Wir Schildbürger
In Deutschland wird gerne und viel über Schilder diskutiert. Kein Wunder, nur wir sind in der Lage, uns so ernsthaft mit einem so lächerlichen Thema zu beschäftigen. Aus patriotischen Gründen beschäftige ich mich also auch damit.
Unser Schilderwald weckt Emotionen. Dem einen sind es zu viele Schilder und er fordert Warnschilder vor zu hoher Schilddichte. Dem anderen fehlt die „Repräsentierung aktuell politischer sozio-ökonomischer Entwicklungen“. Wiebitte? Ganz einfach: Es gibt in diesem Land Leute, die angeblich ein Kind nicht mehr erkennen, solange es Zöpfe hat. Oder einen Mann, weil er einen Hut aufhat. Also mußten alle Fußgängerwege neu beschildert werden – eine Frau mußte her, das war die Gleichberechtigung der 70er, und dem Kind wurden die Zöpfe abgeschnitten. Graphisch natürlich. Wobei ich hätte schwören können, daß das Kind auch beim Fußgängerschild Zöpfe hatte, aber die Erinnerung war trügerisch. Die spielenden Kinder wurden jedenfalls kahlgeschoren. Das steht fest.
Eine Generation weiter forderten Frauen übrigens, diese Frauen durch Männer zu ersetzen, um darauf hinzuweisen, daß nicht nur Frauen dafür zuständig sein sollten, Kinder irgendwo hinzubringen. Die hatten offensichtlich vergessen, daß es eine feministische Forderung gewesen war, die die Männer mit Hut aus dem Straßenbild verbannt hatten. Daraus wurde dann irgendwie nichts, vielleicht auch, weil man Latzhosen nicht so gut auf Verkehrsschildern stilisieren kann. Die Frau blieb.
Und jetzt war sie zu fraulich, nicht mehr zeitgemäß. Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Mantschkerl sind neutraler, ein neuer Entwurf mußte her. Einen Rock kriegt die Gute dennoch verpaßt, auch wenn ein solches Ungetüm in der Wirklichkeit keine Frau tragen würde. Nicht mal Lady Gaga.
Auch wenn Experten darauf hinweisen, daß ein Schilderwechsel durch großzügige Übergangsregelungen nie so abrupt wäre, daß Schilder ausgetauscht werden, die nicht ohnehin ausgetauscht werden müssten, so ist es dennoch fraglich, was der Sinn der Angelegenheit ist. Schildermodernisierungsgraphiker – solange wir noch solche Jobs zu vergeben haben, ist unsere Gesellschaft wirklich wohlhabend.
Das ist allerdings nicht der einzige Schilderaufreger. Ein besonders kurioser Fall wird aus Hagen bekannt. Hagen, Hagen, an was denken wir da? Richtig! Die Fernuni Hagen! Hagen ist selbstredend sehr stolz auf seine Universität. Mit 70.000 Studenten ist sie die größte Universität Deutschlands – nun gut, wenn man darauf verzichtet, die Studenten je zu Gesicht zu bekommen. Man verbindet mit Heidelberg, Tübingen oder München mehr Universität. Das hinderte die Hagener Stadtverwaltung nicht daran, ihre Universität für Werbung zu nutzen: Ein Redesign der Stadtschilder war fällig.
So geht es natürlich nicht. Aber die Begründung muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Nicht etwa die affektierte Schreibweise mit dem großen „Binnen-U“ ist das Problem, sondern die Tatsache, daß in Deutschland eine Liste erlaubter Zusätze zu Ortsnamen existiert. „Kreisstadt“ darf da stehen. „Große Kreisstadt“. „Landeshauptstadt“. Das ist erlaubt, aber nicht „Universitätsstadt“ oder „Rheinmetropole“.
Die Konsequenz: Ein Ortsschild darf ja zunächst aussehen, wie es will. Aber wenn es an einer Straße steht, ist es auch ein Verkehrsschild – und somit regelt es en passant ein paar Sachen nebenbei. Zum Beispiel ist es auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Nun könnte ein schlauer Autofahrer, der mit 100 Sachen durch die Hagener Innenstadt brettert, möglicherweise tatsächlich vor Gericht damit durchkommen, daß zu einer geschlossenen Ortschaft auch ordentliche, d.h. normgerechte Ortsschilder gehören.
Mag sein, daß hinter dieser Aussage zu wenig Vertrauen in die Weisheit unserer Amtsrichter steckt. Wer ein Schild braucht, um zu erkennen, daß er in einem Ort ist, sollte über die Rückgabe seiner Fahrerlaubnis nachdenken. Aber dennoch: Hagen wurde aufgefordert, seine kreativen Schilder zu entsorgen.
In Bayern gehen die Uhren anders, da sind solche Zusätze erheblich liberaler gestaltet. „Fachhochschulstadt Rosenheim“. Münchener grinsen da immer recht breit, da München keine seiner zahlreichen Universitäten und Fachhochschulen auf dem Ortsschild erwähnt, da steht ja deutschlandtauglich „Landeshauptstadt“.
Außerhalb Bayerns ist eine kreative Schilderbeschriftung also schwierig. Da stellt sich die Frage, wie die diversen „Lutherstädte“ das geschafft haben. In Wittenberg beispielsweise steht „Lutherstadt Wittenberg“ auf dem Ortsschild. Das Geheimnis: die haben sich einfach umgenannt! Und schon geht das. Es eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten. Gelsenkirchen kann sich umnennen in „Heimat von Schalke Gelsenkirchen“ und endlich ihr Bekenntnis zu ihrer Mannschaft am Ortseingang unzweifelhaft ablegen.
Aber da ist die Phantasie noch lange nicht zuende. Angesichts der klammen Finanzen mancher Städte bieten sich Industriepatronate an. Ein Unternehmen sponsert eine Stadt und die nennt sich partiell um. „Jägermeisterstadt Braunschweig“ – logisch, deren Fußballarena heißt ja eh schon so. „Microsoft Office-Stadt Saarbrücken“ – die können Geld brauchen. „Löwenbräustadt Jever“ – reizvolle Provokation, bestens geeignet für die Stadtväter dort, die Brauerei vor Ort sanft zu überreden, das Patronat selbst zu übernehmen. Eine Goldgrube!
Mal schauen, ob man für sowas ein Patent eintragen kann.
Montag 2. Januar 2012 um 16:37
Jetzt sollen die tollen Schilder in Hagen wiederkommen.
Wer soll das bezahlen, wo doch angeblich die Stadtsäckel so klamm sind?
Ich mache den Vorschlag „Hagen die Stadt des SchildBürgerMeisters“