Morgenrot bringt Haltverbot
Und wieder ist kein legaler Parkplatz frei. In der Münchener Innenstadt sind Parkplätze Mangelware, wer dort wohnen will, kennt das. Nichts frei – damit ist nicht gemeint, dass es in München fast ausschließlich nur noch Parklizenzgebiete für Anwohner gibt. Wer keine Lizenz hat, kann ja an einem Automaten einen Parkschein erwerben, eine temporäre Lizenz also, wenn man so will.
Darum geht es also nicht. Ich bin Anwohner – noch. Ich habe eine Lizenz. Aber es ist schlicht gar kein Platz mehr frei. Die Lizenzausgeber haben damit ohnehin gerechnet: Im Kleingedruckten zur Lizenz steht, daß mit der Bezahlung der Lizenzgebühr kein Anspruch auf irgendetwas begründet wird, schon gar nicht ein Anspruch auf einen Parkplatz. Die Lizenzgebühr ist also eine Zahlung ohne Gegenleistung. Privat heißt das Schenkung, hier heißt das Steuer (vgl. den Artikel „Steuern“ vom 19 Feb. 2008). Wie man hört, stellen die Einnahmen aus dem Lizenzen eine veritable Einnahmequelle für die Stadt dar. Daß es mal anders war, ist übrigens noch gar nicht so lange her. Im Juni 1994 hob der Bundesrat eine Regelung auf, nach der die Kommunen mit Parkgebühren und Lizenzen nur ihre Kosten decken dürften. Seit diesem Zeitpunkt ist das Wort „Parkzehnerl“ nur noch trauriger Euphemismus. Für das Parkzehnerl durfte man damals eine halbe Stunde stehen. Für ein „Parkeuroerl“ nur noch ein paar Minuten, etwa die Zeit, die man braucht, um zu lernen, wie man „Euroerl“ ausspricht.
Die Stadt vermietet also ihre Parkplätze und verdient damit Geld. Auch wenn das abgestritten wird. Sie selbst nennt das „Parkraumbewirtschaftung“. Was keine Deutungslücke offenläßt. Und sie ist durchaus findig, Plätze mehrfach zu verkaufen. Das erstbeste Beispiel, beliebig ausgesucht, aus dem Jahr 2005: Bezirksausschußprotokoll BA AU/Haidhausen:
4.6 Eine Anwohnerin fragt nach, warum sämtliche (50 – 100) Parkplätze in der Rablstraße zwischen Hoch- und Schleibingerstraße zwei Tage lang für die Teilnehmer einer Firmenveranstaltung reserviert wurden und so – trotz Parkraummanagement – nicht für die Anwohner zur Verfügung standen. Nach telefonischer Auskunft des KVR wurde eine entsprechende Genehmigung erteilt.
Schon ein bisserl frech. Die Plätze wurden für die „Firmenveranstaltung“ nicht kostenlos vergeben, sondern einfach doppelt verkauft. Betriebswirtschaftlich beeindruckend. Und gang und gebe. Im benachbarten Viertel Lehel ist das der Normalfall. Kein Monat vergeht, in dem nicht irgendwo rund um den Sankt-Anna-Platz Filmaufnahmen sind. Dies bedeutet, dass komplette Straßenhälften für die Filmleute reserviert werden.
Niemand ist gerne Spießer. Hey, Film, Super, unser Viertel ist so hübsch, hier wird dauernd gefilmt, da läßt man das Auto gerne am Stadtrand stehen und fährt mit der U-Bahn heim. Lizenzgebühren zurückfordern? Nicht doch, wir sind doch nicht kleinlich. Bestimmt spielt der Film in den 30ern, da darf man keine modernen Autos sehen. Oder die Filmleute brauchen einfach Platz für die Kamera, rasante Verfolgungsfahrten im Viertel, romantische Spaziergänge im Schatten der mächtigen und äußerst photogenen Kastanien an der St.-Annakirche.
Doch was ist das? Die Parkplätze werden besetzt von den Autos der Schauspieler und einem Cateringmobil. Gedreht wird innen in einer Kneipe. Der Adrenalinspiegel bewegt sich: Wegen so etwas sollen wir nicht mehr hier parken? Und kann man wirklich nicht essen, was hier in den Lokalen hergestellt wird? Und können Filmleute nicht Taxi fahren, wie gewöhnliche Leute auch? Es gibt so oft keinen zwingenden Grund, wieso man die Geduld der Anwohner immer wieder aufs Neue auf die Probe stellt.
Genauso verhält es sich mit den vielen Baustellen hier – wo kein Film gedreht wird und niemand umzieht, da ist zuverlässig eine Baustelle. Doch wieso darf da niemand parken? Offizielle Antwort: Wo sollen die Handwerker denn sonst parken? Der Anwohner ist noch verstimmter. Was kostet eigentlich so eine Parkplatzreservierung? Wenn man sie ohne Notwendigkeit bekommen kann, ist es also nur noch eine Frage des Preises. Aber das geht auch nicht. Wer nur einen Zweitwohnsitz in München hat, bekommt keine Lizenz. Nanu? Gerade der, der zwischen zwei Wohnsitzen pendelt, ist häufig auf das Auto angewiesen. Der boshaft vermutete Hintergrund: Wenn sich nur einer von fünf Zweitwohnsitzbesitzern wahrheitsgemäß oder geschwindelt als gewerblicher Kunde meldet, bekommt er ja eine Lizenz, für den zehnfachen Preis allerdings. Gutes Geschäft für die Stadt.
Wer einen der wenigen Tiefgaragenplätze ergattert, typischerweise in zehn Gehminuten von daheim, ist hier wenigstens nicht der Angeschmierte. Das hat er bereits hinter sich – er ist nämlich vor die Wahl gestellt „Lügen oder keine Lizenz kriegen“. Ein Grund ist jedenfalls nicht einzusehen, daß jemand nicht vor der eigenen Haustier parken darf, nur weil er für alle Fälle irgendwo ein Auto parken könnte.
Aber Lizenzen sollten nicht das Thema heute sein, es geht mehr um eine merkwürdige Form der Eskalation. Die halbe Straße, in der ich wohne, jedenfalls noch, ist bis 31.12.2008 Halteverbot, tagsüber. Dort parken derzeit die Bauarbeiter und Handwerker einer nahegelegenen Baustelle. Halteverbot? Das kann mir niemand erklären. Aus den eben betrachteten moralischen Gründen ist ja bereits ein Parkverbot zweifelhaft, aber ein Halteverbot? Wieso ist vor allen Hotels hier ein Halteverbot? Wieso bekommt man für Umzüge von der Stadt ein Halteverbotsschild geliehen? Wieso sind an vielen zweispurigen Straßen Halteverbote – aber dort stehen Kurierfahrzeuge, Paketdienste und die Polizei einmütig beieinander – eine Spur reicht ja doch?
Eine Politesse hat mir das erklärt: Die Strafen für falsches Parken seien zu niedrig. Daher respektierten die Autofahrer nur Halteverbote, denn die seien vergleichsweise richtig teuer. Ich aber meine, ein Halteverbot ist genau dann gerechtfertig, wenn es aus irgendeinem Grund gefährlich oder auch nur schlecht ist, wenn jemand dort anhält. Niemand zweifelt am Halteverbot auf der Autobahn. Oder in einer einspurigen Straße. Oder an unübersichtlichen Stellen. Alles andere sind Parkverbote. Oder umgekehrt: Überall da, wo ein UPS-Laster steht, ist Parkverbot, aber nicht Halteverbot.
Und nun habe ich einen Strafzettel. Wegen Parkens im Halteverbot. Vor dem Hotel nebenan, die haben vermutlich eine Standleitung zu den Politessen, nach 20 Minuten ist man durchschnittlich fällig. Und daher schreibe ich das auf, denn irgendjemandem erzählen muss ich das. Es der Politesse zu erzählen ist sinnlos, denn dass das Wort „Politesse“ mit polite anfängt,
ist reiner Zufall.