Ceterum censeo: Zensur und Zetern
Gestern also die Erklärung der Bundesfamilienministerin. Bereits im Vorfeld hatte es massive Kritik gegeben. Heute war nachzulesen, was von den Vorschlägen der Ministerin von der Leyen in den Köpfen hängenblieb: Wir müssen die Kinderpornographie bekämpfen. Erstaunlicherweise war davon nicht die Rede gewesen, es hieß nur: Wir müssen die Kinderpornographie im Internet bekämpfen. Aber das reicht nicht. Es lenkt vom wahren Ziel ab. Sinnvoll und wichtig wäre es doch, im wirklichen Leben Kinderschänder aus dem Verkehr zu ziehen. Sie sind unter uns und davor darf man seine Augen nicht verschließen. So wird eine Scheindebatte geführt, heftig, polemisch, unsachlich, natürlich von beiden Seiten. Fest steht jedoch: Will man die Verbrechensrate senken, so reicht es im übertragenen Sinne nicht, die Straßenschilder zu übermalen. Oder falsche Straßennamen draufzuschreiben.
Wer an einer ausgeprägten Paranoia leidet, sieht Frau von der Leyen als Vertreterin der Dunklen Seite, deren Interesse es ist, alle Internetseiten gleichzuschalten. So, daß ein Fingerschnipsen genügt, bestimmte Dinge aus dem Netz zu entfernen. Heute Kinderpornographie. Morgen Gewaltspiele, und da ist nicht Schach gemeint, auch wenn da Bauern geopfert werden. Und wenn sie gar nichts Böses will, dann steckt eben eigentlich Herr Schäuble dahinter. Er wollte seit langem den sich massenhaft im Netz tummelnden arabischen Terroristen die Kommunikationsplattform entziehen. Oder besser einfach allen Gefährdern. Da das gescheitert ist, eignet sich die Kinderpornographie für so eine Stoppseite… (Achtung. Hoffe, Sie sind nicht erschrocken, das ist eine Satireseite. Nicht von mir. Sie können sich auch sperren lassen, tragen Sie nur Ihre URL nach dem Fragezeichen ein.)
Update: Diese Stoppseitenpersiflage („Sehr geehrter Gefährderin, sehr geehrter Gefährder“) mußte vom Netz genommen werden. Heute führt der Link woanders hin, der Betreiber erzählt ein bißchen, was los war. Sehr humorlos vom Innenministerium, aber damit Sie weiter mein hübsches Blog lesen können, habe ich nicht einmal einen Screenshot aufgehoben. Jedenfalls nicht ich… Ende des Updates, svb. 14.5.2009
Ja, wie kann man denn ernsthaft dagegen sein, den armen Kindern zu helfen? Ja wie? Gar nicht, wer ist denn überhaupt dagegen, endlich etwas zu unternehmen? Nach Ansicht von Frau von der Leyen vermutlich sehr viele. Wer an der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen der Ministerin zweifelt, wird als Verhinderer effektiver Maßnahmen bezeichnet. Wer auf die Verhältnismäßigkeit hinweist oder sich Sorgen macht um unsere Rechtskultur und unser Grundgesetz wird als weltfremder Spinner oder religiöser Fanatiker abgetan. Und das ist noch mild. Es gibt Politiker, die einem sofort unlautere und eigensüchtige Motive unterstellen. Wolfgang Börnsen (CDU) rät den Providern, sich nicht hinter dem Grundgesetz zu verstecken. Verfassungsfragen spielten keine Rolle angesichts des Leids der Kinder. Vermutlich ist das höchst ehrbar gemeint. Aber zum Klang solcher Argumente sind schon ganze Demokratien einfach untergegangen – derartiges ist sehr beklemmend.
Bleiben wir doch bitte bei den Fakten. Und diese sind: Wirkungslose Maßnahmen schützen diesen perversen Markt. Wieso? Zum einen sollte ermittelt werden, nicht ausgeblendet. Wenn die Bilder existieren, ist das Schlimmste bereits geschehen. Nun gilt es, den Weg der Bilder zu verfolgen, um an die Täter zu kommen. Und den Weg des Geldes – laut Frau von der Leyen werden von einigen Servern Millionen umgesetzt. Jeweils sitzen an beiden Enden Täter. Sitzt mindestens einer davon in Deutschland, kann gehandelt werden. Wenn nicht, dann nicht, aber das sehen wohl alle ein. Was einen Wink an die jeweiligen ausländischen Strafverfolgungsbehörden nicht ausschließt.
Untaugliche Maßnahmen suggerieren dem Laien, es werde ja etwas getan. Aber was? Wieso unterstützen wir nicht besser einfach die Polizei im Inland? Wieso helfen wir nicht auch im Ausland, wo Hilfe angenommen wird? Ist Kinderpornographie nicht weltweit geächtet? Aber nach einer Sperrung wird die Polizei die Wege nicht mehr verfolgen können…
Ich will Frau von der Leyen nichts unterstellen. Einige ihrer Äußerungen sind dennoch nicht hilfreich. Im Stern steht:
„Wir wollen nicht tolerieren, dass die Vergewaltigung von Kindern massenhaft im Internet abrufbar ist“, sagte sie am Mittwochmorgen in Berlin – und gibt damit den politischen Konsens wieder, der sich quer durch alle Parteien und Interessengruppen zieht. Warum jedoch sind bisher nicht alle Internetprovider geschlossen für das Anliegen der Ministerin eingetreten? Von der Leyen teilt die Firmen in Gut und Böse ein. „Einige sind von Anfang an dafür gewesen“, sagt sie. „Andere haben permanent versucht, zu verzögern. Wenn die Gesellschaften das in anderen Ländern durchsetzen können, dann werden sie es auch in Deutschland schaffen.“ Und sie sagt: „Die Unverletzlichkeit des Kindes ist ein höheres Recht als das Recht auf Massenkommunikation.“
Das Recht auf Massenkommunikation? Gut und Böse? Das nimmt erschreckende Züge an. Es geht doch nicht um die Frage, ob man Kinder dem Recht auf Massenkommunikation opfert. Was auch immer das für ein Recht sein soll. Der Zweifel an der Redlichkeit solcher Sätze ordnet meine Firma, die SpaceNet AG, sicherlich den Bösen zu. Aber wir sind in guter Gesellschaft, auch Frau Zypries muß sich die Unterstellung anhören, sie verzögere den Schutz der Kinder oder sie sei nicht daran interessiert, diesem Treiben ein Ende zu machen. Dabei hatte sie nur ein Gesetz gefordert. Ein Gesetz anstelle eines merkwürdigen Vertrags, der der SpaceNet AG bis heute nicht einmal angeboten wurde. Nicht daß wir ihn unterschreiben würden..
Gehört SpaceNet zu den Verzögerern? Kaum, uns kann sie nicht meinen, denn uns zählt sie ja nicht einmal dazu. Weil noch niemand gemerkt hat, dass das Internet nicht nur aus DSL-Haushaltsanschlüssen besteht? Aber mit dem Zählen hat sie es eh nicht. 75% der Provider hat sie „unter Vertrag“, so war es zu lesen. Das seien fünf Stück. Wie meint sie das? Wenn fünf Stück 75 Prozent sind, so sind (Dreisatz) 100% nach Adam Riese 6,666 Provider. Es gibt aber mehr als 62/3 Anbieter in Deutschland, es dürften je nach Zählweise ein paar hundert sein. Wer wohl dieser 2/3-Anbieter ist?
Aber sie hat ja „alle“ Anbieter aufgezählt: Telekom, Arcor, Alice, O2, Kabel Deutschland. Diese haben den Vertrag unterschrieben. Freenet, United Internet (1&1) und Versatel haben das nicht. Fünf Achtel sind im übrigen auch nicht 75 Prozent, sondern 62,5. Vielleicht meint Frau von der Leyen also Marktanteile? Aber was betrachtet sie hier, Umsätze? Traffic? Anschlüsse? Nutzer? Frau von der Leyen ist das egal, Hauptsache sie spuren:
Von der Leyen wurde auf der Pressekonferenz sehr deutlich. In aller Öffentlichkeit nannte sie die Namen der drei großen Internetprovider, die sich bisher nicht an einer Sperre beteiligen wollen. Die Ministerin kommentierte lapidar: „Es ist ganz klar, dass sie im Laufe der Zeit dazu gezwungen werden, diese Seiten zu sperren.“
Warum sorgen wir nicht dafür, daß es diese Seiten nicht gibt? Nicht übertünchen, dingfest machen! 400.000 Hits pro Tag, das weiß die Ministerin auch (woher?). Fein – wo sind die Verhaftungen dazu? Wer Zugriffe im Netz zählen kann, der hat Logfiles, Informationen über die Konsumenten. Da müsste doch forensisch ein Ergebnis erzielbar sein! Oder war die Zahl einfach geraten? Die Zunahme der Kinderpornographie im Netz wird belegt anhand der Anzahl der Ermittlungen des BKA. Aber, wenn mehr Fälle aufgedeckt werden, muss das doch nicht heißen, daß die Anzahl der Fälle zugenommen hat. Vielleicht war das BKA einfach erfolgreicher?
Ekin Deligöz von den Grünen sagte, mit den Sperren „werden wir den Handel nicht zum Erliegen bringen, wir werden kein Kind vor Kinderpornographie bewahren, wir fassen keinen einzigen Täter und helfen keinem Kind auf dem Weg zurück ins Leben“. Das ist traurig, aber wahr. Und nun wäre ich froh, wenn das Wahlkampfgeschnatter wieder verstummen würde und eine ernsthafte und offene Diskussion geführt würde, was man denn wirklich tun kann. Da gibt es einiges. Und es gibt einige Provider, die bei diesem technisch nicht trivialen Thema gerne helfen.
Wir zum Beispiel.
Bildquelle: Wikipedia
Samstag 16. Mai 2009 um 23:57
[…] kenne, eine kleine nette Satire ausgedacht. Die ich sehr wohl kenne, ich habe sie damals sogar hier im Blog erwähnt. Im Vorfeld der Diskussionen um das berüchtigte Stoppschild des BKA fanden viele die […]
Montag 25. Mai 2009 um 21:57
[…] habe ich meine Meinung, so denke ich, bereits deutlich kundgetan (16.2., 26.3., 27.3., 28.3., 29.3., 1.4., 10.4., 11.4., 18.4., 19.4., 28.4., 16.5., 9.5., 18.5.). Eigentlich […]