Emma Schlecker
Wofür stand der Name Schlecker? Für kleine, etwas freudlose Filialen, immer leicht schmuddelig, mit oft unfreundliche Verkäuferinnen, deren Beratungskompetenz sich wohl direkt aus der Entlohnung ableitete. Für Frauen, die sich für eine sagenhaft schlechte Entlohnung fürchterlich ausbeuten ließen.
Das war die eine Seite der Medaille, sicher. In der Stadt werden wir Schlecker nicht vermissen, solange es „dm“, „Roßmann“ und andere gibt. Andererseits bekommen wir nun aber mit, daß in vielen Dörfern „der Schlecker“ der letzte Laden überhaupt war. Mit der Schließung gingen, so hört man, vor allem soziale Treffpunkte den Bach runter. Man traf sich mangels Café beim Schlecker zum Ratschen an der Kasse. Oder auf ein Pläuschchen, je nachdem, in welcher Gegend Deutschlands wir uns aufhalten.
Jetzt wird die Politik gefordert: Das geht doch nicht. Man kann doch nicht tatenlos zusehen, wie die Dörfer ihre letzten Integrationsorte verlieren. Und gerade jetzt, wo wir doch Energie und damit CO2 sparen sollen, würden die Menschen gezwungen, viele Kilometer weit zum nächsten Einkaufszentrum zu fahren. Also her mit der Staatsknete, Schlecker muß gerettet werden. Hier stellt sich der bayerische Wirtschaftsminister Zeil quer. Schlecker zu retten und alle anderen Pleitiers zu ignorieren, das geht nicht. Recht hat er, aber wie lange noch – er ist von der FDP.
Nun wäre es momentan waghalsig, darauf zu wetten, daß die FDP irgendeine Wahl in der nächsten Zeit überleben wird, aber Seehofer will dem Schicksal keine Chance geben. Hier kann man Wähler fangen, schließlich werden durch die Schleckerpleite Arbeitslätze vernichtet, so hört man. Ich nenne das nicht Arbeitsplatz, was da wegfällt, aber darauf kommt es nicht an. Er setzt noch einen drauf und sagt:
Ich bin sehr betroffen, dass den Schlecker-Mitarbeiterinnen durch das Veto unseres bayerischen Wirtschaftsministers der Weg in eine sichere Zukunft verbaut wurde.
Was für ein Unsinn. Eine Transfergesellschaft müsste her? Was sollte die denn bringen? Hier haben Frauen ihre Begabung bewiesen, sie werden erstaunt sein, wie schnell sich neue Arbeitgeber um sie reißen werden. Gleich darauf die nächste glorreiche Idee: Wie wäre es, wenn die Schleckerfilalleiterinnen ihre Filialen selbst weiterbetrieben? Ein bißchen Anschubfinanzierung vom Staat, der Bedarf scheint ja da zu sein angesichts des vielfach geäußerten Bedauerns und schon könnten die ganzen kleinen Schleckerläden in Eigenregie wieder aufsperren. Hört sich an wie der Griechenplan.
Das zeigt sehr schön, was mit unserer Gesellschaft los ist. Wir haben verlernt, logisch zu denken. Schlecker hat Lieferanten geknebelt, um die Einkaufspreise zu drücken. Er hat ferner, wie oft genug erwähnt, seinen Mitarbeitern lächerliche Hungerlöhne bezahlt. Auch bei den Mieten verzichtete Schlecker lieber auf die guten Lagen und mietete meistens günstig. Mit Billigpreiskampagnen sollten Kunden angezogen werden, viele kleine Drogerien mussten schließen, Schlecker akkummulierte deren Kunden. Das Ergebnis? Nun sind sie pleite.
Das soll nun von einzelnen Franchisern verbessert werden? Wie denn? Werden sie noch billiger? Schaffen sie es, die Dorfbewohner vom Besuch des Einkaufszentrums abzuhalten? Oder wird es nicht doch so sein, daß nach einer kurzen Phase der Euphorie die Leute doch wieder ungerührt die meisten und vor allem die teuren Sachen im Großmarkt einkaufen und in der Nachbarschaft gerade noch einen Bund Petersilie und eine Schachtel Marlboro?
Pessimismus scheint angebracht, so wird das einfach nichts. Wir steigen auch sehr spät in diese Diskussion ein. War es nicht bereits vor zwanzig, dreißig Jahren, daß sich das Sterben der „Tante-Emma“-Läden abzeichnete? Kaum ein Einzelhändler fand noch einen Nachfolger, einer nach dem anderen machte zu. Die Folge: Heute empfindet man sogar einen Schlecker als klein, individuell und gut sortiert.
Lassen wir endlich den Staat weg. Fragen wir uns, wieso diese Läden weg sind. Jeder mochte sie, jeder fand es schade, daß sie verschwanden, aber keiner rührte einen Finger zu ihrer Rettung, solange man anderswo billiger einkaufen konnte. Die innerstädtischen Lagen wurden so teuer, daß sie sich heute nur noch Immobilienmakler, Antiquitätengeschäfte oder Geldwäscheinstitutionen leisten zu können scheinen.
Und auf dem Land? Dort reichte die Nachfrage hinten und vorne nicht. Hier wurde das Verschwinden der kleinen Läden noch stärker empfunden und von allen bedauert, und doch maximierte jeder einzelne weiter seinen Vorteil, ignorierte dabei vielleicht die Benzinkosten, sparte aber am Ende dennoch. Das ist die häßliche Seite der Spieltheorie. Das ist der Grund, wieso der Liberalismus, so sehr er oft recht hat, nicht immer als reine Lehre betrieben werden sollte. Die Gesellschaft verfehlt ihre Ziele, obwohl jeder einzelne seine Position verbessert. Am Schluß stehen alle schlechter da – und dann sterben erst die Schleckers. Da ist Tante Emma längst in Pension.
Was also soll der Staat tun? Nichts. Der Staat hält sich raus. Der kann nur Schlecker und Co. subventionieren, also die, die die kleinen Läden einst verschwinden ließen. Es sind die Menschen selbst, die gefragt sind. Bevor die Bürger einer Gemeinde rumheulen, daß es keine Läden mehr gebe, könnten sich eben diese Bürger doch einmal zusammensetzen und sich über gemeinsame Ziele klar werden. Soll wieder eine Einkaufsmöglichkeit vor Ort her? Wenn ja, was ist zu tun? Das kostet halt Geld. Wir wissen, daß sich Ladengeschäfte nicht mehr direkt lohnen.
Aber wieso nimmt man nicht einfach ein altes, leerstehendes Ladenlokal. In Dörfern stehen oft welche rum – die Pacht ist vermutlich niedrig, könnte die Gemeinde übernehmen. Die Ladenöffnungszeiten können harmlos sein. Dreimal zwei Stunden die Woche plus Samstag reicht oft. Eine Verkäuferin muß noch her. Das kann, muss aber nicht die letzte Schleckeristin sein. So teuer ist sie nicht, denn die Arbeitszeiten sind nicht wie die des Ladens vor 30 Jahren.
Und jetzt das Sortiment. Da steckt das Geheimnis – der Laden führt nämlich alles. Nur nicht sofort, man muss es bestellen, und was es im Großmarkt gibt, wird bis zum nächsten Mal geholt. Bald kristallisiert sich ein Standardrepertoire heraus. Bestimmte Konserven, Reinigungsmittel, vielleicht ein bisschen Wurst, Käse, Obst und Gemüse. Den Rest bestellt man im Internet, und auch hier hilft der Laden: Hier werden die Päckchen angenommen, er macht Post und Hermes gleichzeitig, und die Internetgeschäfte können über den Laden abgewickelt und ebenso auch wieder rückabgewickelt werden, sollte man sich mal verklickt haben. Bald steigt der Bedarf und aus drei mal zwei Stunden Öffnungszeiten werden nun fünf mal vier, geöffnet ist nun an jedem Tag der Woche.
Und wieviel Minus macht der Laden nun? Hier kommt der Trick: Viel ist es nicht und es spielt bald keine keine Rolle mehr. Die Bürger wollten so einen Laden, sie haben ihn. Sie bezahlen indirekt für den Laden, aber dafür bekommen sie Einkaufsgutscheine. Diese können sie dann nicht in der Großstadt beim Schleckernachfolger einlösen, aber ihr Geld ist nicht weg. Sie kaufen nur alle solidarisch wieder im eigenen Ort ein. Vermutlich haben sie dafür eine Genossenschaft gegründet. Bürger, die nicht Mitglieder der Genossenschaft sein wollen, sind nicht gezwungen, aber dann haben sie nichts von der Verwendung eines Teils ihrer Steuermittel.
Kann klappen. Muß aber nicht. Wenn dafür keine Mehrheit gefunden wird, sollte man es natürlich nicht machen. Aber dann sollte man erst recht nicht den Bürgern das Geld wegnehmen und es gleich Schlecker geben. Ohne Gutscheine.
Was ist daran eigentlich so schwierig?