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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Sonntag 17. April 2011

Eine Gefährdung besteht nur in einem Umkreis von dreißig bis vierzig Kilometer um den Reaktor herum; dort ist sie hoch.
Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (1986)

 

Lieber Haare spalten als Atome?

Beim Stichwort Japan denkt derzeit die ganze Welt an eine Reihe schlimmer Erdbeben, gefolgt von einem verheerenden Tsunami. Die ganze Welt? Wir Deutsche denken sofort an die havarierten Kernreaktoren von Fukushima. Wieso ist das so? Kaum jemand bei uns ist heute für Atomkraft, allenfalls hinter verschlossenen Türen läßt ein wackerer Wirtschaftminister durchblicken, daß er die offizielle Politik nicht für rational hält. Auch wenn das Geschrei groß war: Diese Aussage ist meßbar richtig. Rational ist etwas anderes.

Befragt man die Menschen bei uns, was sie eigentlich gegen die Atomkraft hätten, kommen die unterschiedlichsten Argumente. Putzig ist es, wenn kleine Mädchen in der Fußgängerzone Unterschriften sammeln gegen Atomkraft. Bessere Belege für Indoktrination finden man kaum – was verstehen kleine Mädchen schon von Energiepolitik? Aber, und da endet bereits die gute Laune, wer versteht überhaupt etwas von Energiepolitik und ist gleichzeitig ehrlich, moralisch und rational?

Einfach ist hier zunächst garnichts. Wie es aussieht, ist Deutschland ja auch auf einem energiepolitischen Sonderweg. Sind wir die einzigen, die recht haben? In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung äußert sich der Klimaforscher Barry Brook kritisch zum deutschen Atomausstieg. Für ihn sind die Kohlekraftwerke die eigentliche Bedrohung. Und die deutsche Reaktion? Das sei ja ein Australier, dem habe wegen des Ozonlochs vermutlich schon zu lange die Sonne auf das Hirn geschienen. Und wirklich, „atomfreundliche“ Aussagen in deutscher Sprache sind derzeit nur schwer vorstellbar.

In Fragen der Kernkraft geht es bei uns um die Verletzung von Tabus. Eine ehrliche Diskussion hat es bereits zu den Zeiten des Atomministers Strauß nicht mehr gegeben. Das war zunächst nicht nur bei uns so. Die Briten hatten bereits 1957 einen ernsthaften Störfall in Windscale und ließen das betroffene Gelände einfach verschwinden. Heute sucht man Windscale auf der Karte vergeblich, es wurde schlicht in Sellafield umgenannt. Dann 1979, Harrisburg, USA. Nach offiziellen amerikanischen Darstellungen kam niemand ums Leben. So ganz mag man das nicht glauben, aber das Unglück wurde so gekonnt heruntergespielt, daß heute ständig zu lesen ist, das Unglück in Japan sei die erste ernstzunehmende Havarie in einem westlichen, hochentwickelten Land gewesen. Glückwunsch an die amerikanische Atompropaganda.

Unter ernstzunehmender Havarie denken wir in Deutschland sofort an Tschernobyl. Das war 1986, aber wer es erlebt hat, vergißt es nicht. Vielleicht war es das Verhalten der deutschen Politiker damals, was die generelle Ablehnung der Atomenergie in Deutschland ausgelöst hat. Noch während der verängstigte Bürger versuchte, Geigerzähler zu kaufen und versuchte zu verstehen, was ein Becquerel ist und wieviel man davon verträgt, spielten die Politiker die Situation in dem Maß herunter, wie es die Anti-AKW-Bewegung für ihre Zwecke ausschlachtete. Beides war nicht sonderlich hilfreich. Polemik ist hinderlich bei der Lösung von Problemen – hier kam aber eine unötige und unsinnige Gefährdung der Bevölkerung aus rein propagandistischen Gründen hinzu.

Über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war Radioaktivität etwas Gutes. Man glaubt es kaum, aber damals gab es sogar radioaktive Zahnpaste zu kaufen, für strahlende Zähne. Kein Witz. Die ersten mahnenden Stimmen wurden nach den schrecklichen Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki laut. Irgendwann war klar, mithilfe der im Atom weckbaren Energie hatte die Menschheit die Möglichkeit, sich komplett auszulöschen. Wer vor 1989 bereits denken und fühlen konnte, hat das Bild des Atompilz vor Augen, auf die eine oder andere Weise. „Atom“ war ein schlimmes Wort. Neue Wörter mußten her. So entstand der Begriff von der „friedlichen Nutzung von Kernenergie“. Ein durchaus eleganter Sprachtrick – aber erfolglos, die Anti-AKW-Bewegung hält am Atom als Begriff fest. Und so kommt es, daß man heute – welch sprachlicher Horror – aus Atomen aussteigen kann wie aus Taxis und die oben erwähnten kleinen Mädchen „gegen Atom“ sind.

Zurück zum Thema: Wieso nun stehen wir Deutschen in dieser Frage so isoliert? Weil die anderen zu dumm, uninformiert, borniert, vom Lobbyismus eingelullt sind? Oder ist es vielleicht genau umgekehrt? Sehen wir nur einen Ausschnitt der Welt, fokussiert auf Reizthemen, so wie in Japan, siehe oben? Kein Zweifel dürfte daran bestehen, daß die Energiepolitik mehr ist als die Frage nach Kernkraftwerken. Vielmehr wird es darum gehen, wie wir unseren Lebensstandard halten können, wenn möglich, und das natürlich, ohne den Planeten auszuplündern und nachfolgenden Generationen schreckliche Lasten aufzubürden.

Was spricht nun wirklich gegen Kernenergie? Daß hier schnell Flugzeugabstürze und Terrorismus genannt werden, ist erstaunlich. Das spricht nicht gegen Kernenergie, sondern gegen Terrorismus. Aus Angst vor einer abstrakten Gefährdung sind wir bereit, konkret überflüssigen CO2-Ausstoß zu akzeptieren? Ein besseres Argument ist, daß das Problem der Endlagerung der abgebrannten Kernbrennstäbe nicht gelöst ist. Das sollte Ansporn sein, zu forschen, nicht das Thema zu verteufeln. Diese Energie eignet sich nicht als Brückentechnologie. Kohle ist eine Brückentechnologie – zwangsläufig, denn sie geht zur Neige, setzt CO2 frei, zerstört die Landschaft und muß auch noch heftigst subventioniert werden, zumindest solange es noch Erdöl gibt. Und für den energiepolitischen Sprecher von Bündnis 90 – die Grünen, MdB Oliver Krischer, ist

Kohle die billigste, aber auch die schmutzigste Energiequelle auf der Erde

Na gut, das war 2009, da gab es noch keine Kernkraftwerke, vermutlich.

Bildquelle: Utopia.de, da steht auch, was gegen Atomkraft spricht. Falls ich jemanden verwirrt habe.

 

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