Arbeitsgerichtsurteile
In der F.A.S. fand ich einen Beitrag über eine Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (Az 2 Sa 6/13): Zwei IT-Spezialisten arbeiten für einen Automobilhersteller. Dieser hat einen Vertrag mit einem IT-Dienstleister, dieser wiederum beschäftigt ein IT-Systemhaus als Subunternehmer
und der entsendet zwei freie Mitarbeiter. Nachdem die beiden an ihrem Arbeitsort voll eingebunden waren, also an Besprechungen teilnahmen und die Aufträge direkt bekamen, über ein Ticketsystem, was sie mithilfe von (nur?) 70 vorgelegten EMails nachwiesen, ist von einer Entleihe keine Rede mehr, sondern es gibt ein direktes und einklagbares Arbeitsverhältnis mit dem eigentlichen Auftraggeber. Das bedeutet also auch Kündigungsschutz und Tarifbindung.
So weit, so gut.
Klingt nicht unplausibel, so sehen „wir“ das ja heute. Es ist völlig unerheblich, dass es da einen Vertrag mit einem Systemhaus gibt, daß dieses die Leute nicht direkt zur Verfügung stellt, sondern einen Subunternehmer beauftragt etc. etc. Es spielt auch keine Rolle, dass das eigentlich problembehaftete Arbeitsverhältnis zwischen dem Subunternehmer und den zwei Freelancern besteht. Auch ist egal, ob Daimler das IT-Systemhaus nicht beauftragt hat, um Geld zu sparen, sondern um zwei Leute zu haben, die notfalls auf das Knowhow des Systemhauses zugreifen können. Alles total irrelevant. Und „irgendwie“ wissen wir ja auch, dass das alles nur den Markt bändigen soll und entfesselten Manchester-Kapitalismus verhindern.
Aber irgendwas stimmt hier doch nicht. Es ist nicht der scheinselbständige ausgebeutete Hilfsarbeiter, die hungernde Friseuse, der Bandarbeiter, der mit Tricks um seinen mühsam ausgehandelten Tariflohn gebracht werden soll. Es handelt sich vielmehr um IT-Spezialisten(!). Und die sind gesucht, finden immer etwas, sind nie von Arbeitslosigkeit bedroht, es sei denn, sie hätten sich seit MS-DOS 3.1, COBOL oder 370 Assembler jeder Weiterbildung entzogen. Wen also schützt unser Rechtssystem hier? Leute, die aus einem krisenfesten Arbeitsplatz eine prekäre Beschäftigung machen? Wenn sie mehr Geld wollten, wieso haben sie nicht einfach bei ihrem Subunternehmer gekündigt und sich direkt bei ihrem Auftraggeber beworben? Das kann zwei Gründe haben:
- Sie sind nicht gut genug. Das ist unglaubwürdig, denn dann hätte der Auftraggeber in den mehr als zehn Jahren sicher bereits nach Ersatz gefragt.
- Sie sind gut, aber es existiert ein Vertrag mit dem IT-Systemhaus, der diesen Wechsel verbietet.
Und das scheint die Lösung zu sein, so passt alles zusammen. Wenn sich die beiden in ihren Arbeitsplatz einklagen, kann der bisherige Arbeitgeber keinen Schadensersatz von seinem Kunden fordern, denn dieser wird durch ein Urteil zu seinem vertragswidrigen Verhalten gezwungen. Das wäre aber ein Missbrauch unseres Arbeitsrechts, so war es nicht gedacht. Aber wie war es gedacht?
Es gab noch eine Entscheidung: Auf http://www.mittelstandinbayern.de/ lesen wir
Arbeitgeber dürfen Arbeitnehmer nicht zum zweiten Mal ohne sachlichen Grund befristet beschäftigen. Dabei galt bisher laut Bundesarbeitsgericht, dass Beschäftigung, die länger als drei Jahre zurücklag, nicht mehr als Vorbeschäftigung galt. Das Landesgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 1.10.2013, Az 6 Sa 28/13) meint dagegen, dass jede vorige Beschäftigung, unabhängig davon, wie lange sie zurückliegt, eine Befristung unmöglich macht. Darüber soll nun wieder das BAG entscheiden
Worüber streiten diese Menschen? Wenn ich ein Projekt habe und dafür jemanden einstelle, aber nicht weiss, ob ich ein Folgeprojekt bekomme, dann stelle ich ihn befristet ein. Ich will doch fair sein und gleich mit offenen Karten spielen, aber das Bundesarbeitsgericht meinte, das ginge nur einmal alle drei Jahre, oder, wie das LAG Ba-Wü sagt, nur einmal im Leben. Vielleicht sehen die beteiligten Richter Projekte als „sachlichen Grund“ an, aber das bezweifle ich, solche Gründe sind doch eher Elternzeitvertretungen und dergleichen mehr. Ein Konjunkturaufschwung, dem man als Unternehmer noch nicht ganz traut, ist jedenfalls kein „sachlicher Grund“. Will ich also jemanden befristet einstellen, dann muss ich aus denen auswählen, die ich noch nicht beschäftigt hatte. Das diskriminiert ehemalige Mitarbeiter aber gewaltig. Wird nun so in die Entscheidungsfreiheit der Unternehmer eingegriffen, provoziert man Tricks und es werden Body-Leasing-Firmen zwischengeschaltet, selbstverständlich nur von den „bösen“ Unternehmern. Also von allen. Dort verdienen die Leute weniger(!), aber man kann nach Bedarf Kapazitäten aufstocken und wieder abbauen. Was auch bedeutet, dass die anspringende Konjunktur noch mehr Nahrung bekommt und noch mehr Arbeitsplätze entstehen.
Da Zeitarbeit politisch auch nicht gewünscht ist, wird überlegt, wie man den Zeitarbeitsfirmen das Leben schwerer machen kann, anstatt zu überlegen, wie man den Arbeitsmarkt entkrampft, wie es im anderen Ländern ja bestens funktioniert. Es nützt nichts zu wissen, dass es in Frankreich, Italien und vielen anderen Ländern schlimmer ist als bei uns, wenn man sich Länder ansieht wie Spanien oder gar Dänemark, wo es keinen Schutz vor Kündigung gibt – das ist dort lediglich eine Sache von Fristen und geregelten Abfindungen. Wer meint, einen Kollegen nach dreissig Jahren nicht mehr zu brauchen und die paar Jährchen bis zur Pensionierung nicht mehr abwarten kann, der muss halt tief in die Abfindungskasse greifen. Leicht macht sich sicher auch dort niemand so eine Entscheidung.
Das ist übrigens kein neoliberales Getöse, auch wenn es sich sicher für viele so anhört. Zum einen sind nämlich die Arbeitnehmer von Jahr zu Jahr in immer besserer Position auf dem Markt, denn der demographische Wandel bereitet immer mehr sogar unterdurchschnittlich Qualifizierten breitere Chancen. Zum anderen sind Konstrukte mit Leiharbeit, Scheinselbständigkeit, Befristung oder aber auch konstruierte arbeitsrechtsangepasste Kündigungen alle künstlich verursacht und ein Verzicht auf Umstände, die das notwendig gemacht haben, ist überfällig. Das ist dann auch eine
Frage der Würde.