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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Donnerstag 24. April 2008

Die Globalisierung der Wirtschaft ist eine Tatsache. Aber ich fürchte, dass wir ihre Anfälligkeit unterschätzt haben. Die Erweiterung der Märkte übersteigt bei weitem die Fähigkeit der Gesellschaften und ihrer politischen Systeme, sich daran anzupassen, geschweige denn ihren Kurs zu bestimmen.
Kofi Annan

 

Die digitale Kluft

Beim NDR gefunden:

Branchenverband kritisiert „digitale Kluft“ in Deutschland

NDR-Graphik © picture-alliance/NewscomDie „digitale Kluft“ in Deutschland ist nach Ansicht des Präsidenten des Bundesverbandes Informationswirtschaft Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM), August-Wilhelm Scheer, weiterhin groß. „Bildungsferne Schichten“ hätten zu Hause seltener einen Internet-Anschluss. Deutlich werde das am Beispiel der E-Mail-Nutzung: Laut einer Studie in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa versenden 67 Prozent aller Personen mit Abitur E-Mails, während Menschen mit Hauptschulabschluss auf gerade einmal 30 Prozent kommen. Scheer gibt der Politik eine Mitschuld: „Die IT-Ausstattung der deutschen Schulen ist so schlecht wie in kaum einem anderen europäischen Land. Dabei sind grundlegende IT-Kenntnisse und -Erfahrungen in den meisten Berufen heute Standard.“

Aha, ein Alarmsignal. 67 Personen mit Abitur versenden EMails, Menschen mit Haupt­schul­abschluss nur 30 Prozent. Was sagt uns so eine Statistik? Die Hauptschüler schreiben lieber altmodische Briefe auf Papier?Oder sie schreiben vielleicht einfach generell weniger als Abiturienten, weil es nicht ihre bevorzugte Kommunikationsform ist. Wie sieht es denn aus mit SMS? Egal. Tolle Statistik, das erinnert mich an die armen Buchhändler.

Aber sei’s drum. Bildungsferne Schichten. Nennen wir sie der Kürze halber „Bifeschis“. Bifeschis haben daheim also seltener einen Internetanschluss. Klar. Vermutlich haben Bifeschis auch keinen Brockhaus daheim, ohne dass der Verband der Konversationslexikaverleger (VdKLV) die gedruckte Kluft beschwört. Wo genau steckt denn nun das Problem?

Herr Scheer hat einen Übeltäter schnell ausgemacht: Die Bildungspolitik. Unsere Schulen haben eine derart schlechte IT-Ausstattung wie kaum ein anderes Land in Europa? Recht so. Die Kinder kommen auch ohne schulische Hilfe auf die Idee, dass sich noch nie in der Geschichte Hausaufgaben so leicht erledigen liessen wie heute dank des Internet. Und wenn die Bifeschis wüssten, dass man im Internet den ganzen Tag auch flirten, ziemlich sinnfrei chatten und letztlich auch zocken kann, würde ihnen bewußt, was ihnen entgeht. Nicht für die Schule sollen wir lernen: Wer schon in der Schule keinen PC hat, wird später sein Hartz IV nicht als eBay-Powerseller aufbessern.

So ein Unsinn. Die Schule soll dazu dienen, Kindern auf dem Weg, junge Erwachsene zu werden, Rüstzeug an die Hand zu geben. Ihnen Bildung näherzubringen. Charakter zu formen. Grundlagen der Ethik zu stärken oder zu sähen. Freude an Wissen zu wecken. Überall dort, wo das Elternhaus nicht der einzige Impulsgeber sein kann oder darf. So manches Elternhaus verhagelt den Kindern sonst vielleicht die Chancengleichheit.

Somit ist es vermutlich nachgerade kontraproduktiv, in diesem Zusammenhang zu fordern, Bifeschis sollten sich lieber vor den Computer setzen als die Zeit mit ihren Freunden zu verbringen. Soll man Bildungsferne durch Kontaktarmut ersetzen? Schliesslich, wir erinnern uns, müssen Abiturienten doppelt so viel Emails schreiben wie Hauptschüler, um ihre Kontakte zu pflegen.

Aber man muss sehen, wer da spricht. Es ist sicher im Sinne der meisten Mitglieder des BITKOM eV, den Politikern nahezulegen, mehr in die IT-Aus­stattung der Schulen zu stecken und Internet­anschlüsse für alle zu fördern. Insofern ist die Rede verständlich und die verbands­politische Vor­ein­ge­nom­men­heit des Redners so klar offen­gelegt, dass sich nichts Tadelns­wertes dabei finden läßt.

Aber vielleicht ist es an der Zeit, zu überlegen, woher denn das Bild mit der digitalen Kluft kommt: Dahinter steckt zunächst ein Artikel des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Anan, „On The Digital Divide“, nachzulesen im Original. Daraus wurde eine Initiative, diese Kluft zu überwinden, um die Ärmsten der Erde nicht noch weiter von den globalen Märkten auszuschließen. Es gibt Gegenden, wo ein auch nur gelegentlicher Zugriff auf ein Telephon oder eine Emailstation in einem eine Tagesreise entfernten Ort eine bescheidene wirtschaftliche Existenz gründen half, aus der bisweilen ganze Dörfer prosperieren konnten. Bei der Bekämpfung der digitalen Kluft geht es also um Fairness und Chancen.

Bei uns kostet ein PC gebraucht 50 Euro. Bei eBay – ok, eine kleine Hürde, wenn man keinen Internetanschluss hat. Eine Stunde im Internetcafe kostet ein paar Euro, in Bibliotheken vielleicht nichts. Und der Internetanschluss kostet faktisch nichts, sofern man Telephon und Internet zusammen kauft. Es muss ja nicht gleich ein Internetanschluss sein, mit dem man gleichzeitig zwei Sender in HDTV empfangen kann. Selbst in den Warenkorb der Sozialhilfe wurde ein Telekommunikationsbudget aufgenommen. Wer da nicht mitmacht, scheitert jedenfalls nicht an der Stelle, die Herr Anan meinte.

Möglicherweise haben wir ihn verloren,

den Blick fürs Wesentliche. 

 

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