Trauer und Wut
Trauer, Wut und Angst vor der Zukunft, so überschreibt die Nürnberger Zeitung ihre wenig überraschende Meldung zur Stimmungslage der Quellemitarbeiter nach der Insolvenz. Aber diese drei Gefühle schließen sich gegenseitig aus – und nichts anderes steht in dem Artikel, die einen sind wütend, die anderen traurig, die dritten haben Angst.
Wut belastet am wenigsten. Trauer und Angst bekämpft man durch Wut. Und gerade als ich noch nach Beispielen dafür suche, fallen mir zwei Meldungen in die Hand. Da ist ein kurdisches Mädchen von ihrem Vater in Ostanatolien zwangsverheiratet worden. Sie flieht zurück nach Deutschland, wo sie ihre kulturellen Wurzeln eher sieht als in der fremden Heimat und läßt die Ehe annullieren. Sie lebt hier wie andere westliche Frauen, sucht sich selbst aus, mit wem sie ihr Leben verbringen will. Es kommt zu einer Abtreibung. Die Familie kommt nach Ansicht der Staatsanwaltschaft mit der selbst so empfundenen Schande nicht zurecht und beschließt, die Tochter zu ermorden. Ein Ehrenmord. Der Sohn der Familie opfert sich, er erschlägt seine Schwester und nimmt das komplette Verbrechen auf sich. Immer noch gilt: Alles in den Augen der Staatsanwaltschaft, der Prozeß ist noch nicht zuende. Also: Eine Sache der Ehre. Empfinden wir Wut? Nun, auf wen? Auf den Bruder und seine Sicht von Ehre? Den Vater, der möglicherweise alles angestiftet hat oder zumindest nicht verhindert? Den nichts ins Raster passendenden russischen Freund der Familie? Oder auf die sensationslüsterne Berichterstattung? Auch nicht, die Darstellung im Focus ist durchaus unprätentiös. Wut ist nicht das, was ich empfinde. Ich sehe die junge Frau, die kein selbstbestimmtes Leben führen durfte, und ich sehe die Familie, die eine Tochter und Schwester verloren hat und genau das nun spüren wird, egal ob die Staatsanwaltschaft recht hat oder nicht. Solch eine Tragik kann keine Wut auslösen, sondern nur Trauer.
Aber nun die andere Meldung. Ausgerechnet dem deutschen Ableger der Financial Times und nicht etwa irgendeinem Gesellschaftsblättchen entnehmen wir, daß der amerikanische Präsident gerne mit ein paar Sportbegeisterten Basketball spielt. Amerikanische Frauen fühlen sich davon „diskriminiert“: der Präsident spielt nicht mit Frauen Basketball. Legt man diese zynische Technik des Sich-Aufregens-Um-Jeden-Preis neben die Tragödie, die uns soeben noch s0 berührt hat, dann sind wir entsetzt. Angesichts des Schicksals wirklich benachteiligter Frauen in dieser Welt erscheint dieses Verhalten so erschütternd selbstsüchtig, so ekelhaft unangemessen.
Eigentlich wollte ich mit einem kleinen Scherz schließen: Der amerikanische Präsident spielt zuwenig mit Frauen, der vorletzte eher zuviel, aber irgendwie finde ich das jetzt nicht mehr als Abschluß geeignet. Das Lachen bleibt mir im Hals stecken. Und das ist
Wut
Bild: Sebastian v. Bomhard, „Obama empfängt die amerikanischen Frauenrechtler“
nach: William-Adolphe Bouguereau, „Orestes wird von Furien gehetzt„.
Samstag 7. November 2009 um 20:46
Die Nachricht in der Financial Times ist ein schönes Beispiel für das, was Robert Hughes in seinem lesenswerten Buch „Nachrichten aus dem Jammertal – Wie sich die Amerikaner in political correctness verstrickt haben“ geschrieben hat.