Enteignung: Darwin oder Marx?
Man konnte kaum überhören, was vielerorts geraunt wurde: Die Bundesrepublik Deutschland wird sozialistisch. Sag ich schon lange! ist man versucht zu rufen und denkt an Steuerdiskussionen, die munter das Klassenkampfvokabular längst überwunden geglaubter Zeiten hervorholen. Oder an die geplante und teilweise bereits vollzogene Enteignung der Minderheit der privat Krankenversicherten. Nah dran: „Enteignung“ ist tatsächlich die Ursache des Entsetzens, aber es geht um die Enteignung der widerspenstigen Aktionäre der Unglücksbank „Hypo Real Estate“.
Enteignung? Bei einer Bank, die tagtäglich neue Milliardenlöcher aufdeckt? Was will man denn da noch groß enteignen? Der Fall ist für Laien nur schwer verständlich. Grob verkürzt liest er sich so: Jemand kauft ein Viertel der Aktien einer Bank. Zahlt dafür einen Milliardenbetrag. Die Bank verliert an Wert und gerät in eine Schieflage. Nun erpressen die Eigentümer, namentlich jener Großaktionär, den Staat: Geld her oder wir gehen pleite und dann wird es richtig teuer für die Volkswirtschaft.
Das klappt einige Male, dann wird der Staat sauer. Ihm fällt auf, dass er die marode Bank mit dem ausgegebenen Geld bereits mehrfach hätte kaufen können. Zumindest bei realistischem Wertansatz. Nun soll es das Geld nicht mehr einfach so geben, die Schirmausgabe wird geschlossen. Jetzt will der Staat Anteile sehen, am besten im Rahmen einer notwendigen Kapitalerhöhung.
Wie geht eine Kapitalerhöhung in so einem Fall vor sich? Die Verluste der Gesellschaft müssen zuerst realisiert werden, also vom Eigenkapital abgezogen. Das kann in Form eines Kapitalschnitts passieren. Jede Aktie, die vorher nominal 1€ wert war, ist nun, sagen wir, nur noch 10 ct. wert. Dann werden die alten Aktien eingezogen und im Verhältnis 1:10 wieder ausgegeben. Damit sind sie nominal wieder 1€ wert. Noch ist das eine völlig harmlose Taschenspielerei, jeder hat exakt prozentual denselben Anteil wie zuvor. Aber dann werden neue Anteile ausgegeben, bis wieder genügend Eigenkapital vorhanden ist. Gleicht jeder Aktionär den ihm zugewiesenen Verlust aus eigener Tasche aus, bleiben die Anteile weiterhin gleich. Kann oder will er dies nicht, sinkt sein Anteil prozentual, nicht jedoch wertmäßig(!).
Und nun wird es kompliziert. Nach unserem Recht müssen 75 Prozent der Aktionäre einer Kapitalerhöhung zustimmen. Tun sie hier aber nicht. Die Altaktionäre, bzw. etwas mehr als ein Viertel von ihnen, wollen ihre Anteile nicht „verwässern“. Und da gibt es zwei Stellschrauben. Zum einen kann man den Kapitalschnitt weniger hart ausfallen lassen. Das bedeutet, dass in den neu zu verkaufenden Aktien immer noch nicht realisierte Verluste stecken. Was wiederum bedeutet, daß sie schwerer an den Mann zu bringen sind. Und die zweite Stellschraube: Man kann bei der Ausgabe neuer Aktien ein sogenanntes Aufgeld verlangen. Der Käufer bezahlt an den Emittenten mehr als den Nennwert der Aktie. Dies empfiehlt sich dann, wenn die Aktie mehr wert ist als der aufgedruckte Wert. Bei gesunden Unternehmen ist das fast immer so. In beiden Fällen muss der Käufer, also hier der Staat, mehr Geld pro Anteil aufwenden.
Und das will er nicht, verständlicherweise. Schließlich ist das das Geld der Steuerzahler, mit dem ja bekanntlich immer sehr pfleglich umgegangen wird. Aber verlangen kann das zunächst niemand, denn der Respekt vor dem Eigentum gebietet, dass eine wirklich große Mehrheit der Aktionäre einer Kapitalmaßnahme wie dieser zustimmen muss. So weit, so gut, und da bei dieser Geldverbrennungsmaschinerie dem Staat das Gezocke auf die Nerven geht, ändert er das halt. Und jetzt sind wir da, wo wir angefangen haben, Enteignung ruft da das Volk, pfui! oder bravo!, je nachdem. Und der Standort Deutschland ist mal wieder in Gefahr.
So ganz verständlich ist dieser Eiertanz nicht. Die Bank ist pleite, die Altaktionäre haben Anteile von etwas, das nur noch einen Bruchteil wert ist von dem, was sie mal bezahlt haben. Das kennt man, leider. Was würde denn nun in den Vereinigten Staaten passieren? Ganz einfach, ohne Liquiditätsspritze ist die Bank fällig für ein Insolvenzverfahren. Sie hat die Wahl zwischen „Chapter 7“ und „Chapter 11“. Diese Namen beziehen sich auf die Numerierung der einzelnen Teile des US bankruptcy code, also des amerikanischen Pendants zu unserer Insolvenzordnung. Lassen wir Chapter 7 außer acht, das ist die Liquidierung. Bei Chapter 11 geht es um Gläubigerschutz für eine Firma, die glaubt, gerettet werden zu können. Gläubigerschutz heißt hier also Schutz vor Gläubigern, nicht Schutz der Gläubiger.
Typischerweise geht so ein Verfahren so aus: Die Firma behält ihr Management, die Gläubiger bekommen vielleicht ein bisschen Geld und den Rest der Forderungen in Form von Anteilen an dem Unternehmen. So werden Arbeitsplätze erhalten und ungesunde Schulden entsorgt. Nach meist zwei Jahren ist das Unternehmen saniert. Nur die Altaktionäre gehen leer aus, denn mit ihren Anteilen ist genau das passiert, was oben beschrieben wurde. Typischerweise sind die Aktien der Altaktionäre tatsächlich nichts mehr wert, keinen Penny. Die Gläubiger sind die neuen Eigentümer. Natürlich gibt es Kritik an diesem System. So operierten 2006 die Hälfte der amerikanischen Fluglinien unter Chapter 11 und lieferten sich und den noch gesunden Unternehmen mit richterlicher Unterstützung weiter einen ruinösen Preiskampf.
Chapter 11 ist nicht der Weisheit letzter Schluss, aber niemand käme in den USA auf die Idee, die Aktionäre für ihre Anteile an einem maroden Unternehmen zu entschädigen. Und da das ganze im Gelobten Land des Kapitalismus stattfindet, schreit auch niemand Enteignung!!!!
Aber wo ist genau der Unterschied?