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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Sonntag 30. Januar 2011

Wegen Bildung ist man recht schnell in Schwierigkeiten, vor allem, wenn es um die Bildung einer kriminellen Vereinigung geht
Sebastian v. Bomhard

 

Wort des Jahres: Bildungskarte

Von Frau von der Leyen kann man viel lernen. Sie verwendet Sprache als Waffe. Propaganda aus ihren jeweiligen Ministerien ist jedesmal nahezu perfekt. Da gibt es keine Zweifel, kein Abwägen, keinen Interessenausgleich. Was Frau von der Leyen in die Welt setzt, ist „alternativlos“. Sie setzt sich nicht ein für eine Zensurplattform oder ein BKA-Ermächtigungsgesetz, nein, sie ruft auf zum Schutz unserer Kinder. Sie fordert Kinder auf, Testkäufe zu tätigen und unkorrekte Ladenbesitzer auszuliefern, und spricht man sie darauf an und unterstellt man ihr Stasi-Methoden, so reagiert sie fassungslos, man selbst sei wohl dafür, daß Kindern Alkohol und andere Drogen verkauft würden! Das sei ja wohl viel schlimmer.

Jetzt stand sie vor einer weiteren Aufgabe: Es galt, ein Urteil des Verfassungsgerichts in einen politischen Erfolg umzumünzen. Eigentlich sollte nur die Regelsätze für Hartz-IV-empfangende Kinder besser begründet werden. Die Boulevardpresse machte draus, das Verfassungsgericht habe eine Steigerung der Sätze gefordert. Daß das Blödsinn war, interessiert niemand, schon gar nicht die Opposition, die die „neue soziale Kälte“ für verfassungsrechtlich beendet erklärte. Wo wir gerade dabei sind: Soziale Kälte: 20 Punkte. Im Gegensatz zu asozialer Kälte vielleicht? Oder im Gegensatz zur sozialen Kuscheligkeit des 19. Jahrhunderts?

Zurück zum Urteil: Die Regierungspartei, nicht faul, reagierte sofort. Frau Merkel erklärte noch schnell, das Urteil sei gerecht und sinnvoll, dann ging sie auf Tauchstation. Lediglich Herr Westerwelle versuchte, mit der spätrömischen Dekadenz einen kläglich Hinweis darauf zu geben, daß es neben Brot und Spielen bei uns vielleicht einfach auch noch andere Themen geben sollte. Das exakte Zitat war: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ Was war daran eigentlich auszusetzen? Der Satz ist richtig, das heißt, er wäre es, wenn es so etwas wie „spätrömische Dekadenz“ gegeben hätte. Dekadent waren die Römer in der späten Republik und der frühen Kaiserzeit. Wann war der bluttriefende Cinna? Wieso kam ein Julius Cäsar an die Macht? Und war es das wehr- und tugendhafte Bauernvolk der Römer, denen Nero die Stadt anzündete? Nein, die Dekadenz war in der Zeit 100 Jahre vor bis 100 Jahre nach Christus besonders ausgeprägt. Aber das war ja auch die Zeit des anstrengungslosen Wohlstands … was also genau wollte Westerwelle nicht? Es blühten die Künste, das Volk überbot sich im Ersinnen immer ausgefallener Lüste und Belustigungen, Rom hatte seine prachtvollsten Zeiten. Nach dieser Zeit ging erst noch weiter aufwärts – unter Trajan sollte das Reich die größte Ausdehnung haben, aber auch weitere hundert Jahre lang noch war Rom der Nabel der Welt. Das änderte nicht die Dekadenz: Spätrom sollte am Christentum untergehen. Also von Anstrengung, Buße und Opferbereitschaft. Spätrömische Dekadenz: 19 Punkte.

Was hat dies alles mit Frau von der Leyen zu tun? Sie bemerkte die thematischen Tretminen, das Terrain war verseucht, nur dummerweise fiel es in ihr Ressort. Mehr Geld für die prekären Schichten kostet konservative Wähler und stärkt die FDP. Weniger Geld für Bedürftige spielt der Linken die Hände, selbst wenn die SPD wieder mal zu selbstbeschäftigt ist, die Chance zu ergreifen. Nichts tun geht auch nicht, das Verfassungsgericht darf man nicht ignorieren, will man der Opposition nicht ein großes Ass in den Ärmel stecken. Hier steckt die große Begabung dieser Frau: Sie investiert das Geld in Bildung. Bildung ist gut, das enthält Zukunft und Kinder und Aufstiegschancen und die Gelegenheit, noch einmal zu betonen, daß eigentlich jeder seines Glückes Schmied sei: Solange jeder sich weiterbildet, geht es uns allen immer besser.

Das war natürlich alles nur Fassade. Für Bildung ist die Gute ja nicht zuständig, es geht doch um die Höhe der Sozialhilfe. Mit der „Bildungskarte“ können sozial schwache Kinder aber ins Schwimmbad, sagt die Ministerin. Oder in die Musikschule. Oder auf den Bolzplatz. Oder in die Bibliothek. Das alles bildet sicher ungemein. Das Schwimmbad? Das ist Gemeindesache – wenn eine Gemeinde will, kann sie doch einen Nachmittag in der Woche allen Kindern den Eintritt für einen Groschen geben. Das ist sozial und sinnvoll, aber dazu bedarf es dieser „Bildungskarte“ nicht.

Musikschule? Nicht das Ressort von Frau v.d.L. Zu meiner Schulzeit war der Instrumentalunterricht zumindest an bayerischen Schulen kostenlos. Nicht jedes Instrument und kein Einzelunterricht, aber immerhin kostenlos, incl. Leihinstrument, falls erforderlich. Unterricht ist aber aus gutem Grund Ländersache und untersteht nicht dem Bundessozialminister. Außerdem: sehr weit wird man bei Musikschulen mit dem Betrag, um den es bei der „Bildungskarte“ geht, eh nicht kommen. Bolzplatz? Einer, der Eintritt kostet? Kenne ich nicht. Sollen die Kinder halt im Park kicken. Bibliothek? Seit wann kostet die denn Eintritt? Ansonsten: Siehe Schwimmbad. Ich glaube nie und nimmer, daß Kinder aus prekärem Umfeld nur deshalb nicht in die Bibliothek gehen, weil sie es sich nicht leisten können, und daß nun die paar Euro von der Bildungskarte irgendetwas ändern. Statt dessen fehlen den Bibliotheken die dringend benötigten Zuschüsse, für Öffnungszeiten und Ankäufe, um attraktiv im Wortsinn zu sein. Aber hier würde Frau v.d.L. vermutlich feinsinnig bemerken, es fiele nicht in ihre Zuständigkeit. Sag ich doch gerade!

Die ganze Aktion ist eine häßliche Mischung aus Aktionismus und Dirigismus, ein ärgerlicher Versuch, selbst aus einem unerwünschten Urteil noch propagandistisch politisches Kapital zu schlagen. Und mit Bildung hat sie nichts zu tun.

30 Punkte für diesen Zynismus

 

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