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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Donnerstag 21. Oktober 2010

Ich lasse jetzt auch den Koran zum ersten Mal auf Türkisch erscheinen, ferner ein Leben Muhammads übersetzen. Das Volk soll wissen, dass überall ziemlich das Gleiche steht und dass es den Pfaffen nur darauf ankommt zu essen.
Mustafa Kemal Atatürk

 

Fremde

Zur Zeit läuft eine verlogene und völlig hysterische Diskussion zum Thema „Ausländer, Zuwanderung, Kultur und Islam“, die auf allen Ebenen geführt wird. Ich wäre daran verzweifelt, hätte ich nicht hie und da besonnene Analysen gelesen, Aufrufe zur Mäßigung oder schlicht Richtigstellungen der öffentlichen Äußerungen. Dieser Auseinandersetzung Stammtischniveau zu unterstellen, beleidigt manchen Stammtisch.

Zunächst: Was genau ist das Problem? Vieles geht auf Xenophobie zurück.

Xenophobie

Ξένος (Xenos) war für die alten Griechen das Wort für „Gast“ und für „Fremder“. Das findet man auch in touristisch erschlossenen Gegenden in Deutschland, wo es Fremdenzimmer gibt und „Fremde“ gleichbedeutend sind mit „Kunden“. Auf andere bei uns wirkt Fremdheit allerdings bedrohlich.

Interessant ist es auf Lateinisch: Die Römer hatten noch eindeutige Feinde: Hostis nannten sie so einen. Da die Römer nach der beeindruckenden Entfaltung ihrer Macht außerhalb Roms nur noch Feinde sehen konnten, die „pazifiziert“ werden mußten, also „befriedet“, war hostis auch das Wort für „Fremder“. Und ein Fremder war kein Gast, der hieß, fein differenziert, hospes.

Aber das galt nur für die alten Römer. SpaceNet, die Firma, für die ich arbeite, ist ein Spezialist für Hosting. Darunter versteht man im Computerneusprech die Beherbergung von Daten oder Servern, sogenannten hosts. Also doch Beherbergung. Aus dem hospes wurde das Hospital. Aber hostis gibt es noch, zum Beispiel im Wort „Hotel“. Und darunter verstand man noch nie ein Kriegsgefangenenlager.

Phobien sind Ängste

Es ist also eine abendländische Tradition, in Fremdem auch immer etwas bedrohliches zu sehen. Das ist keineswegs selbstverständlich. Auf türkisch ist das, zumindest sprachlich, nicht zu bestätigen. Fremd ist yabancı. Gast ist misafir. Oder müşteri, aber das ist eher ein Kunde. Düşman ist der Feind. Oder hasım, was lustig ist, denn das ist eng verwandt mit hısım, so heißt „der Verwandte“. Wie man sieht, eine völlig fremde Kultur, denn ich mag meine Verwandten. Die meisten jedenfalls. Leider kann ich kein Arabisch, aber ich vermute sehr stark, daß die sprachlich nachzuweisende Xenophobie dort auch nicht verbreitet ist. Und um vollendet in Klischees zu schwelgen, denke ich an Beduinen, die in ihren Zelten sitzen, es ist ihnen fad, und sie freuen sich total, daß ein Fremder des Wegs kommt, der ihnen schöne Geschichten erzählen kann.

Bei uns ist das anders. Die christliche Tradition hat bei uns das Problem, daß sie beinahe nur noch das ist: Eine Tradition. Eine starke Glaubensgemeinschaft ist das Christentum in Deutschland nicht mehr. Kirchen stehen leer, Kinder werden nicht mehr getauft, und Mystik ist zwar en vogue, aber dann bitte in irgendwelchen exotischen Varianten. Leute treten wegen des Verhaltens von Priestern – also Menschen – aus der Kirche aus. Wer das kann, war vorher schon nicht mehr wirklich in der Kirche.

Wie ist das denn nun mit der Türkei? Kemal Atatürk, der Staatsgründer, ist nicht unumstritten, aber eines hat er sicher geleistet: Er hat aus der Türkei ein westliches Land gemacht. Dafür hat er einiges an Tradition geopfert, aber das ignorieren wir im Westen beharrlich. So hat er die lateinische Schrift eingeführt (vorher wurde Türkisch in arabischer Schrift notiert), er hat den Männern westliche Hüte aufgesetzt und ihnen Fes, Turban und Pluderhose weggenommen, und das ist wörtlich zu verstehen. Er hat auch Dinge zu verantworten, über die zu richten uns nicht zusteht, denn während er sich mühte, einen modernen, demokratischen Staat zu gründen, brach bei uns gerade die Barbarei aus.

Fremde Kulturen

Somit sollte man vielleicht einmal innehalten und fragen, ob wir überhaupt die Türken meinen, wenn wir von fremder Kultur reden. Für Horst Seehofer sind Araber und Türken irgendwie dasselbe, wenn er den Zuzug von „dort“ begrenzt sehen will. Aber den sollte man hier nicht zu ernst nehmen, das ist kein Rechtspopulist, wie man hörte, sondern ein Opportunist. Der gleiche Mann ist für die Frauenquote, für und gegen die Gesundheitsreform, gegen die Rente mit 67 und gegen Moslems (und da dies politisch nicht korrekt ist, dann eben gegen „fremde Kulturen“, womit er aber deutlich sichtbar nicht Buddhisten, Shintoisten oder gar amerikanische Fundamentalisten meint).

Auch Thilo Sarrazin hat sich auf Araber und Türken spezialisiert, wenngleich mit weit höherem intellektuellen Anspruch. Doch auch er liegt falsch, viele „Türken“ sind längst Deutsche in zweiter Generation. Und die Araber, die ich sehe, sind nicht nur seine Kopftuchmädchen produzierenden Gemüsehändler, sondern es sind die Leute, ohne die die Münchener Maximilianstrasse zugemacht hätte (womit ich die neuen russischen Verdienste nicht schmälern will). Vural Öger hat es auf den Punkt gebracht. Er sagt, es gehe nicht um ein Islamproblem, sondern um ein Unterschichtenproblem. Dem wäre nichts hinzuzufügen. Oder doch?

Integration

Vielleicht wäre das mit der Integration auch nicht so schwierig, wenn wir uns selbst als etwas präsentieren würden, in das man sich integrieren kann. Was ist denn nun unsere christlich-abendländische Kultur? Im Fernsehen werden wir kulturell nicht fündig. Es gibt RTL und Co., das ist nicht unsere Kultur, hoffentlich, und es gibt Arte, aber das ist auch nicht unsere Kultur, sonst gäbe es da mehr Zuseher. In der Kirche kommen wir auch nicht weiter. Auch wenn wir Weihnachten feiern: spätestens an Ostern blättert der kulturelle Lack, wenn diskutiert wird, daß Diskotheken an Karfreitag aufhaben sollen. Tradition? Anstatt auch Symbole anderer Religionen zuzulassen, hängen wir in den Klassenzimmern sicherheitshalber die Kruzifixe ab.

Sind wir denn wenigstens stolz auf unsere Demokratie? Die haben die Türken auch. Pressefreiheit? Das BKA macht Pressekonferenzen, bei denen nur handverlesene Journalisten informiert werden – kein Anlaß, auf die Türkei herabzuschauen. Immerhin haben wir es dieses Jahr bei der Pressefreiheit glatt auf Platz 17 geschafft – vom Platz 1 sind wir weit entfernt. In der Türkei werden Kurden heute diskriminiert. Nun ja, bei uns auch, wenn wir ehrlich sind.

Islamophobie

Nach all dem ist klar geworden: Es geht nicht um fremde Kulturen. Oder fühlt sich jemand von den zahlreichen Chinesen hier bedroht? Es geht um den Islam, eine Religion, die mit Feuer und Schwert verbreitet werden soll, in deren Namen getötet wird und die angeblich Frauen diskriminiert. Doch halt! Das ist vom Christentum nicht so weit weg. Alles auf 9/11 zu schieben ist auch nicht rational – die Islamophobie ist älter. Vermutlich führen wir alle im Hinterkopf eine lange Liste: Die Befreiung Spaniens von den Mauren. Die Kreuzzüge, die das gelobte Land unter christliche Gewalt bringen sollten (und da nehmen wir den Moslems vermutlich übel, dass sie nicht alles gleich freiwillig hergegeben haben). Aber dann, ha! die Türkenkriege. Der Gegenbesuch, sozusagen. Saladin der Prächtige – es hätte beinahe geklappt, und da wäre die fremde Kultur tatsächlich was bedrohliches gewesen. Was davon blieb, wissen wir: Die Kaffeehauskultur, die es immerhin ein Vierteljahrtausend gegeben hat, bis sie von der Starbuckisierung dahingerafft wurde – noch ein schönes Beispiel für bedrohliche  fremde Kulturen.

Zurück zu der Aussage von Herrn Öger: Es gibt kein Islamproblem, es gibt ein Unterschichtenproblem. So haben, nach Angaben unserer derzeitigen Familienministerin, Frau Schröder, türkische Jugendliche zur ihr gesagt, sie sei eine deutsche Schlampe. So drückt sich die Unterschicht heute aus – unterirdisches Benehmen. Aber Frau Schröder sieht nicht die gesamte Aussage, ihr reicht ein Stichwort: Sie sieht, wie einem Zeitungsinterview zu entnehmen war, eindeutig den Tatbestand des Rassismus erfüllt. Rassismus? Weil die Knaben deutsche Schlampe gesagt haben? Wäre Frau Schröder denn wieder versöhnt, wenn man sie einfach nur neutral als Schlampe bezeichnet hätte? So etwas als Rassismus zu bezeichnen ist eine ziemliche Verharmlosung des Rassismus. Darüber könnten wir hier trefflich wieder monatelang diskutieren. Und die Frage stellt sich nach wie vor: Diese Jugendlichen mit dem unsäglichen Migrationshintergrund an den Berliner Messerstecherschulen,

wo hinein genau sollen sich die denn nun integrieren?

Bild: Mustafa Kemal Atatürk

 

3 Kommentare zu “Fremde”

  1. Reizzentrum sagt:

    DANKE

  2. Tobias sagt:

    Gut gebrüllt kleiner Löwe!
    Ich schätze solche Artikel, welche einen anderen Blickwinkel erlauben, ohne sich groß zu Informieren.
    Klingt komisch? Ist aber durchaus sinnvoll.
    Ich kann nicht den ganzen Tag lesen, mit Leuten reden, Nachrichten hören und Statistiken und Umfragen auswerten.
    Es reicht wenn ich das den halben Tag tue.
    Bei der Vielfalt an Themen des öffentlichen Lebens bleiben einige Bereiche da auf der Strecke.

    Einen kurzen Beitrag zu lesen, welcher schmunzeln macht und dabei noch sehr viel „ungeliebte“ Wahrheit versprüht – dazu nehm ich mir dann jedoch sehr gerne die Zeit.
    Ihre Beiträge haben mich schon öfter von der hintergrundlosen, öffentlichen Meinung auf die gegenteilige Seite gebracht. Getreu dem Motto: „Wenn ich es recht bedenke, denken Sie richtiger als ich“

    Vielen Dank für die Einblicke

  3. Marie Karsten sagt:

    Integration als Luftblase…

    I found your entry interesting do I’ve added a Trackback to it on my weblog :)…

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