Ekelhaft
So so, ein Politiker als Pädophiler entlarvt, wunderbar, das geschieht ihm recht, die Politiker sind ja die schlimmsten, etc. etc.
Stop! Da steht ja sein Name. Jörg Tauss. Wieviele Leute heissen wohl so und haben ihren Wahlkreis in Karlsruhe? Aber der kann es ja gar nicht sein. Ich kenne ihn seit bald 20 Jahren. Anständiger Kerl. Unvorstellbar, dass die Vorwürfe einer Belastung standhalten. Wie kommt es zu den Anschuldigungen? Eine Handynummer eines Pädophilen hat er angerufen. Mehrfach. Na toll, wenn er deshalb dran ist, dann kann ich warten, dass ich auch Ärger kriege, denn ich habe Jörg Tauss angerufen. Mehrfach. Zuletzt im Januar.
Jörg Tauss war, seit ich mich erinnere, immer ein kompetenter Fachmann für Bürgerrechte auf der Datenautobahn. So kompetent, dass er den Job für die vor zehn Jahren noch völlig ahnungslose FDP gleich miterledigen musste. Und er kennt sich aus. Er hat noch sein Modem selbst konfiguriert und heute weiss er, was technisch machbar ist und was derzeit schon an Daten gesammelt wird.
Stop!! Dann kann das ja nicht der Tauss sein, den ich kenne. Der hätte sich niemals so ungeschickt angestellt, wenn er bewußt etwas Illegales getan hätte. Etwas so erschütternd Illegales, dass sein ganzes bisheriges Leben beendet wäre zu dem Zeitpunkt, wo die Sache ruchbar wird – und das unverschlüsselt, ohne Anonymisierer? Da ist etwas faul. Man kann spekulieren, ob er bei seinen Recherchen zu weit gegangen ist, oder man läßt es. Es bleibt dennoch dabei, hier wird van Helsing des Vampirismus bezichtigt.
Aber ist er nicht doch schuldig? Es stand doch in der Zeitung… Stop!!! Es waren nur die üblichen Verdächtigen. Focus Online. Spiegel Online. Stern Online. Und, besonders schlimm, AZ. Wer solchen Quellen vertraut, BILDet sich keine eigene Meinung. In der AZ stand glatt:
Kinderpornografie-Verdacht gegen SPD-Mann: Ermittler werden fündig
Ausgerechnet der Internet-Experte der SPD muss sich einem massiven Vorwurf stellen: Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ermittelt gegen den Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss wegen des Verdachts der Kinderpornografie. Tauss gilt als politischer Experte für dieses Gebiet.
Ermittler werden fündig!?! Was für eine gemeine Überschrift. So gesehen werden Ermittler immer „fündig“, und wenn sie nach den Ermittlungen nur heimfinden. Weiter unten wird relativiert. Nur liest selten einer so weit, der eigentliche Knüller steht doch schon oben. Aber unten heißt es:
Und dennoch: Nicht einmal die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass damit Tauss schon überführt ist. Es könne sich auch ergeben, dass dieser „komplett unschuldig“ sei, sagte ein Sprecher.
Schon wieder: Stop!!!! Er ist doch Bundestagsabgeordneter. Jemand, dessen Immunität doch nur in wirklich wohlbegründeten Fällen aufgehoben wird. Das kennt er. Schon vor ein paar Jahren wurde seine Immunität geopfert, wegen einer anonymen(!) Steueranzeige. Die sich im folgenden als haltlos erwies. Und sieheda, seine Immunität wurde dieses Mal wieder sofort aufgehoben. Bedenkzeit: Ungefähr so lang wie man braucht, einen Stempel auf ein Formular zu drücken und eine schwungvolle Unterschrift zu malen. Sagt meine Intuition, beweisen kann ich es nicht.
Schwer verständlich auch, mit welchem Recht offenbar der noch immune Abgeordnete ausgeforscht worden war. Die Hausdurchsuchung war natürlich nach der Aufhebung der Immunität. Also waren bereits vorher schon alle möglichen Daten gesammelt worden. Eine gezielte Ermittlung, zu einem Zeitpunkt, als die Immunität noch galt?
Die ganze Sache ist eine Katastrophe. Eigentlich sollte an dieser Stelle der folgende Artikel aus dem Focus im Schwerpunkt stehen:
Der Traum von der Internetsperrung
Eigentlich wollte Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen die Provider zur Sperre von Kinderpornoseiten verpflichten. Sie scheint vorerst gescheitert.
Wenn es um Kinderpornografie geht, schlagen die Emotionen schnell hoch. „Missbrauch des Missbrauchs von Kindern“, schimpfte der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss, nachdem die Familienministerin im vergangenen Oktober zum ersten Mal mit dem ambitionierten Ziel an die Presse gegangen war, sie wolle die „Datenautobahn der Kinderpornografie“ schließen. Ihre Idee: Das Bundeskriminalamt habe eine Liste mit mehr als 1000 illegalen Seiten, auf denen kinderpornografische Abbildungen und Filme angeboten würde. Diese Seiten sollten in Zukunft von deutschen Providern für ihre Kunden gesperrt werden.
Von der Leyens Vorstoß, so Tauss, sei eine „reine Wahlkampfshow“. Die CDU-Abgeordnete Ilse Falk schoss scharf gegen die Kritiker zurück: Solche Äußerungen seien ein „verantwortungsloses Störfeuer“ und warf den Gegnern der geplanten Maßnahmen vor, die „Interessen von skrupellosen Geschäftemachern“ über den Schutz der Kinder zu stellen. Mit etwas gutem Willen seien die rechtlichen Fragen schnell zu klären.
Wie schön, ich hatte mich schon so auf eine beißende Spottglosse an die Adresse dieser von Wissen völlig unbelasteten Politikerin Falk gefreut. Die, wie man sieht, nur mein Blog hätte lesen müssen. Oder irgendein Blog zu dem Thema. Dann wäre ihre Aussage nicht so peinlich ausgefallen. Und chapeau! hätte ich gerufen, darauf hingewiesen, dass Jörg Tauss beweist, dass der Schluß von Politiker auf Ahnungslosigkeit nicht wirklich zwingend ist. Aber nun dies.
Man muss nicht paranoid sein, um Verschwörung zu wittern. Aber es hilft, wie man bei fefe lesen kann. Dass Tauss in der eigenen Partei bereits genug Feinde hat, sieht man daran, dass er für die SPD schon länger nicht mehr als Datenschutzexperte auftritt. Abgesetzt, ausgetauscht, Opfer eines parteiinternen Machtgerangels, Schicksal eines Unbequemen, strategisches Harakiri der SPD. So ist es nicht mehr so erstaunlich, daß seine Partei-„Freunde“ es kaum abwarten konnten. Gerade, daß sich die Knallpresse in Vorverurteilungen erging, schon forderten sie den Rücktritt. Nicht nur von allen Ämtern, auch die Rückgabe des Mandats wird verlangt, nachzulesen bei der Onlineausgabe des Kölner Stadtanzeigers. Vorsicht ist angebracht, vielleicht phantasiert der Kölner Stadtanzeiger ja nur („Fraktionskreise“). Aber wenn nicht, ist das nicht nur frech, sondern auch menschlich mies. Was ist aus der Unschuldsvermutung geworden?
Der Schaden ist nicht wieder gut zu machen. Wer stoppt denn nun die Schäubles und von der Leyens in Berlin? Tauss nicht mehr. Seine Unschuld muss er nicht beweisen. Nicht weil ihm eigentlich zuerst eine Schuld nachgewiesen werden müßte. Sondern weil es nichts bringt. Die Knallpresse wird seinen Namen nie mehr nennen, ohne von einer Verwicklung in die Kinderporno-Affaire zu raunen. Paranoia? Wieso steht dann heute schon in so vielen Veröffentlichungen ein Hinweis auf seine „Verwicklung“ in eine Steuerhinterziehungssache? (Wir erinnern uns: Anonyme Anzeige, Einstellung des Verfahrens, viel Lärm um nichts).
Er wird nie wieder für die Dinge kämpfen können, für die er bisher gekämpft hat. Zumindest nicht erfolgreich. Und da wundert sich jemand, dass sofort Verschwörungstheorien kursieren? So weit muß man nicht gehen. Lancierte Berichte, untergeschobenes belastendes Material, gefälschte Beweise, so weit ist es hier nicht. Es bleibt „politischer Mord“, italienische Verhältnisse zur Zeit Garibaldis. Und die Bereitwilligkeit, einen unbequemen Kollegen durch äußerst willfährige Aufhebung der Immunität loszuwerden, ist ekelhaft.
So ekelhaft wie das ganze Thema.
Bildquelle: blog.spd-bw.de
Montag 9. März 2009 um 01:52
[…] Unter den Bloggern ist sich Sebastian v. Bomhard seiner Sache bzw. der von Tauss sicher. Er schreibt: […]