Mindestlohn?
Der Lohnempfänger?
Der freut sich zunächst. Er bekommt mehr Geld. Möglicherweise aber wird er auch entlassen. Dann bekommt er weniger Geld. Das ist ihm zu riskant. Lieber einen Job haben und sich dann hocharbeiten. Er ist also vermutlich dagegen.
Der Staat?
Der freut sich auch, zunächst. Die Unternehmer zahlen mehr – es fließt mehr Einkommenssteuer. Nun ja, dafür gehen die Unternehmensgewinne zurück. Vielleicht gehen die noch weiter zurück, weil der Unternehmer den von Mindestlohn bedrohten Bereich des Unternehmens schließt. Unter dem Strich wird unser Staat die Hauptvorteile da sehen, wo er nicht mit den Wettbewerbshütern der EU in Konflikt gerät und trotzdem Standortsicherung betreiben kann. Handwerksnahe Berufe und Arbeiterberufe von Branchen, die nicht einfach abwandern werden, bieten sich an. Aber die EU wird sich nicht ins Bockshorn jagen lassen. Im aktuellen Fall gelang es zumindest der Postlobby, den Staat von seinen echten oder eingebildeten Vorteilen zu überzeugen. Um Standortsicherung ging es bei den Briefträgern jedenfalls nicht.
Der Unternehmer?
Der am ehesten. Erstaunt? Natürlich nicht – das weiss man spätestens, sobald man das Gefangenendilemma kennt. Der Unternehmer, der wenig bezahlt, hat davon ja nicht nur Vorteile: Gut bezahlte Mitarbeiter arbeiten meist etwas motivierter (wobei Geld und Motivation nicht so korreliert sind, wie man annehmen mag). Vor allem aber bekommt man für mehr Geld bessere Leute – und daher zahlt man gerne mehr. Aber was ist mit den bösen Wettbewerbern? Die drücken die Preise bei den Löhnen und Gehältern und sind so in der Lage, auch selbst billiger auf dem Markt aufzutreten. Wettbewerber drücken bekanntlich neben den Preisen vor allem aber die Qualität. Das wird jeder Unternehmer bestätigen, wir sind alle gegen Monopole, solange wir sie nicht haben. Haben wir sie, sind Monopole der einzige Garant für Stabilität und Qualität. Wer schützt uns also vor den bösen Wettbewerbern? Richtig – der Mindestlohn. Wer hätte das gedacht?
Ein Beispiel aus der Praxis:
1992 habe ich eine Ausschreibung verloren. Es ging um Schulungen. Ich weiss es noch wie heute, wir waren nach erheblichem Druck 1991 mit dem Tagessatz auf 600 DM zurückgefallen. Für dieses Geld konnte ich keine erfahrenen Kräfte schicken, zumindest nicht für alle Tage, ich musste mit Studenten und Praktikanten den Durchschnitt drücken. Dennoch wurden wir unterboten: Für sage und schreibe 300 DM bekam ein Unternehmen aus Osteuropa den Zuschlag. Deren Dozenten waren mit 100 DM zufrieden, der Rest ging drauf für Reisen und Schulungsunterlagen. Die Dozenten konnten allerdings kein Deutsch und die Schulungen wurden noch in dem Jahr wegen Erfolglosigkeit eingestellt. Hier hätte ein „Mindestlohn“, also ein Sockelbetrag, unter dem man Angebote wegen offensichtlichen Mangels an Glaubwürdigkeit ablehnen darf, geholfen. Mir geholfen? Ja, auch, wenngleich ich sofort die verlorenen Schulungstage an andere Kunden weiterverkaufen konnte. Wer sich 1992 mit Internet auskannte, konnte sich die Aufträge raussuchen. Also wem hätte es geholfen? Hauptsächlich dem Auftraggeber, einem großen Staatsunternehmen.
Konsequenz:
Wieso schreit eigentlich die FDP gegen Mindestlöhne, die CSU auch, und die SPD und die Kommunisten wollen sie haben? Das ist
mysteriös.
Auf jeden Fall ist es nicht logisch. Ich denke weiter darüber nach.