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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Donnerstag 13. März 2008

Ehe man anfängt, seine Feinde zu lieben, sollte man seine Freunde besser behandeln.
Mark Twain

 

Heiteres Beruferaten

Herbert MarcuseEs gibt eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, die sich dafür interessiert, wie angesehen die einzelnen Berufe in Deutschland sind. Diese Studie wird regelmäßig dafür verwendet, in den Tageszeitungen die weissen Stellen der Rubrik „Vermischtes“ zu füllen. Was schade ist, denn die Studie bringt Erkenntnisse.

Es beginnt schon damit, wer denn der Sieger ist. Und es ist, wer hätte es gedacht, der Beruf des Arztes mit 78% (2005: 71%, 2003: 72%). Das verblüfft. Haben wir doch erst gelernt, dass es nur der Arzt zu etwas bringt, der unternehmerisches Geschick hat, und das widerspricht in der gemeinen Vorstellung der Berufung. Aber gönnen wir es den Ärzten, ich kenne viele, die diese Wertung verdient haben.

Die Pfarrer sind mit 39% (2005: 34%, 2003: 39%) wieder auf einen sehr hohen Niveau, Platz 2. Man bringt ihnen also Achtung entgegen, ignoriert die schrecklichen Meldungen über Päderasten bzw. stuft sie korrekt als Einzelfälle ein und schätzt sie, obwohl man ihre Dienste statistisch gesehen selten nutzt – über Pfarrer reden Menschen, die seit einer kleinen Ewigkeit nicht mehr in der Kirche waren. Sei‘s drum, auch den Pfarrern sei es gegönnt.

Mit Freude stelle ich fest, dass der Unternehmer, mein Beruf, angesehener ist, als ich gedacht hätte (2008: 31%, 2005: 21%, 2003: 30%). Damit ist es nicht so schlimm, dass ich nicht Hochschulprofessor geworden bin (34%) oder  Diplomat (nur 25%!) und es ist eher ein Glück, dass ich meinen Beruf als Journalist 1992 an den Nagel gehängt habe (nur 11%).

Dass es die Politiker nur auf 6% bringen, überrascht nicht, und dass die Gewerkschaftsführer seit 2003 jeweils im Zweijahresrhythmus um ein Prozent steigen, trotz (oder wegen?) der Streiks und des nur schwer nachvollziehbaren Hickhacks um die Lokführer verblüfft nicht angesichts der absoluten Positionierung (2008: 8%, 2005: 7%, 2003: 6%). Klar, dass sie vor den Politikern liegen.

Der endgültige Zweifel kommt aber auf, schaut man an das Ende der Skala. Wer steht da? Der Autohändler? Der Immobilienmakler? Der Pfandleiher? Der Gullitaucher? Der Zuhälter? Der bankgeheimnisbrechende Datenverschacherer? Nein, es ist ein Mensch, der einen absolut untadeligen und wichtigen, aber vielleicht auch ein bisschen unspektakulären Beruf ausübt, nämlich der Buchhändler. Und schon versteht man die Qualität der Studie etwas besser. Das Problem ist nicht, dass nur etwa 1000 Leute befragt werden. Der Mikrozensus funktioniert besser, als man denkt. 

Das Problem steckt in der Art der Fragestellung. Da stand nicht: „Was ist für Sie der wichtigste Beruf?“ oder „Hier ist eine Liste mit 100 Berufen, bitte sortieren sie diese nach Reputation“, sondern, und das war wörtlich die Frage:

Hier sind einige Berufe aufgeschrieben. Könnten Sie bitte die fünf davon heraussuchen, die Sie am meisten schätzen, vor denen Sie am meisten Achtung haben?

Hätte nun jeder die Liste komplett durchsortiert, wären die armen Buchhändler sicher meistens etwa in der Mitte gelandet und damit im Ergebnis auch eher in der Mitte(!). Die Ärzte sicher weiterhin ganz vorne. Aber bereits bei den Grundschullehrern bin ich nicht mehr so sicher, die es in 33% der Fälle in die Top 5 geschafft haben und ganz nahe bei den Hochschulprofessoren (34%) liegen. Aber „1000 mal in der Mitte“ heisst bei dieser Methode „Schlusslicht“. Dieser Effekt gibt zu denken. Ich rufe die Buchhändler zu Zeugen auf gegen diese Art von Statistik.

Und ich denke an Herbert Marcuse, der diesen Effekt indirekt beschrieben hat in seiner „Kritik der reinen Toleranz“. Eine tolerante Gesellschaft wird zu hundert Prozent das tun, was mehrheitlich beschlossen wird, also auch von nur etwas über 50%. Und zwar ständig. Das heisst, dass möglicherweise 40% dauerhaft ignoriert werden. Und derselbe Mechanismus macht aus ehrbaren Buchhändlern Parias. Lassen wir Marcuse selbst zu Wort kommen. Der Text ist von 1965, da gab es noch „Neger“ und nicht „Menschen ohne Melanin-Mangel“, nicht erschrecken:

[… Man wird] jenen Minderheiten, die bestrebt sind, das Ganze selbst zu ändern, unter optimalen Bedingungen (die selten herrschen) gestatten, Erwägungen anzustellen und zu diskutieren, zu sprechen und sich zu versammeln – und diese werden angesichts der überwältigenden Mehrheit, die sich einer qualitativen gesellschaftlichen Änderung widersetzt, harmlos und hilflos dastehen. Diese Mehrheit ist fest gegründet in der zunehmenden Befriedigung der Bedürfnisse sowie der technologischen und geistigen Gleichschaltung, die die allgemeine Hilflosigkeit radikaler Gruppen in einem gut funktionierenden Gesellschaftssystem bezeugen. In der Überflußgesellschaft herrscht Diskussion im Überfluß, und im etablierten Rahmen ist sie weitgehend tolerant. Alle Standpunkte lassen sich vernehmen: der Kommunist und der Faschist, der Linke und der Rechte, der Weiße und der Neger, die Kreuzzügler für Aufrüstung und die für Abrüstung.

Erwähnt sei noch, was mir auch gefällt und was vielen seiner Jünger vielleicht nicht so bewusst ist. Nämlich, wie er sie nennt: 

Die „Kreuzzügler für die Abrüstung“

 

2 Kommentare zu “Heiteres Beruferaten”

  1. SvB-Blog » Blogarchiv » Die digitale Kluft sagt:

    […] Aha, ein Alarmsignal. 67 Personen mit Abitur versenden EMails, Menschen mit Haupt­schul­abschluss nur 30 Prozent. Was sagt uns so eine Statistik? Die Hauptschüler schreiben lieber altmodische Briefe auf Papier?Oder sie schreiben vielleicht einfach generell weniger als Abiturienten, weil es nicht ihre bevorzugte Kommunikationsform ist. Wie sieht es denn aus mit SMS? Egal. Tolle Statistik, das erinnert mich an die armen Buchhändler. […]

  2. SvB-Blog » Blogarchiv » Schwarz ist eine Farbe sagt:

    […] statistisch sollte also rund jeder zwölfte Präsident schwarz sein. Nach Herbert Marcuse (siehe: Heiteres Beruferaten) wissen wir, dass normalerweise die Minderheit nicht ihrem Anteil entsprechend, sondern eher […]

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