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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Dienstag 13. Oktober 2009

Pass auf, daß deine Bibliothek nicht gebildeter ist als du selbst!
Caecilius Balbus

 

Kindle auf der Flucht

feat-read-in-sunlight-300px._V251249384_Nehmen wir an, Sie kaufen ein Buch. Nun stellt sich heraus, daß eine der Geschichten in dem Buch geklaut war. Der Verlag kommt in Schwierigkeiten – ein Gericht zwingt ihn dazu, die betreffenden Passagen zu löschen. Was tut der Verlag? Nun, entweder er kassiert die ganze Auflage wieder oder aber er schwärzt die Passagen. Dann schaut das Buch zwar aus wie damals „Esra“ von Maxim Biller, aber es darf wenigstens ausgeliefert werden.

Aber dem Gericht ist das nicht genug, auch die bereits ausgelieferten Exemplare müssen nachgeschwärzt werden. Unmöglich! Sicher? Was würden Sie sagen, wenn ein Verlagsmitarbeiter in Ihr Haus einstiege, in die Bibliothek vordringen würde, dort ein Buch zur Hand nähme und bestimmte Seiten herausrisse? Sie wären sehr ärgerlich, aber so richtig vorstellen können Sie es sich nicht. Nun…

Wir leben ja in Zeiten der technischen Revolutionen. Verlagsmitarbeiter steigen nicht in Häuser ein, zumindest nicht im real life. In der Virtualität hingegen ist das etwas anderes. Über die Plattform Amazon hatte ein Schüler zwei Bücher gekauft, „1984“ und „Animal Farm“, beide von George Orwell. Nur wollte er die Bücher nicht auf Papier, sondern auf seinen „Kindle“ zugestellt bekommen. Das ist noch eine recht junge Methode, Bücher zu konsumieren, diese „Kindles“ gibt es erst seit November 2007, und das auch nur in den Vereinigten Staaten, nicht jedoch bei uns in Deutschland. Das hat nicht den Grund darin, daß wir als Nation ein besonders inniges Verhältnis zu bedrucktem Papier hätten, nein, es scheiterte an der Gier der Mobilfunkbetreiber, die an der Bücher-Herunterladerei mehr verdienen wollten, als Amazon zu zahlen bereit war, also jedenfalls erheblich mehr als in den Staaten. (Quelle: lesen.net).

Der Schüler kaufte also die beiden Bücher und bezahlte sie. Aber Amazon hätte sie nicht verkaufen dürfen, denn der Verlag, der Amazon nutzte, hatte nicht die erforderlichen Rechte. Amazon wurde also, wie sich die Sache darstellt, von einem Gericht verurteilt, diesen Kauf ungeschehen zu machen. Was sie auch taten, sie löschten einfach die Bücher wieder herunter vom Kindle und erstatteten den Kaufpreis. Aber so einfach sollte es nicht sein. Der Schüler hatte nämlich inzwischen seinerseits angefangen, in den Büchern Notizen zu machen. Notizen für einen Aufsatz, für die Schule. Und die waren weg, was die Hausaufgaben etwas erschwerte.

Nun wurde Amazon von einem amerikanisches Gericht verurteilt, 150.000 USD Schadensersatz wurden fällig. Nun, das ist Amerika, da wissen wir einfach nicht, wieviel davon der Schüler bekam und wieviel der Anwalt, aber die Summe ist erstaunlich. Noch erstaunlicher ist zunächst die öffentlich zur Schau gestellte Zerknirschtheit von Amazon-Gründer Jeff Bezos, der die Löschaktion im Kindle-Nutzerforum offensichtlich nicht herunterspielen wollte. Er bezeichnete die Aktion als „dumm und gedankenlos“, als einen „schmerzhaften Fehler“. Die Maßnahme  sei nicht mit der Unternehmensphilosophie vereinbar und werde sich garantiert niemals wiederholen. Bei näherer Betrachtung blieb ihm auch nichts anderes mehr übrig, denn Bücher sind doch etwas ziemlich privates. Wer löschen kann, kann auch mitlesen, wird der Nutzer denken, und schon ist er nicht mehr allein mit seinem Buch, wenn er etwas hineinkritzeln will, das vielleicht seiner momentanen Stimmung entspricht. Andererseits aber heißt das natürlich, es sei ein dummer und gedankenloser Fehler gewesen, die Entscheidung jenes Gerichts anzunehmen, das ihn eben zu dieser Löscherei verurteilt hatte?

Nichts ist einfach hier, aber ein paar Dinge sind doch festzuhalten:

  1. Es gibt tatsächlich Leute, die diese Kindles nutzen
  2. Noch immer werden Jahr für Jahr Hausaufgaben zu den Themen „1984“ und „Animal Farm“ geschrieben.
  3. Eine Hausaufgabe kann 150.000 Dollar wert sein. Besser gesagt, sogar nur die Recherche dazu ist so teuer. Was kostet denn dann bitte der ganze Aufsatz?
  4. Amerikanische Schüler gehen in so einem Fall vor Gericht. Deutsche Schüler nehmen das Ereignis vermutlich eher zum Anlaß, mit der coolsten Ausrede aller Zeiten zum Schulhelden zu werden („Ich habe einen langen Aufsatz geschrieben, aber dann kam Amazon und hat ihn gelöscht“ ist einfach kreativer und glaubwürdiger als das weitverbreitete „Der Hund hat meinen Aufsatz gefressen“).

Was der Sache aber endgültigen Reiz verleiht, ist das Buch, um das es da ging:

Mußte es wirklich ausgerechnet „1984“ sein?

Bildquelle: Amazon.com/Kindle

 

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