Vertrackt, verfahren oder verlogen?
Ein Alptraum – was, wenn die Politiker doch nicht zynisch die Dunkle Seite der Macht vertreten? Wenn sie vielleicht wirklich an das glauben, was sie sagen? Wenn sie lauter Schritte „in die richtige Richtung“ gehen, nur um am Schluß an einer Stelle zu stehen, wo niemand hinwollte, vielleicht nicht einmal sie selbst?
Mit einem Ruck erwache ich und greife nach der gerade noch aktuellen Frankfurter Sonntagszeitung, um mir Kühlung zuzufächeln. Doch da! Weh uns, es war kein Traum. Der Noch-Gesundheitsministerin Ulla Schmid liegen die Kassenpatienten am Herzen, sie kritisiert die Ärzte, nachzulesen in der F.A.S., und die haben es von Reuters:
Schmid kritisiert Zweiklassenservice bei Ärzten
Berlin (Reuters) – Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat die Ärzte gemahnt, gesetzlich versicherte Patienten nicht länger schlechter zu behandeln als Privatpatienten.
Noch heißt es ja Privatpatienten. Die Bundesgesundheitsministerin würde das vermutlich lieber „ungesetzlich versicherte Patienten“ nennen. Dabei ist das alles doch nur ein historisches Mißverständnis – die Pflicht, sich einer Kasse anzuschließen, stammt aus einer Zeit, als private Krankenversicherungen im großen Stil noch nicht existierten. Es ging damals um das Gegenteil, wer mehr verdiente als eine bestimmte Summe, konnte den Arzt aus eigener Tasche zahlen und brauchte diese Versicherung nicht.
Da hat sich einiges geändert. Die Geldentwertung hat dazu geführt, daß diese „Reichtumsgrenze“ heute von ganz gewöhnlichen Angestellten überschritten wird. Gleichzeitig sind die Kosten für medizinische Versorgung geradezu explodiert. Teils aus gutem Grund, sie ist heute wohl besser als früher, teils aber auch durch die völlige Abschaffung des freien Markts, denn nur so läßt sich erklären, wieso bestimmte Medikamente bei uns ein Vielfaches teurer sind als identische Präparate im Ausland. Kurz, auch jene, die früher von der Pflicht ausgenommen waren, hatten und haben ein Bedürfnis, sich selbst zu versichern. Das sind zum einen die sogenannten freiwillig Versicherten bei den Kassen, aber eben auch die Privatversicherten.
So ist ein gigantisches Umverteilungssystem entstanden. Wer wenig verdient, ist für sehr wenig Geld versichert. Wer mehr verdient, muß entweder bis zu einem gewissen Deckelbetrag mehr Geld bei der Kasse abliefern, oder einen privaten Versicherungsbeitrag bezahlen, der zwar nun einkommensunabhängig ist, aber der indirekt dazu verwendet wird, das medizinische System in Deutschland querzusubventionieren, denn von den Krankenkassenabrechnungen können die wenigsten Ärzte leben. Eine gutgehende Praxis ohne Privatpatienten gibt es nur, wenn alles auf Durchsatz angelegt ist. Möglichst viele Patienten in möglichst kurzer Zeit. Da ohnehin hauptsächlich Pauschalen abgerechnet werden, ist das Fließband die ökonomischste Variante.
Privatpatienten sind dem Arzt also, ökonomisch gesehen, als Kunden lieber. Daher werden sie oft auch besser behandelt, denn hier gibt es den Markt noch. Ein planloser Arzt, bei dem man jedes mal lange warten muß, trotz Termin, verliert seine Privatpatienten. Und wer sagt denn, wie der Arzt entscheiden soll, wer seiner Patienten einen Hausbesuch bekommt? Der, der ihn braucht? Oder der, für den der Arzt auch Geld bekommt? Nun ist es ja gottseidank so, daß viele Ärzte eben nicht wegen des Geldes Arzt geworden sind. Sie entscheiden tatsächlich nach medizinischen Gesichtspunkten, wer die Hilfe am nötigsten braucht. Aber dieses altruistische Verhalten zu fordern, ist schlicht unverschämt.
Vollkommen abstrus wird es, wenn die Schöpfer dieses Zweiklassensystems, die Damen und Herrn Politiker, nun die Ärzte kritisieren. Die Lösung wäre dabei so einfach: Jeder, der mag, kann sich privat versichern. Die Grundversorgung ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der Rest Privatsache, darf also auch nicht zugunsten des Staatssystems enteignet werden. Das ist nicht neu, darüber habe ich hier schon geschrieben. Die Verantwortung für das Schlamassel zu den Ärzten zu schieben, ist verbohrt, unehrlich und zutiefst unmoralisch. Aber der Staat ist hier schlicht nicht mehr handlungsfähig, das wurde in zahlreichen Reformen und Reförmchen klar. Ob es auch den Politikern klar ist?
Es geht ja weiter: Parallel dazu habe ich doch gerade im Radio gehört, daß die Krankenkassen die Gebühren nicht erhöhen dürfen. Wegen dieser Impfung gegen die Schweinegrippe. Und die Ministerin sprach „es werde Geld“ und es ward Geld. Genug für alle. Es muß nichts erhöht werden, weil, ja, weil es die Ministerin so befohlen hatte. Diesmal ist es nicht Reuters, sondern dpa, zum Beispiel in der Märkischen Allgemeinen:
Schmidt erteilt Kassenforderungen zur Impfung Abfuhr
Berlin (dpa) – Die Krankenkassen beißen mit ihren Millionenforderungen wegen der Massenimpfung gegen Schweinegrippe auf Granit. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt warf ihnen Verunsicherung vor. Sie lehnte auch ein Spitzengespräch mit den Kassen zu diesem Thema ab. Ein Ende des Streits um die riesige Impfaktion ist aber nicht in Sicht: Die Kommunen warnten von einem Chaos wegen unklarer Zuständigkeiten. Der Schnelltest für Grippe soll wegen Unzuverlässigkeit jetzt nur noch in Ausnahmefällen bezahlt werden.
Ein funktionierendes Gesundheitssystem schaut anders aus. Eine Pandemie droht? Dann ist es Aufgabe der Gesellschaft, vorzusorgen. Eine Massenimpfung ist nicht schwerer zu organisieren als eine Bundestagswahl. Für solche Entscheidungen ist das Gesundheitsministerium zuständig. Oder es ist Quatsch? Dann können ein paar Leute 30 Euro ausgeben bei ihrem Arzt, wenn sie wollen, und sich mit ihrer Versicherung notfalls streiten. Das geht den Staat nichts an.
Der Staat ist nur für die Spielregeln zuständig. Es muß dafür sorgen, daß der Versicherungsmarkt funktioniert, daß man beispielsweise die Versicherung wechseln kann, wenn man nicht zufrieden ist. Das tut er sogar, aber nur halbherzig, denn eigentlich will unser derzeitiger Staat die Privatversicherungen abschaffen.
Was nicht heißt, daß der Staat unabhängige Krankenkassen will, oder eine Art Markt. Er will ja nicht einmal mit den Krankenkassen reden. Und er bestimmt, die Beiträge dürfen nicht erhöht werden, der Staat will keine Zuschüsse geben, die Ärzte haben nichts zu verschenken, also was soll reden bringen? Befehlen wir einfach „Funktionieren“ – und das Geld wird schon irgendwo herkommen. Hat doch umgekehrt bei der Regierung auch geklappt, auf einmal standen hunderte „systemrelevanter“ Milliarden bereit, wo man sich vorher nicht einmal flächendeckend Kindergärten leisten konnte. Dabei muß Frau Schmid nicht befürchten, daß sie zu Fuß zum Treffen mit den Krankenkassen gehen müßte,
ihr Auto ist ja schließlich wieder da.
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