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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Samstag 17. Mai 2008

Jede Gemeinschaft macht, irgendwie, irgendwo, irgendwann - »gemein«.
Friedrich Wilhelm Nietzsche

 

Vertrauen wir Asozialen?

Jörges, Hans UlrichWas für ein Titel. Einem Asozialen wird man vermutlich prime facie nicht vertrauen. Obwohl: Vertrauen, das ist so eine Sache. Wie ist das zu verstehen? Ist hier die Rede davon, jemandem zu trauen oder auf etwas oder jemanden zu vertrauen? „Trust me“, sagt Arnold Schwarzenegger als Killerroboter in „Terminator“ – und Killerroboter sind in Maßstäben der Sozialität vielleicht doch eher auf dem unteren Teil der Skala zu finden.  Wikipedia muss helfen:

Unter Vertrauen wird die Annahme verstanden, dass Entwicklungen einen positiven oder erwarteten Verlauf nehmen. Ein wichtiges Merkmal ist dabei das Vorhandensein einer Handlungsalternative. Dies unterscheidet Vertrauen von Hoffnung.

Wir sehen: Einen positiven oder erwarteten Verlauf sollen diese Entwicklungen nehmen. In diesem Sinne vertraut also eine Maus darauf, dass die Katze versuchen wird, sie zu fressen, und rennt weg, sobald die Katze kommt. Dabei verzichtet sie auf die Handlungsalternative. Diese wäre hier etwa der Versuch einer Kommunikation gewesen. Was sich rein evolutionär bei Mäusen wohl nicht durchgesetzt hat. Das mäusische Vertrauen in das kätzische Verhalten ist also sicherlich begründet. Möglicherweise ruft die Maus aus dem sicheren Mausloch der Katze noch Freundlichkeiten zu, möglicherweise nennt sie sie „asozial“.

Da gibt es einen Mann, der wollte dies nicht unkommentiert lassen. Er heißt Hans-Ulrich Jörges und ist Mitglied der Chefredaktion des Stern und Chefredakteur für Sonderaufgaben des Verlags Gruner und Jahr. Er verfaßt regelmäßig eine Kolumne für den Stern, die er „Zwischenrufe“ nennt. Ein behutsames und differenzierendes Herantasten an Themen ist seine Sache dabei nicht. Polemiken können durchaus lesenswert sein, wenn sie lustig sind oder geistreich. Po­le­mi­ken können aber auch überheblich, pompös und selbstherrlich sein. Dann eignen sie sich eher dazu, selbst Gegenstand einer Polemik zu werden.

Herrn Jörges hat es jedenfalls gefallen, eine Polemik gegen „Manager von Groß­konzernen“ zu verfassen. Inzwischen online nachzulesen:

Nur noch eine verschwindende Minderheit bekundet Vertrauen in Deutschlands Konzernführer – ihr Ansehen rangiert ganz unten, noch hinter dem des Zentralrats der Muslime. Politik und Wirtschaft müssen handeln.
Der Duden definiert „asozial“ als „unfähig zum Leben in der Gemeinschaft“ oder „am Rand der Gesellschaft lebend“. Nachdem Post-Chef Klaus Zumwinkel als vermögender Steuerflüchtling aufgeflogen war, sprach Hubertus Heil, Generalsekretär der SPD und wahrhaft kein Linker, von einer Gruppe „neuer Asozialer“, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichere. Das löste Empörung aus bei Spitzenmanagern – verständlich. Dennoch hat Heil nicht ganz unrecht. Denn die Deutschen, eine bestürzend große Mehrheit von ihnen, hat die Manager in der Tat als Kaste ausgegrenzt, an den Rand der Gesellschaft gerückt. Eine Erhebung, die ich im April beim Berliner Forsa-Institut in Auftrag gegeben habe, eine repräsentative Umfrage unter 1004 Bundesbürgern über Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen, offenbart: Nur noch neun Prozent der Deutschen haben „großes Vertrauen“ in „Manager von Großkonzernen“.

Unter Berufung auf den Duden wird dem Wort „asozial“ eine neue Bedeutung gegeben. „Am Rande der Gesellschaft lebend“. Das ist nicht das, was man fühlt, wenn man „asozial“ hört. Welcher Rand ist hier gemeint? Und es heißt, „am Rand“, aber nicht drin („unfähig zum Leben in der Gemeinschaft“). Damit ist topologisch klar, daß hier „außerhalb“ gemeint ist. Außerhalb der Gemeinschaft? Aber welcher Gemeinschaft, bitte? Von „irgendwie uns allen“?

Es liegt nahe, dieses fürchterliche Wort einfach zu meiden. Dann ist man auch vor historischen Vergleichen gefeit. Der Vorwurf der Asozialität diente im Dritten Reich als Begründung, be­stimm­te Menschen in Konzentrationslager zu schaffen. Aber nicht nur in graubrauner Ver­gan­gen­heit: In der DDR wurden Nonkonformisten, Regimekritiker oder Christen ebenfalls als Asoziale bezeichnet und damit sprachlich bereits vor dem Stasi-Zugriff aus der Gemeinschaft entfernt. Wer leichtfertig „asozial“ sagt, darf nicht mit der Wimper zucken, wenn von Volks­schäd­lingen und Unter­menschen die Rede ist. Wieso man für eine derartige Wortwahl eher links einzustufen wäre, bleibt Jörges‘ Geheimnis. Die Ausdrucksweise von Herrn Heil jedenfalls ist weiterhin unvergessen

Herr Jörges wollte es noch genauer wissen und hat 1004 Bundesbürger befragen lassen, von Forsa. Streiten wir nicht darüber, ob es repräsentativ ist, wenn man nur rund jeden 80.000sten Bürger befragt – das hieße ja, mit nicht einmal 20 Teilnehmern alle Münchener kennen zu wollen. Wundern wir uns auch nicht darüber, dass, wie immer, die eigentlichen Fragen nicht verraten werden. Wurde gefragt „Wem vertrauen Sie am meisten“? Oder wurde gefragt „Schreiben Sie bitte 100 Berufsstände auf, denen Sie vertrauen“? Oder „Wählen Sie bitte fünf Berufe aus der folgenden Liste…“. Das wurde ja schon einmal den Buchhändlern zum sta­ti­sti­schen Verhängnis… Man sieht, diese Statistik hat selbst ein Vertrauensproblem.

Kommen wir also zurück zum Vertrauen: Ich vertraue generell darauf, dass Altruisten selten in den Vorstand von Großkonzernen berufen werden. Ich vertraue Herrn Mehdorn, dass er das tut, wofür er eingestellt wurde. Nicht dafür jedenfalls, dass er sich den Kopf darüber zerbricht, wie man Mitarbeiter glücklich macht, ohne dabei wenigstens die Produktivität zu erhöhen. Oder wie Trans­porte in Deutschland besonders umweltverträglich oder ressourcenschonend durchgeführt werden, es sei denn, man kann so Geld sparen oder mehr davon verdienen. Das heißt, ich treffe Annahmen, und wenn diese erfüllt werden, ist mein Vertrauen bestätigt. Und das sollen nur neun Prozent der Befragten kapiert haben?

Aber nun die Volte: Wenn nur neun Prozent der Bürger den Managern vertrauen, dann sind diese am Rand der Gesellschaft, ergo asozial. Zumindest für die Rhetorik des Herrn Jörges. Da fragt man sich, wieviele Menschen eigentlich Journalisten vertrauen und erinnert sich an eine nette Geschichte über die Qualität von Recherchen, gefunden bei Stefan Niggemeier in dessen sehr lesenswertem Blog… Nach dieser Lektüre vertraut man vermutlich nur noch 9% der Journalisten.

Sind Journalisten damit auch asozial?

 

Ein Kommentar zu “Vertrauen wir Asozialen?”

  1. SvB-Blog » Blogarchiv » Pharisäer (2) sagt:

    […] Wir greifen sie wieder auf, diese Wörter: Barbarisch. Ungeheuerlich. Unmenschlich. Asozial…. […]

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