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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Samstag 8. August 2009

Wer würde nicht lieber krank wie Pascal sein als gesund wie der Pöbel?
Ernest Rénan

 

Vertrackt, verfahren oder verlogen?

450px-Ulla_Schmidt_(2007)Ein Alptraum – was, wenn die Politiker doch nicht zynisch die Dunkle Seite der Macht vertreten? Wenn sie viel­leicht wirklich an das glauben, was sie sagen? Wenn sie lauter Schritte „in die richtige Richtung“ gehen, nur um am Schluß an einer Stelle zu stehen, wo niemand hin­wollte, viel­leicht nicht einmal sie selbst?

Mit einem Ruck erwache ich und greife nach der gerade noch aktuellen Frank­furter Sonntags­zeitung, um mir Kühlung zu­zu­fächeln. Doch da! Weh uns, es war kein Traum. Der Noch-Gesund­heits­mini­sterin Ulla Schmid liegen die Kassenpatienten am Herzen, sie kritisiert die Ärzte, nach­zu­lesen in der F.A.S., und die haben es von Reuters:

Schmid kritisiert Zweiklassenservice bei Ärzten

Berlin (Reuters) – Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat die Ärzte gemahnt, gesetzlich versicherte Patienten nicht länger schlechter zu behandeln als Privatpatienten.

Noch heißt es ja Privatpatienten. Die Bundes­gesundheits­mini­sterin würde das ver­mut­lich lieber „un­ge­setz­lich ver­si­cher­te Pati­enten“ nennen. Dabei ist das alles doch nur ein histo­ri­sches Miß­ver­ständ­nis – die Pflicht, sich einer Kasse an­zu­schließen, stammt aus einer Zeit, als private Kranken­ver­sicherun­gen im großen Stil noch nicht exi­stier­ten. Es ging damals um das Gegen­teil, wer mehr ver­diente als eine be­stimm­te Summe, konnte den Arzt aus eigener Tasche zahlen und brauchte diese Versicherung nicht.

Da hat sich einiges geändert. Die Geldentwertung hat dazu geführt, daß diese „Reichtums­grenze“ heute von ganz ge­wöhn­li­chen An­ge­stell­ten über­schrit­ten wird. Gleich­zeitig sind die Kosten für medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung gerade­zu explo­diert. Teils aus gutem Grund, sie ist heute wohl besser als früher, teils aber auch durch die völlige Ab­schaf­fung des freien Markts, denn nur so läßt sich erklären, wieso be­stimm­te Medi­ka­men­te bei uns ein Viel­faches teurer sind als iden­tische Präpa­rate im Aus­land. Kurz, auch jene, die früher von der Pflicht aus­ge­nom­men waren, hatten und haben ein Bedürfnis, sich selbst zu ver­sichern. Das sind zum einen die so­ge­nannten frei­willig Ver­sicher­ten bei den Kassen, aber eben auch die Privat­ver­si­cher­ten.

So ist ein gi­gan­tisches Um­ver­teilungs­system ent­stan­den. Wer wenig ver­dient, ist für sehr wenig Geld ver­sichert. Wer mehr ver­dient, muß ent­weder bis zu einem gewissen Deckelbetrag mehr Geld bei der Kasse ab­liefern, oder einen privaten Ver­si­cherungs­bei­trag be­zah­len, der zwar nun ein­kom­mens­un­ab­hän­gig ist, aber der in­direkt dazu ver­wen­det wird, das medi­zi­ni­sche Sy­stem in Deutsch­land quer­zu­sub­venti­o­nieren, denn von den Kranken­kas­sen­ab­rech­nun­gen können die wenig­sten Ärzte leben. Eine gut­gehen­de Praxis ohne Privat­patienten gibt es nur, wenn alles auf Durch­satz an­gelegt ist. Mög­lichst viele Pati­enten in mög­lichst kurzer Zeit. Da ohne­hin haupt­säch­lich Pauschalen ab­ge­rech­net werden, ist das Fließ­band die öko­no­misch­ste Variante.

Privatpatienten sind dem Arzt also, ökono­misch gesehen, als Kunden lieber. Daher werden sie oft auch besser be­han­delt, denn hier gibt es den Markt noch. Ein plan­loser Arzt, bei dem man jedes mal lange warten muß, trotz Termin, ver­liert seine Privat­patienten. Und wer sagt denn, wie der Arzt ent­scheiden soll, wer seiner Patienten einen Haus­besuch be­kommt? Der, der ihn braucht? Oder der, für den der Arzt auch Geld be­kommt? Nun ist es ja gott­sei­dank so, daß viele Ärzte eben nicht wegen des Geldes Arzt ge­wor­den sind. Sie ent­scheiden tat­säch­lich nach medi­zi­ni­schen Gesichts­punkten, wer die Hilfe am nötig­sten braucht. Aber dieses altru­i­sti­sche Ver­halten zu fordern, ist schlicht un­ver­schämt.

Vollkommen abstrus wird es, wenn die Schöpfer dieses Zwei­klas­sen­sy­stems, die Damen und Herrn Politiker, nun die Ärzte kritisieren. Die Lösung wäre dabei so ein­fach: Jeder, der mag, kann sich privat ver­sichern. Die Grund­ver­sorgung ist ge­samt­ge­sell­schaft­liche Auf­gabe, der Rest Privat­sache, darf also auch nicht zu­gun­sten des Staats­sy­stems ent­eignet werden. Das ist nicht neu, darüber habe ich hier schon ge­schrie­ben. Die Ver­ant­wortung für das Schla­massel zu den Ärzten zu schieben, ist ver­bohrt, un­ehr­lich und zu­tiefst un­mora­lisch. Aber der Staat ist hier schlicht nicht mehr hand­lungs­fähig, das wurde in zahl­reichen Reformen und Reförmchen klar. Ob es auch den Politikern klar ist?

Es geht ja weiter: Parallel dazu habe ich doch gerade im Radio gehört, daß die Krankenkassen die Gebühren nicht erhöhen dürfen. Wegen dieser Impfung gegen die Schweinegrippe. Und die Ministerin sprach „es werde Geld“ und es ward Geld. Genug für alle. Es muß nichts erhöht werden, weil, ja, weil es die Ministerin so befohlen hatte. Diesmal ist es nicht Reuters, sondern dpa, zum Beispiel in der Märkischen Allgemeinen:

Schmidt erteilt Kassenforderungen zur Impfung Abfuhr

Berlin (dpa) – Die Krankenkassen beißen mit ihren Millionenforderungen wegen der Massenimpfung gegen Schweinegrippe auf Granit. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt warf ihnen Verunsicherung vor. Sie lehnte auch ein Spitzengespräch mit den Kassen zu diesem Thema ab. Ein Ende des Streits um die riesige Impfaktion ist aber nicht in Sicht: Die Kommunen warnten von einem Chaos wegen unklarer Zuständigkeiten. Der Schnelltest für Grippe soll wegen Unzuverlässigkeit jetzt nur noch in Ausnahmefällen bezahlt werden.

Ein funktionierendes Gesund­heits­system schaut anders aus. Eine Pan­demie droht? Dann ist es Aufgabe der Ge­sell­schaft, vor­zu­sorgen. Eine Massen­impfung ist nicht schwerer zu orga­ni­sieren als eine Bundes­tags­wahl. Für solche Ent­schei­dun­gen ist das Ge­sund­heits­mini­ste­rium zu­ständig. Oder es ist Quatsch? Dann können ein paar Leute 30 Euro ausgeben bei ihrem Arzt, wenn sie wollen, und sich mit ihrer Ver­siche­rung not­falls strei­ten. Das geht den Staat nichts an.

Der Staat ist nur für die Spiel­regeln zuständig. Es muß dafür sorgen, daß der Versicherungsmarkt funktioniert, daß man bei­spiels­weise die Ver­siche­rung wechseln kann, wenn man nicht zu­frie­den ist. Das tut er sogar, aber nur halb­herzig, denn eigent­lich will unser der­zei­tiger Staat die Privat­ver­siche­run­gen ab­schaf­fen.

Was nicht heißt, daß der Staat unabhängige Kranken­kassen will, oder eine Art Markt. Er will ja nicht ein­mal mit den Kranken­kassen reden. Und er bestimmt, die Beiträge dürfen nicht erhöht werden, der Staat will keine Zu­schüs­se geben, die Ärzte haben nichts zu verschenken, also was soll reden bringen? Be­fehlen wir einfach „Funktio­nieren“ – und das Geld wird schon ir­gend­wo her­kom­men. Hat doch um­gekehrt bei der Regie­rung auch geklappt, auf ein­mal standen hunderte „sy­stem­re­le­van­ter“ Milli­ar­den bereit, wo man sich vorher nicht einmal flächen­deckend Kinder­gärten lei­sten konnte. Dabei muß Frau Schmid nicht be­fürch­ten, daß sie zu Fuß zum Treffen mit den Kranken­kassen gehen müßte,

ihr Auto ist ja schließlich wieder da.

Bildquelle: א (Aleph), http://commons.wikimedia.org

 

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