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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Samstag 9. Juni 2012

Der klassische Interessengegensatz „Autor-Verlag“ wird auf die Beziehung „Autor-Leser“ verlagert. In der Logik des Arbeitskampfs wäre das so, als wollte ein Fließbandarbeiter bei Opel sein Recht auf Bezahlung gegen die Autokäufer verteidigen.
Juli Zeh

 

Mythos #4: Das Urheberrecht muß überarbeitet werden, weil sich durch das Internet alles geändert hat

Immer wieder wird die Forderung laut, das Urheberrecht müsse abgeschafft werden, es habe sich überholt. Oder es wird behauptet, jemand anderes hätte dies gefordert, typischerweise die Piraten, die gerne als geizige Spaßpartei diffamiert werden. Auch nicht intelligenter. Und wenn das Urheberrecht schon nicht abgeschafft wird, so müsse es dennoch überarbeitet werden, weil sich durch Internet und Neue Medien alles geändert habe.

Das ist, vielleicht erstaunlicherweise, ebenfalls Unsinn. Das Urheberrecht enthält Gedanken, die medienunabhängig gelten müssen, etwa das wichtigste Recht des Urhebers: Mit seinem Werk verbunden zu bleiben. Also als Urheber genannt zu werden, und zu verhindern, daß sich ein anderer mit fremden Federn schmückt. Ebenso wichtig: Die Entscheidung, ob ein Werk veröffentlicht wird oder nicht. Im Bereich der Verwertung hingegen ist die naive Version des Urheberrechts, die heute angeblich gerettet werden soll, noch nie durchgesetzt worden. Immer wurde so getan, als sei eigentlich alles in Ordnung und es müsse nur ein bißchen nachgebessert werden. All das, um nicht schon wieder prinzipielle Überlegungen anstellen zu müssen. Aber es bleibt Fakt: Das Urheberrecht wurde schon immer gebrochen und nur in den seltensten Fällen wurde der Verstoß überhaupt als solcher gesehen. Das einzige, das neu ist: Die wirtschaftlichen Folgen der Verstöße waren in besonders gewinnträchtigen Bereichen früher geringer.

Nehmen wir die Musikindustrie. Hier haben neue Medien einen Markt geschaffen, den es vorher nicht gab. Mit der Erfindung der Konserve vor etwa 130 Jahren konnte man erstmals Musik verkaufen, ohne jedesmal musizieren zu müssen. Dabei wurde auch ein Markt vernichtet, nämlich der des Verlegers von Noten. Wollte man im neunzehnten Jahrhundert einen Schlager hören, ging man los, kaufte die Noten und spielte ihn. Der Komponist verdiente daran, der Verleger auch. Vielleicht malte einer die Noten ab, dann verdiente keiner daran, aber der Schaden hielt sich in Grenzen und konnte ignoriert werden, denn gedruckte Noten sind einfach besser als handgepinselte. Mit der Schallplatte ging das Geldverdienen erst richtig los. Niemand musste mehr selbst musizieren. Aus Musikbegeisterten wurden Konsumenten. Ein Milliardenmarkt entstand.

Es gab ja inzwischen auch das Radio, eine perfekte Marketingmaschine für den Musikmarkt. Günstig wurden Millionen Menschen erreicht, alles potentielle Käufer. Aus gelegentlich als Dienstbotenkunst belächelten Schlagern und Gassenhauern entstand die Popmusik, die wirtschaftlich alles in den Schatten stellte, was in den allen Jahren zuvor mit Musik verdient werden konnte.

Dann zeigten sich die ersten Schatten am Horizont: Es wurde das Tonband erfunden, mit dem Menschen sich eigene Konserven erstellen konnten, sogenannte „Mitschnitte“. Mit der Kassette gab es auf einmal ein Medium, das leichter bedienbar war als Tonbänder und nicht so empfindlich, wie die Schallplatten, die man daher einfach überspielte. Muß ich weitermachen? Weiß noch jeder, wie es weiterging? Sony brachte den Walkman heraus, mobiler Musikkonsum wurde möglich. Das befeuerte den Markt, aber gleichzeitig kamen auch die ersten Kassettenrecorder mit zwei Laufwerken und „Speed Dubbing“ heraus – einer einfachen Methode, eine einmal erstellte Kassette zu vervielfältigen.

Und schon wurde der Hilferuf vernehmlich: Rettet die Urheber. Ehrlicherweise hätte man sagen müssen, „rettet unsere Pfründe“. Zwar wurden noch immer erfolgreiche Platten in Riesenauflage verkauft, und angesichts der Qualitätsunterschiede zwischen einer gut behandelten LP und einer Schnellkopie auf Kassette war das auch kein Wunder. Andererseits sah man allerorten Musikaufnahmen. Nun, Schallplatten waren schon immer nicht billig, und der eine oder andere kam per Kassette an Musik, die er sonst einfach nicht gekauft hätte. Was kein moralisches Argument ist, nur ein logisches: Hier wurden Umsätze wegen Kopierens nicht erzielt, die sonst wegen Nichtkonsumierens nicht erzielt worden wäre. Das war damals nicht anders als heute.

Dennoch: Sehr häufig dürfte ein anderes Motiv zum Kopieren von Musik geführt haben. Schallplatten vertragen sich nicht mit Autoradios. Oder mit Walkmen. Außerdem: Sehr beliebt in den 70ern waren selbsterstellte Mixtapes, die man vorzugsweise für Mädels herstellte. Es galt, den Geschmack des Mädels zu treffen, oder, etwas häufiger, das Mädel mit dem eigenen Geschmack zu beeindrucken. Zu diesem Zweck hockte man sich hin, breitete alle geeigneten Schallplatten aus der eigenen Sammlung um sich aus und überspielte ganz bestimmte Lieder in einer ganz bestimmten Reihenfolge. Und so entstanden Pseudounikate: Die besten Hardrockhits, oder Oldies, oder besonders romantische Lieder, oder alles von den Beatles, was gut ist. Auf meinen Mixtapes durften Nazareth („Love Hurts“) und Procul Harum („A Whiter Shade of Pale“) nicht fehlen, ebenso Led Zeppelin („Stairway to Heaven“) und The Moody Blues („Nights in White Satin“), Carlos Santana („Samba Pa Ti“) und, ich schäme mich, Michael Holm („Tränen lügen nicht“). Alle diese Lieder hatte ich gekauft. Die potentielle Ungesetzlichkeit meines Tuns war mir nicht klar, im Gegenteil, das war wirklich Arbeit. Und es war, nun ja, auch kreativ. Der Herausgeber der zig Alben aus der Kuschelrockreihe weiß, wovon ich rede.

Natürlich reagierte die Politik. Es wurden einerseits Privatkopien legalisiert, also auch die Mixtapes, andererseits wurden Abgaben auf Medien wie Kompaktkassetten eingeführt und über so genannte Verwertungsgesellschaften wieder ausgeschüttet. Niemand fragte, ob man dem Markt nicht vielleicht lieber empfehlen sollte, sich zu erneuern, sich also langsam aus dem Goldgräbermodus zu verabschieden, um neue Modelle zu entdecken. Die Betonung dabei sollte auch auf „langsam“ liegen. So bestechend sich nämlich vielleicht die vorliegende Sicht auf die letzten hundert Jahre angehört haben mag, so sehr man nun vielleicht an der Legitimation derjenigen zweifelt, die einfach nur fordern, daß sie „ihr“ Geld bekommen, und zwar so viel wie möglich, so darf man auch andererseits nicht vernachlässigen, daß es nicht nur um Künstler geht. Es geht um komplette Industrien, mit tausenden von Existenzen, zigtausenden Arbeitsplätzen. Wer hier schnoddrig die Kettensäge ansetzt, macht sich Feinde und es kommt nie zu einer tragfähigen Lösung für die nächsten hundert Jahre.

Die Umkehrung ist aber nicht gesünder: Quasi einsichtig Privatkopien zu erlauben, den vermuteten entgangenen Gewinn aber einzusammeln durch Zwangsabgaben auf Medien und Geräte, die zum Kopieren hergenommen werden können, ist doch arg willkürlich. So zerstört man auf Dauer den Markt und rettet nichts, verärgert höchstens die, die von den Zwangsabgaben ungerechtfertigt benachteiligt werden. Trotz des kurzfristig vielleicht sogar segensreichen Effekts werden Auswirkungen von Entwicklungen nur verzögert, aber nicht verhindert. Für Musik im Internet braucht es keine Speichermedien. Wer nun schlau meint, die Abgaben auf Internetzugänge auszuweiten, kommt schnell in Logikschwierigkeiten. Wie bemißt sich die Höhe der Abgabe? Wieviel bezahlt ein Anschluß im Studentenwohnheim? Ein IP-Telephonanschluß? Eine Universitätsbibliothek? Und wieviel bezahlt ein Tauber? Na dann, viel Spass beim Abkassieren einer Rechtsanwaltskanzlei.

Dafür entbrennt alter Streit neu: Wenn es bisher erlaubt war, Kopien von Musik auch seinen Freunden vorzuspielen oder ihnen gar die Kopien anzufertigen, dann verblüfft es den heutigen Jugendlichen, daß man ihn auffordert, seine Freunde zahlenmäßig zu begrenzen. Das geht eindeutig an der heutigen Lebenserfahrung vorbei, wo man dank Facebook häufig hunderte wenn nicht gar über tausend „Freunde“ hat. Die man alle kennt, mehr oder weniger.

Und so ist es nicht mehr nur bei der Musik: Jetzt ist es zu spät, die meisten Verstöße gegen das Urheberrecht können sich mit Fug und Recht auf das Gewohnheitsrecht berufen. Da gibt es noch viel mehr als Mixtapes. Collagen zum Beispiel. Das wurde zu meiner Schulzeit sogar eigens unterrichtet: Man nimmt verschiedene Bilder, zerschnippselt sie und setzt sie neu wieder zusammen. Benotet wurde dabei, wie kreativ das Ergebnis war – niemanden interessierte es auch nur die Bohne, wie die Rechte an den zerschnippselten Bildern waren. Im Internet ist das nun ein Verbrechen? Darauf hat uns die Schule nicht vorbereitet.

Oder ein anderes Beispiel aus Schulzeiten: Wir hatten Bücher für alle Fächer, aber die meisten Lehrer legten großen Wert darauf, ihre Eigenständigkeit zu demonstrieren. Was zu Bergen von Photokopien führte, kaum daß die Photokopie auf Echtpapier erfunden war und bezahlbar wurde. War das legal? Sicher zu Beginn nicht, denn es kam in der Folge zu Verhandlungen und nach einiger Zeit und zähem Ringen wurden regelmäßige Zahlungen an die Schulbuchverlage geleistet. Alle anderen wissenschaftlichen Verlage wurden an die VGWort verwiesen. Heute werden die Kopien digital verteilt und schon kommen die Schulbuchverlage wieder und reden von Nutzungsrechten. Der Staat aber läßt sie abblitzen, spricht von begrenzten Budgets und ist höchstens bereit, auf ein Angebot deutlich unter Marktpreis einzugehen. Wen wundert es, daß der Vierzehnjährige mit Blick auf sein eigenes Budget

auch auf ein Angebot deutlich unter Marktpreis bestehen will?

Bildquelle: Lgreen Wikipedia

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Was bisher geschah:

Einleitung
Mythos #1: Geistiges Eigentum gibt es nicht
Mythos #2: Künstler haben es schwerer als früher
Mythos #3: Ohne das Internet ginge es den Künstlern besser

 

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