Verharmlosung von Verbrechen an Kindern auch nicht mehr („unangenehm„? Sie redet von Verbrechen an Kindern!). Wer ernsthaft einen Weg sucht, wird jedenfalls nicht stur in die falsche Richtung rennen. Weiter unten geht es weiter, immer noch Frau Noll:

Werden nur illegale Inhalte gesperrt? Manche Leute befürchten ja, wir würden nicht nur das sperren. Ich erlaube mir die Antwort der Länder gegenüber Interpol auf die Frage, was die Länder gemacht haben, die diese Sperre eingeführt haben, wiederzugeben. Sie haben ausdrücklich gesagt: Es wird nichts anderes gesperrt. Wer die Eckpunkte gelesen hat, die im Gesetzentwurf stehen, weiß, dass dort wortwörtlich steht: Es ist sichergestellt, dass keine legalen Angebote auf die Liste gelangen. Also, bitte schön, Bedenkenträger, dies kommt nicht zum Tragen!

Wer bis dahin noch keine Bedenken hatte, der bekommt sie jetzt. Was in anderen Ländern passiert, konnte man unserer freien Presse entnehmen. Oder hier lesen. Aber so feine „Eckpunkte“ im Ge­setzes­ent­wurf hatten die im Ausland halt nicht: Es kann nicht schief­gehen, weil es da steht. Oh je.

baerNun das Finale furioso,  Dorothee Bär (CDU/CSU):

Denn die heutige Debatte hat deutlich gezeigt – da tun Sie, Frau von der Leyen, mir fast ein bisschen leid –, mit welchen Bedenkenträgern Sie sich über Monate rumschlagen mussten. Ich konnte im Vorfeld nicht glauben, dass bei diesem Thema so viele Bedenkenträger nicht nur draußen, sondern auch in diesem Hause unter uns sind. Das war teilweise sehr beschämend. Frau Gradistanac, es war einfach peinlich und unmöglich, diejenige anzugreifen, nämlich die Bundesministerin von der Leyen, die sich seit Monaten als Einzige gegen die Neinsager, gegen die Abersager, gegen alle Bedenkenträger durchgesetzt hat.

Respekt. Wie oft kann man Bedenkenträger hintereinander sagen? Es fällt auf, dass in dieser Debatte alle Bedenkenlosigkeit aus der CDU/CSU kam. Heisst das, die SPD agiert klüger? Sehen wir uns einen Zwischenruf an: Es spricht wieder jener Dr. Uhl, das ist der mit den „Reichsbedenkenträgern“. Er sagt:

Meine Damen und Herren, bitte erinnern Sie sich an die Väter des Grundgesetzes.

Da ruft Caren Marks [SPD] dazwischen:

Es gab auch Mütter!

Er fährt ungerührt fort:

Stellen Sie sich einmal vor, die Väter (Caren Marks: Und Mütter!) des Grundgesetzes hätten diese Taten im Fernsehen bei der Abfassung des Art. 5 des Grundgesetzes gesehen und hätten dann gesagt: Wir wollen, dass dies unter Kunstfreiheit fällt.

Erschütternd. Die Gute war wohl nicht bei der Sache! Da redet der Reichsbedenkenträgerverunglimpfer davon, es ginge darum, ob Kinderpornographie unter Kunstfreiheit fiele. Und er ist bereits so wirr, dass er vergißt, dass es um Internet ging, er redet längst von Fernsehen. Um Gottes Willen. Und Frau Marks? Ist sie eine Bedenkenträgerin? Nein, sie hat nur Angst, es könnte jemand verkennen, dass es auch früher schon Frauen gegeben hat. Und alle miteinander, so ist zumindest zu befürchten, sehen eines nicht:

Bedenken kommt von DENKEN.

Bildquellen: www.abgeordnetenwatch.de

 

9 Kommentare zu “Mütter der Klamotte”

  1. agc sagt:

    Die Vorsilbe „be“ hat der Teufel erfunden: Wie sie bei „treu“ [Ich bin treu: Wem?] eine wichtige Beziehung entwertet [Ich betreue: Wen?], so macht sie aus „denken“ [lat: cogitare] das oberflächliche „bedenken“ [lat: deliberare, considerare]. Die Verbindung mit „Träger“ zu einem Instrument der primitiven Verunglimpfung Andersdenkender ist – kein Wunder – neueren Datums. In dem erwähnten Protokoll (Danke für die Anregung, verehrter Autor!) findet sich „denken“ 31 Mal mit der Vorsilbe „be“, 14 Mal ohne Vorsilbe, achtmal mit der Vorsilbe „nach“, fünfmal mit „um“, viermal mit „über“ und nur einmal mit „mit“. Umgekehrt wäre es eher im Sinne derjenigen, die es unternommen hatten, sich das Grundgesetz auszudenken.

  2. mein-parteibuch.com » Deutsches Reich auf dem Weg in den offenen Faschismus sagt:

    […] Hans-Peter Uhl (CSU) gerade im Reichstag politische Gegner seiner Zensurvorstellungen unter anderem als “Reichsbedenkenträger” beschimpfte? So sieht kein schleichender Weg in den Faschismus aus, so sieht das aus, wenn eine Demokratur in […]

  3. Deutsches Reich auf dem Weg in den offenen Faschismus >> Danke, Faschismus, Schließlich, Geld, Uschi-Filter, Reichstag, Parteibuch, Sabotage >> Womblog [Worte oder mehr] sagt:

    […] Hans-Peter Uhl (CSU) gerade im Reichstag politische Gegner seiner Zensurvorstellungen unter anderem als “Reichsbedenkenträger” beschimpfte? So sieht kein schleichender Weg in den Faschismus aus, so sieht das aus, wenn eine Demokratur in […]

  4. SvB-Blog » Blogarchiv » Der Bock als Gärtner sagt:

    […] Mütter der Klamotte […]

  5. some about bald auf dem Index? at some about… sagt:

    […] S-v-B-Blog: Mütter der Klamotte (über die verbalen Entgleisungen der Zensur-Befürworter) […]

  6. dogma pillenknick » bald auf dem index? sagt:

    […] S-v-B-Blog: Mütter der Klamotte (über die verbalen Entgleisungen der Zensur-Befürworter) […]

  7. Hugelgupf » Blog Archive » Linksammlung: Kinderpornographie-Diskussion in Deutschland [UPDATE 24.4.09] sagt:

    […] SvB-Blog – Mütter der Klamotte […]

  8. SvB-Blog » Blogarchiv » Wie steht’s um unsere Demokratie? sagt:

    […] meine Meinung, so denke ich, bereits deutlich kundgetan (16.2., 26.3., 27.3., 28.3., 29.3., 1.4., 10.4., 11.4., 18.4., 19.4., 28.4., 16.5., 9.5., 18.5.). Eigentlich reicht es doch irgendwann. Aber es […]

  9. bald auf dem index? « Hendryk Schäfer sagt:

    […] S-v-B-Blog: Mütter der Klamotte (über die verbalen Entgleisungen der Zensur-Befürworter) […]

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