Pharisäer (2)
Es scheint ein neues Modewort zu sein: asozial… Politiker verwenden sie gerne, diese Wörter. Barbarisch. Ungeheuerlich. Unmenschlich. Nachdem schön zu sehen war (z.B. hier oder hier), dass das Wort asozial immer zumindest wahrgenommen wird, ist davon auszugehen, dass es nicht nur achtlos dahingesagt wird. Soziolekt der Politiker.
Nun hat sich also der Bundestagsvizepräsident Thierse als Demagoge versucht und tief in diese Kiste gegriffen. Das Landesarbeitsgericht Berlin hat seines Erachtens ein „barbarisches Urteil von asozialer Qualität“ gefällt. Damit hat sich Thierse diskreditiert. Aber es lag nicht am Gebrauch von Worten, diese dienten nur der Unterstreichung. Thierses Kritik ist hier entweder vorsätzlich falsch oder Zeugnis erschreckender Borniertheit. Folgerichtig wird bereits sein Kopf gefordert. Natürlich im übertragenen Sinn, wir sind doch keine Barbaren.
Was ist passiert? Eine Kassiererin hat nach Überzeugung des Gerichts eine Unterschlagung begangen. Da es vom Betrag her eher eine Lappalie war, verzichtete der Arbeitgeber auf eine Strafanzeige. Aber es fiel ihm daraufhin schon schwer, ihr weiter zu vertrauen und so wurde die Frau fristlos entlassen. Das ist nachvollziehbar. Nichts anderes hat das Gericht entschieden. Dass es es sich um einen Schuldspruch handle, wie die unehrliche Kassiererin sagt, ist ein Missverständnis. Es ist ein Schiedsspruch. Eine Kassiererin kann das nicht so leicht auseinanderhalten, sie sieht das wohl wirklich so. Ein Bundestagsvizepräsident sollte hier etwas mehr Hintergrund haben. Aber damit nicht genug, er ist nicht allein, wie man der Welt entnimmt:
Auch die Linke übte jetzt Kritik am Urteil des Landesarbeitsgerichts. Die Begründung der Richter sei „von einer unbarmherzigen Sichtweise geprägt, die die existenziellen Arbeitnehmerinteressen vollständig ausblendet“, erklärte Fraktionsvize Wolfgang Neskovic.
Dass sich Neskovic die Blöße gibt und die Folgenlosigkeit von Unterschlagungen geringer Beträge als „existenzielles Arbeitnehmerinteresse“ bezeichnet, ist ein starkes Stück. Er möge bitte angeben, wie weit seines Erachtens die Barmherzigkeit reichen soll, also
bis zu welchem Betrag.
Sonntag 15. März 2009 um 18:50
Inzwischen gibt es das Urteil online…. – für alle, die Informationen aus erster Hand schätzen.
Freitag 11. Juni 2010 um 14:07
[…] Februar 2009 hatte sich die Frage gestellt, wieviel Geld man stehlen darf, wieviel Kollegen man anschwärzen darf und wieviel weitere […]