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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Mittwoch 22. Juli 2009

Mit dem Bezahlen verplempert man das meiste Geld.
Wilhelm Busch

 

Schwarzfahrer

underGäbe es keinen öffentlichen Personennahverkehr, also unsere Busse und Trambahnen, U- und S-Bahnen, würde der Verkehr völlig zusammenbrechen. Und obwohl alle ÖPNV-Systeme ordentlich Geld kosten, so arbeitet in Deutschland keines kostendeckend. Öffentliche Zuschüsse sind nötig. Das liegt auch an den Schwarzfahrern, wenn man die Erfolgsquote bei Kontrollen mal vorsichtig hochrechnet. Bei jeder Kontrolle wird in jedem Waggon ein Schwarzfahrer geschnappt. Das deckt sich auch mit den Statistiken der Berliner Verkehrsgesellschaft BVG. Nach deren Angaben liegt die Schwarzfahrerquote bei 3,5 – 3,8 Prozent (Quelle: Tagesspiegel).

Nun ist Schwarzfahren kein Verbrechen, man kann, wie ich aus eigener Erfahrung weiss, durchaus auch einmal Opfer der eigenen Zerstreutheit werden. Monatskarte abgelaufen, Streifenkarte wieder einmal einer Preiserhöhung zum Opfer gefallen, Karte gekauft, aber nicht entwertet (in München muss man in der Trambahn nicht entwerten, in der U-Bahn sehr wohl). Obwohl ich also eigentlich nicht ungern mit den Öffentlichen fahren würde, erschrecke ich jedesmal, wenn das bekannte Näseln ertönt „Diiiiiiiiiieeeeeeee Fahrausweise biddä“. Das führt im Lauf der Zeit dazu, daß ich mich heute wo es geht individuell fortbewege.

Aber auch wenn Schwarzfahren kein Verbrechen ist, man kann ins Gefängnis gehen. Dazu gehört eine gewisse Wurstigkeit, oder sogar Vorsatz. Der erwischte Schwarzfahrer bezahlt nicht das sogenannte „erhöhte Beförderungsgeld“. Dafür geht die Sache vor Gericht, eine Geldstrafe ist drin, soundsoviel Tagessätze für das „Erschleichen einer Leistung“. Die Tagessätze werden bisweilen nicht bezahlt, also Haft. Und so kommt es, daß man vergangenes Wochenende der Presse entnehmen konnte, dass sage und schreibe ein Drittel der Insassen des Berliner Gefängnisses Plötzensee wegen Schwarzfahrerei einsäßen.

Skandal!

Fassungslosigkeit, auch in den Kommentaren. Ganz klar ein Skandal! Aber hier endet bereits die Einmütigkeit. Was genau ist nun der Skandal? Dass der Staat „maßlos“ sei, wenn er das Schwarzfahren mit Gefängnis bestrafe? Dass die Berliner Leute, die 10 Euro Tagessatz nicht zahlen wollen oder können inhaftieren? Dass sie aber dafür 80 Euro pro Tag und Häftling ausgeben? Sie, das heißt also die Berliner Steuerzahler und damit die ganze in Sippenhaft genommene Republik, also auch wir.

Oder ist der Skandal, daß man doch machtlos scheint gegen Totalverweigerer? Wie behandelt man Menschen, denen aus welchen Gründen auch immer das Gespür für ein Miteinander abhanden gekommen ist? Und ist nicht der eigentliche Skandal, dass es doch so viele Leute gibt, die immer noch kichern, wenn sie das Wort „Erschleichen“ nur hören? Man könnte die Leute zum Arbeiten zwingen. Man sollte es halt nicht gleich Arbeitslager nennen, wie wäre es mit Resozialisierungscamp? RTL stünde gegen eine kleine Drehgenehmigung vielleicht als Sponsor zur Verfügung.

Oder besteht der Skandal einfach darin, dass wir nicht längst Nulltarif für öffentliche Verkehrsmittel eingeführt haben und damit elegant die Schwarzfahrerei abgeschafft?

Lösung

Dabei ist es alles nicht so schwer. Keine Gesellschaft darf hinnehmen, dass gemeinsame Regeln willkürlich gebrochen werden. Ja, die Bürger haben ein Recht darauf, daß nicht mit zweierlei Maß gemessen wird. Bei wem nichts zu holen ist, der darf das nicht als Freibrief für schlechtes Benehmen werten. Quasi als Ersatz für finanzielle Freiheit die Freiheit von der Norm? Regel muß man abschaffen oder man setzt sie durch. Die Regel abschaffen hieße hier Nulltarif. Wie wäre es, wenn Busse und Bahnen nichts mehr kosten würden? Leider steht zu befürchten, daß dann der ÖPNV als wertlos angesehen würde. Was nichts kostet ist nichts wert. Und an ein wirtschaftliches Handeln bei den Betreibern wäre auch nicht mehr zu denken, das hieße also, den ganzen ÖPNV unter öffentlicher Verwaltung betreiben zu müssen. Vielleicht geht da ein Mittelweg: Der Absatz von Jahreskarten oder Monatskarten ließe sich sicher fördern, würde man diese an diverse andere Dinge anknüpfen. Das bedeutet im einzelnen, Monatskarten für alle Haushalte, in denen KfZ-Steuer bezahlt wird, Monatskarten für Schüler, Studenten, Lehrlinge, Umschüler, Senioren. Und auch Monatskarten für sozial Schwache – das aber bitte nicht wie heute in bar, sondern in Naturalien. Vermutlich die Mehrzahl der einsitzenden Schwarzfahrer von Plötzensee hat nämlich sehr wohl eine Monatskarte finanziert bekommen – im Warenkorb der Sozialhilfe ist sie ja vorgesehen.

Plakat_Bayern_loswerdenDas löst nun das Problem mit den Schwarzfahrern, nicht jedoch das eigentliche Problem des zunehmenden Abdriftens gewisser Bevölkerungsteile. An dem Preis allein für einen Fahrschein wird es ja eigentlich nicht liegen!

Ideallösung?

Die Bayernpartei wäre anders an die Sache gegangen. Schließlich haben sie seit neuestem ihre Linie wiedergefunden: Für ein Deutschland ohne Bayern. Das plakatieren sie natürlich außerhalb Bayerns. Das Grinsen mag mir nicht aus dem Gesicht verschwinden, denn so löst sich das Problem mit den Berlinern Schwarzfahrern aus bayerischer Sicht auch, es wird zum PAL, zum

Problem anderer Leute

Bildquelle: Elektrische-Plauen; Bayernpartei

 

Ein Kommentar zu “Schwarzfahrer”

  1. gedankenverbrecher sagt:

    Sozialhilfe? In welchem Jahrtausend lebst Du? 😉

    Nein im Ernst: sog. ÖPNV Pauschalen haben mit ‚eine Monatskarte finanzieren‘ nichts zu tun. Meine Monatskarte kostet 15% von H-IV (der angesetzte Betrag liegt ohne das jetzt extra nachzusehen wenn ich mich nicht irre irgendwo bei 5 Euro, also eher 1.5%) – und für tatsächlich vollständige Mobilität (und dabei meine ich jetzt mal sogar nur die im Stadtgebiet) reicht auch die noch lange nicht. Gut, ‚Hr.‘ Sarrazin würde wohl meinen ich hätte mich nicht zu bewegen, nicht ohne gleichzeitig zu meinen ich könne mich so doch wie ein König bewegen, und 290 Euro wäre darüberhinaus doch ein fürstliches Unterhaltsbudget (als Münchner muss man da wohl gleich doppelt so zynisch werden als z.b. als Berliner – für eventuelle Auswärtige: 2-Zimmer, 52qm, insgesamt eher bescheidenes Setting: 940 Euro pro Monat. Kalt.).
    Es ist sicher nicht grundlos so, dass eben kein Freifahrtsschein zu Hartz-iv gehört. Jeder Posten mit dem man dieses Verbrechen in altbekannter statistischer Manier besserfärben kann ist da einfach wichtig. Man kann sich in dem Kontext auch den Terz hierzulande um das sog. ‚Sozialticket‘ ansehen. Das sollte eventuelle Illusionen dass die entscheidenden Institutionen sich um eine sozial gerechte Lösung bemühen schnell verschwinden lassen…

    ‚Was nix kost is nix‘ ist übrigens ein versteckter Non sequitur. Es sagt letztendlich nur aus, dass man die objektive Bewertung verlassen möchte um sie durch irgendwelche irrationalen, vermutlich dogmatischen, ‚Gründe‘ zu ersetzen.

    Wenn Du mich fragst ist der MVV – oder ist das die MVG? – durchaus nix. Naja, wenig. Konkret: minderleistend. Da hilft auch dass der richtig teuer ist nichts. Insgesamt macht er den Eindruck einer Misswirtschaft in öffentlichwirtschaftlichem Aussmass. Mal die lange Reihe skandalöser Vorgänge aussen vor gelassen um nur kurz beispielhaft die Leistung zu betrachten: allein auf meinen regelmässigen Strecken fallen öfter mal einfach so Fahrten aus, und auch sonst ist dem Fahrplan bestenfalls ein vermuteter Richtwert des Fahrtintervalls zu entnehmen. Die gern mal 5-minütige (ohne Anspruch darauf dass das irgendwie einen Maximalwert darstellen würde) Anzeige ‚1 min.‘ der tollen und sicher sündhaft überteuerten Anzeigetafeln ist mittlerweile wohl schon fast legendär. Fast schon fremdpeinlich finde ich dass der MVV gefühlt wohl der einzige Grossstadt-ÖPNV ist der nicht 24h-Betrieb bietet. Und auch wenn ich das Glück habe mich bspw. von den deutlichen Spuren körperlicher Arbeit meiner Mitmenschen in naher Umgebung eher nicht so schnell belästigt zu fühlen – der konstante ÖPNV-Eigengeruch nach Waschwasser das seit etwa 2 Monaten ständig wiederverwendet wird stellt auch mich regelmässig auf eine relativ schwere Probe*.
    Da muss man schon fast von Glück sprechen, wenn man sich von oder zu Orten bewegen möchte die schlichtweg vom ÖPNV nicht (mehr) abgedeckt sind…

    Letzterer Gedanke führt übrigens zu dem was IMHO des Pudels wahrer Kern ist:
    Ist ÖPNV in einer Grossstadt nicht Grundversorgung? Ist ein menschenwürdiges Leben – ach was, ist überhaupt ernsthaft ein Leben in der Stadt ohne Mobilität möglich? Ich kann’s mir für mich persönlich jedenfalls nicht vorstellen.
    Mal aussen vor gelassen dass der ÖPNV, auch wenn er ‚privatisiert‘ wurde, öffentlich finanziert wird, ist die eigentliche Frage nicht ob es einfach eine schlechte (um nicht ‚hahnebüchene‘ zu sagen) Idee Grundversorgung zu ‚privatisieren‘?
    Dann sähe das mit der Frage der ‚alle müssen sich an die gesellschaftlichen Regeln halten‘ möglicherweise völlig anders aus: wer seinen Anspruch auf öffentlich betriebene Grundversorgung wahrnimmt hat Recht. Wer Grundversorgung ‚privatisiert‘ bricht dagegen die grundlegenden Regeln des sozialen Zusammenlebens.


    * Witzig in dem Fall auch: ich habe mir ja gerne jahrelang bspw. ’neue Akropolis‘ Sektenwerbung beim MVV (oder MVG – ich weiss es nicht) angesehen, da ja klar ist dass das zumindest theoretisch und zumindest teilweise die Finanzierung dieser öffentlichen Leistung unterstützt. Dass ein ‚Privatunternehmen‘ mit öffentlicher Finanzierung gleichzeitig aber völlig harmlose Atheisten-Slogans (s. buskampagne.de) ablehnen kann (was ja einen finanziellen Verlust bedeutet) – ganz offensichtlich einfach da das als nichtchristliche Weltanschauung nicht in die wie auch immer zustandegekommene Firmenpolitik passt – lässt mein Gewissen und Gerechtigkeitsgefühl aufschreien einen solchen Laden eigentlich nicht finanziell unterstützen zu dürfen…

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