Punktabzug für die Gleichberechtigung
Sind Frauen bei uns gleichberechtigt? Ich denke, eine Frau aus Saudiarabien oder Indien wird die Frage grotesk finden. Ebenso wie die Menschen aus unserer eigenen Vergangenheit: Natürlich haben Frauen und Männer bei uns heute dieselben Rechte. Und man merkt das auch, noch nie in der Geschichte gab es so viele Frauen in leitender Funktion, noch nie gab es so viele Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen wie jetzt. Es wäre also an der Zeit, damit anzufangen, Frauen auch ernst zu nehmen. Ein Bildhauer will doch an seinem Werk gemessen werden, nicht an einer künstlichen Frage, ob er gut ist, obwohl er eine Frau ist. Es interessiert doch nur noch Gestrige, wenn man bei einem bestimmten Musikstück darauf hinweist, dass der Komponist eine Frau ist. Wenn man also darauf besteht, dass der Komponist eine Komponistin ist.
An einer Schule hat sich neulich erst ein Fall ereignet, der meinen eigenen kleinen Privat-#Aufschrei ausgelöst hat, aber mein Entsetzen wird von einigen nicht geteilt, das weiss ich schon. Für den Gebrauch des Wortes „der Autor“ in einem Aufsatz wurde ein Punkt abgezogen, da „der Autor“ weiblich war. Es handle sich um einen grammatikalischen Fehler, so die Lehrkraft, die im übrigen männlich war, obwohl die Kraft weiblich ist. Ein Lehrkräfterich, sozusagen.
Das ist lächerlich, und gleichzeitig der Beweis, dass im Bewußtsein einiger Menschen noch nicht angekommen ist, dass das Geschlecht eines Menschen nur selten im Zusammenhang mit seinem Werk eine Rolle spielen darf. Sobald sich das rumgesprochen hat, können wir auch eine häßliche Wortkonstruktionen wieder in die Schublade des Vergessens legen. Erinnern Sie sich an den Siebziger-Jahre-Ausdruck „Liedermacher“? Schön war der nicht, aber man konnte eine weibliche Form davon bilden, die Macherin zum Macher. Heute verwendet man diesen Ausdruck eher selten und greift zum englischen „Singer-Songwriter“. Das zu kritisieren überlasse ich den Deutschtümlern, aber daraus eine Singer-Songwriterin zu machen, das ist Schwachsinn. Ja, aber nicht schwachsinnig genug, um nicht im Duden zu stehen, also auch mit dem Genitiv und mit dem Plural, also den „Singer-Songwriterinnen“. Nicht erwähnt wird, wie man das ausspricht. Vorne mit englischem „wr“, klar, aber hinten? Hier tut der Duden (die Dudin?) der Sprache einen Bärendienst.
Wenn man will, kann man natürlich immer noch Benachteiligungen finden. Man muss suchen und dann böse Absichten unterstellen. Dabei entstehen durchaus Stilblüten des Antisexismus, die sexistischer sind als die bekämpften vermeintlichen Sexismen. So hat sich eine britische Frauenrechtsorganisation darüber aufgeregt, dass Wegwerfrasierer für Frauen das Doppelte kosten wie für Männer. Oder Kinderfahrräder für Mädchen 10 Pfund mehr kosten. Oh, was für ein Skandal. Daher auch die Überschrift „Preis-Sexismus in Großbritannien trauriger Alltag! Konzerne freuen sich: Frauen zahlen von Kindesbeinen an drauf“ auf einer Mitteilung des Pressetextportals.
Und woran erkennt man denn nun einen Rasierer für Frauen? An der Farbe! Die für Damen sind pink. Und die Mädchenfahrräder haben Blümchen für den 10-Pfund-Aufpreis. Ich finde genau diese Feststellung sexistisch. Und ein bisserl schwulenfeindlich obendrein, aber das gehört nicht hierher.
Olympe de Gouges, die bekannte französische Frauenrechtlerin und Verfasserin(sic!) des „Manifest über die Rechte der Frau und Bürgerin“ hätte sich über pinke Damenrasierer als Mittel der Unterdrückung der Frau noch totgelacht. Aber damals waren die Zeiten anders und Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bezog sich nur auf Männer, weswegen Mme. de Gouges 1793 hingerichtet wurde. Die Guillotine war weder pink noch waren irgendwelche Blümchen drauf, und es mutet an wie Hohn, daß sie noch zwei Jahre vorher in ihrem Manifest prophetisch geschrieben hatte (Art. X):
(…) die Frau hat das Recht auf das Schafott zu steigen; sie muss gleichermaßen das haben, ein Podium zu besteigen (…)
Bildquelle: Olympe de Gouges, Pastell von Alexander Kucharski (1741–1819), gefunden bei Wikipedia.
Montag 25. Januar 2016 um 09:46
Ich sag nur: . Zum Glück konnte man das abwenden.
Donnerstag 11. Februar 2016 um 19:04
„Mein Arzt hat mir das Rauchen verboten.“ Welches Geschlecht hat der Arzt?
Und ist das wichtig?
Im Prinzip nein, aber wenn man daraufhin an einen Mann denkt, wird der Beruf „Arzt“ automatisch mit dem männlichen Geschlecht verbunden. Und das ist schlecht. Für kleine Mädchen und für die Gesellschaft.
Zu Stereotypen, Priming und Verfügbarkeitsfehlern siehe auch Daniel Kahneman, „Schnelles denken, langsames Denken“.
Liebe Grüße
Fredrika
Donnerstag 11. Februar 2016 um 19:19
Es ist die Umkehrung, die mir Sorgen macht. Wenn nicht mehr die Leistung gewürdigt wird, sondern das Geschlecht wichtiger wird als das Werk – immerhin ging es um den Autor eines Werks, der halt eine Frau war. Die meisten Autoren, die ich kenne, sind Frauen, und wenn ich an Schriftsteller denke, denke ich auch an Dich, keine Sorge. Der Deutschlehrer, der die Quelle meines Entsetzens war, würde mir hier einen Punkt abziehen und aus dem Satz nun „Die meisten AutorInnen, die ich kenne, sind Frauen“ machen. Und das beleidigt mein Sprachgefühl.
Donnerstag 18. Februar 2016 um 11:54
Es ist die deutsche Sprache (und nicht nur die), die den Sexismus in sich trägt. In englisch lässt sich das Problem nicht einmal denken. Leider kriegt man eine Sprache nicht nachträglich neutralisiert und die Worte mit dem großen I in der Mitte erzeugen ein übles Ziehen in den sprachsensiblen Eingeweiden, das sich nur allzu gern von einem befreienden Donnergrollen begleitet gleichsam hinausstülpen und das ganze Pädagogendeutsch unter einem angemessenen Haufen begraben möchte.
Ich hoffe, mich mit diesem Satz unter die ganz großen AutorInnen eingereiht zu haben.
Liebe Grüße
Reinhard