Frührente mit 69?
Die Bundesbank erstellt monatlich Berichte. Dabei kümmert sie sich um aktuelle Themen, aber sie kommt auch ihrer Aufgabe nach, Zukunftsszenarien zu beschreiben. Eine trockene Arbeit, für Mathematiker und Nationalökonomen jedoch nicht ohne Reiz. Manchmal kommt man nicht umhin, auch Dinge zu beschreiben, die völlig klar sind. Einfach nur, daß es mal festgehalten wird. So schreibt die Bundesbank also für den aktuellen Monat Juli auf Seite 43 ihres Berichts:
Obwohl in den aktuellen Bevölkerungsprognosen auch danach mit einem beinahe konstanten Anstieg der ferneren Lebenserwartung um gut einen Monat pro Jahr gerechnet wird, ist bislang keine weitere Erhöhung des Rentenalters vorgesehen. Wenn das Verhältnis von Ruhestands- und Erwerbsphase näherungsweise konstant gehalten werden soll, wäre unter den demographischen Annahmen der AWG bis 2060 eine weitere Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf 69 Jahre notwendig. Eine Indexierung des Renteneintrittsalters an die fernere Lebenserwartung (wie z. B. in Dänemark) könnte der zu erwartenden Entwicklung grundsätzlich Rechnung tragen und für die Beteiligten eine verlässlichere längerfristige Perspektive schaffen.
Eigentlich klar. Wenn die Menschen immer älter werden und wir heute bereits so verschuldet sind, daß unsere Generation das nicht mehr beseitigen kann, wenn also heute bereits viele Lasten auf die Schultern der kommenden Generationen geladen wurden, so werden unsere Kinder vermutlich erst mit 69 in Rente gehen können. Die Rede ist von 2060, es betrifft also die Geburtsjahrgänge nach 1991. Oder schlicht und einfach unsere Kinder heute.
Für sie wird gelten, daß der Staat nicht genug Geld haben wird für eine anständige Rente, im Durchschnitt, natürlich. So bleibt nur länger arbeiten oder weniger Rente, mehr private Vorsorge oder Hungertuch für die, die früher aufhören wollen. Was könnte man tun? Steht übrigens alles in dem Bericht der Bundesbank, aber der war vermutlich den Politikern zu lang zum lesen:
- Man kann mehr Kinder zeugen. Je mehr Einzahler es gibt, desto mehr können davon profitieren. Zweifelhaftes System, denn die Überbevölkerung unserer Erde ist Fakt.
- Man kann mehr Leute in unser Wirtschaftssystem einladen. Ja, nennen wir es beim Namen, wir müssen Ausländer reinlassen. Ob die kommen werden ist allerdings fraglich, denn jeder, der sich dem System anschließt, erbt unsere hoffnungslosen Schulden. Hoffen wir, dass es noch lange erstrebenswert ist, Gesellschafter unserer Gesellschaft zu werden. Ein erster Schritt wäre, Ausländer zu akzeptieren, wenn sie bereit sind, uns zu akzeptieren.
- Man kann heute mehr in die Rentenkassen einzahlen, um Reserven zu schaffen. Das klingt zunächst völlig vernünftig, ich würde es aber dennoch nicht tun. Jedenfalls nicht, solange hier Dauerwahlkampf herrscht. Jede Konsolidierung der Rentenkassen wird im Keim erstickt, dafür werden „Rentengarantien“ abgegeben, und es werden die Renten der Menschen erhöht, deren Generation das Schlamassel angerichtet haben. Was nicht heißt, daß nicht heute und jetzt weitere Menschen Schlamassel anrichten, die erst noch Rentner werden. Natürlich nicht mit 69.
- Man kann heute anfangen, keine weiteren Schulden mehr zu machen. Nur leider ist gerade das der Punkt, an dem sich die meisten Politiker von links bis rechts sofort einig sind: Sparen ist doof. Und seit Kaiser Vespasian (pecunia non olet) hat es noch kein Politiker geschafft, für seinen Sparkurs berühmt zu werden. Geschweige denn, gewählt.
Und so werden unsere Kinder bis 69 arbeiten müssen. Wenn es überhaupt reicht. Was tun die Politiker? Sie beschimpfen die Bundesbank. Man hört, das alles sei kompletter „Quatsch“, „völliger Unsinn“, „wenig hilfreich“, gehe „an der Lebenswirklichkeit total vorbei“ und sei eine „sozialpolitische Geisterfahrt“. Wenig hilfreich? Manche Zeitungen stoßen in dasselbe Horn und kritisieren, dass man sich doch bitte keine Gedanken über 2060 machen solle, da sei es noch lang hin.
So schreibt die Süddeutsche:
Nicht nur politisch, auch gesamtgesellschaftlich betrachtet, mangelt es der Bundesbank am nötigen Feingefühl. Sie übersieht, dass es bis heute in der Vorstellungswelt vieler Manager für Menschen mit 67 oder 69 Jahren schlicht keine Arbeitsplätze gibt. Erst wenn die Wirtschaft in dieser Frage umdenkt – und die Demographie wird sie dazu zwingen – ergibt eine neuerliche Debatte über das Rentenalter Sinn.
Unverständlich. Das beweist doch, daß wir bereits heute anfangen müssen, etwas zu ändern! Die Rhein-Neckar-Zeitung aus Heidelberg ist noch schlauer:
Das Sommerloch führt sich in dieser Saison als Rentenloch ein. Oder genauer: Als analphabetischer Leseversuch im demographischen Kaffeesatz. Es wirft auf die Bundesbank kein gutes Licht, wenn sie die Entwicklung von heute bis 2060 einfach fortschreibt und daraus die Horrorprognose eines Renteneintrittsalters von 69 Jahren ableitet. Die Notwendigkeit einer höheren Geburtenrate in den nächsten 40 Jahren hätte man den Menschen anders erklären können. Und die Kritik an einer Manipulation der Rentenformel unter dem Stichwort «Rentengarantie» auch. Auf die beschlossene Rente mit 67 ab 2012 muss man nicht noch draufsatteln.
Was für eine unersprießliche Verquickung von Polemik (analphabetischer Leseversuch im demographischen Kaffeesatz?), gepaart mit Ignoranz („muss man nicht noch draufsatteln“). Eine Schülerzeitung war nicht unter den Kritikern. Kein Wunder. Wenn wir so weiterwursteln, kriegen die Schüler es ab. Und daher sollte unser Thema sein „Wie kann man eine Demokratie zwingen, sich um kommende Generationen Gedanken zu machen, wenn die Eltern keine Mehrheit mehr haben und die Kinder sowieso noch nicht wählen dürfen?“. Oder wir fangen einfach damit an, daß jeder Politiker, der aus durchsichtigen Wahlkampfgründen populistische Hoffnungslosigkeiten von sich gibt, jedes Mal aus seiner Tasche fünf Euro in die Rentenkasse zahlen müßte. Diese wäre sofort gefüllt,
Problem gelöst.