Netzneutralität
Letztes Jahr fand unter großer Anteilnahme der Netzöffentlichkeit zum Thema Netzneutralität eine Sitzung der Enquetekommission des Deutschen Bundestags statt. Was ich damals gesagt habe, will ich nicht aufwärmen, vielleicht nur die Zusammenfassung:
- Eine allseits anerkannte und in sich widerspruchsfreie Definition von Netzneutralität existiert nicht.
- Es handelt sich um eine Scheindiskussion, zu der es keinen aktuellen Bedarf gibt, und die höchstens von den tatsächlichen Zielen ablenkt.
- Freiheit und Internet sind eng verknüpft. Zur Freiheit gehört auch weitestgehende Markttransparenz. Ein transparenter Markt funktioniert meistens und muß nicht reguliert werden.
Nun wurde aus der Diskussion um die Netzneutralität ein Antrag der Grünen:
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die grundsätzliche Gleichbehandlung aller Datenpakete bei der Übertragung im Internet gewährt allen Bürgerinnen und Bürgern Internetzugang auf Basis der gleichen technologischen Grundlage. Dieses Umfeld einer neutralen Datenübermittlung „von Ende zu Ende“ hat den gesellschaftlichen und ökonomischen Erfolg des Internets überhaupt erst möglich gemacht. Die so entstandene Architektur des Internets beruht auf der gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Übertragung von Datenpaketen, die erst am Zielrechner einer Ende-zu-Ende-Verbindung wieder zusammengefügt werden. Praktizierte Netzneutralität ist auf diese Art und Weise zur Bedingung für den freien Transport von Daten und Informationen geworden. Datenpakete sollen auch in Zukunft grundsätzlich gleichberechtigt übermittelt werden.
„Auch in Zukunft“? Das gilt ja nicht einmal für die Vergangenheit.
Nutzerinnen und Nutzer haben das Recht auf einen diskriminierungsfreien Internetzugang, der sie Inhalte ihrer Wahl senden und empfangen, Dienste und Anwendungen sowie Hard- und Software ihrer Wahl nutzen lässt. Internetprovidern kommt dabei die Rolle eines neutralen Mittlers zu, der nicht in die Kommunikationen seiner Nutzerinnen und Nutzer eingreifen darf.
Vielleicht denken die Antragsteller hier an die unsägliche Stoppschilddebatte. Ein klarer Verstoß gegen alle mir bekannten Definitionen der Netzneutralität. Bravo! Volle Zustimmung. Vor lauter Euphorie merken die Befürworter aber nicht, daß es eine Menge Nutzer gibt, die eben nicht die Inhalte ihrer Wahl senden und empfangen sollten. Spammer. Hacker. Sonstige Onlineangreifer. Wenn der Provider einen Nutzer gegen Viren oder Spam schützt, wird ein anderer Nutzer am Senden gehindert. Handelt es sich beim „Empfang von Inhalten“ um Datendiebstahl, ist der Antrag eindeutig überzogen.
Eine Einflussnahme auf Verfügbarkeit, Priorisierung oder Bandbreite weitergeleiteter Daten darf sich nicht nach den Inhalten der Datenpakete oder der Art der Anwendungen richten. Der Weg eines Datenpakets durch das Internet darf nur aufgrund seiner Zieladresse beeinflusst werden, nicht aber aufgrund seines Inhalts oder seiner Absenderadresse.
Siehe oben. In dieser Allgemeinheit ist es leider technischer Unsinn.
Netzwerkmanagement für Internetprovider kann auch bei dauerhafter Gewährleistung der Netzneutralität betrieben werden. Es darf jedoch allein der Qualitätssicherung dienen und keine Nutzerinnen, Nutzer, Applikationenanbieter, Dienste, Geräte, Anschlüsse und Regionen benachteiligen.
Vermutlich gibt es wirklich wenig Applikationsanbieterinnen. Wäre mir nicht aufgefallen, würde hier nicht penetrant von Nutzerinnen und Nutzern gesprochen. Freie Netzbewohner sind sowieso keine Nutzer, sie nennen sich lieber Netizens.
Was wohl dahinter steckt, daß Regionen nicht benachteiligt werden dürften? Soll das etwa heißen, daß jeder Anbieter gezwungen werden soll, überall zum gleichen Preis zu liefern? Von den Halligen bis zur Zugspitze, Breitband zum gleichen Preis wie in München, Frankfurt oder Berlin? Soll das „die Wirtschaft“ zahlen (und damit die Nutzer über die Preise) oder wird es gleich aus dem Steueraufkommen finanziert?
Maßnahmen der Provider zum Netzwerkmanagement bedürfen der Transparenz gegenüber Nutzerinnen, Nutzern und Regulatoren. Eine Überwachung der Inhalte des Datenverkehrs ohne gegebenen Anlass, z. B. durch Deep Packet Inspection, verstößt gegen die Netzneutralität und das Fernmeldegeheimnis. Sie ist als massiver Grundrechtseingriff abzulehnen.
Weiß jeder, was Deep Packet Inspection ist? Jedes Datenpaket wird analysiert, on the fly, also in Echtzeit. Die Analyse wird natürlich nicht von Menschen vorgenommen, sondern von spezieller Hardware, auf der noch speziellere Software läuft. Nur so fängt man Viren. Verstößt das nun gegen das Fernmeldegeheimnis? Oder nur, wenn es nicht um Viren geht? Das halte ich für gewagt. Genauso gewagt, wie die sprachliche Gleichstellung von Fernmeldegeheimnis und jener abstrakten Netzneutralität.
(…)
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) sich für die dauerhafte Gewährleistung der Netzneutralität durch eine gesetzliche Festschreibung auf europäischer Ebene einzusetzen;
b) die Netzneutralität stärker als im bisher vorliegenden Referentenentwurf in den Wortlaut des Telekommunikationsgesetzes zu integrieren;
c) die Bundesnetzagentur mit der Durchsetzung der Netzneutralität in Deutschland zu beauftragen.
Klar. Wir haben es noch nicht mal bei uns zu Konsens gebracht, aber blasen es gleich zum europaweiten Moloch auf. Können wir den Esten, Portugiesen und Österreichern das nicht jeweils selbst überlassen? Endgültig kalt läuft es mir aber über den Rücken, wenn die Bundesnetzagentur in Zukunft mit Leitzordnern voller Fragebögen auf die Provider zukommen wird.
Und dann stellt sich endgültig die Frage, wie das der Netzneutralität dienen soll. Zuerst führen wir Lizenzen ein, wer keine hat, darf kein Internetprovider sein. Ganz im Sinne von Frau von der Leyen, die angesichts der schwer kontrollierbaren mittelständischen Provider einfach definiert hat, daß diese dann eben keine Internetprovider mehr sind. Und nun so ein Antrag von Leuten, die sicher glauben, politisch weit weg von Frau von der Leyen zu sein. Kontrollfreaks, die einen Markt regulieren wollen, den sie ganz offensichtlich nicht verstehen. Dabei glauben sie vermutlich auch noch, der Freiheit zu dienen.
Traurig.
Bildquelle: vorwaerts.de