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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Samstag 10. März 2012

Demokratie ist nichts anderes als das Niederknüppeln des Volkes durch das Volk für das Volk
Oscar Wilde

 

Kein Kampf

Zensur findet nicht statt in einer Demokratie, aber das versteht sich ja von selbst. Ist das Material gar zu krass, gibt es immer noch die Altersfreigabe ab 18. Sind Kinder und Jugendliche geschützt, ist man sehr frei in der Verbreitung von abstrusesten Inhalten. Das ist schön und hat etwas mit Freiheit zu tun.

So gesehen ist es nicht überraschend, daß in einer Gesellschaft wie der unseren Bücher erlaubt sind, die erklären, wieso Leute, die die Darwinschen Thesen für überzeugend halten, in der Hölle schmoren müssen, daß Krankheiten Zeichen von sündigem Leben sind und daß es Werwölfe und Vampire wirklich gibt. Nicht einmal der malleus maleficarum, zu deutsch „Hexenhammer“, ist bei uns verboten. In diesem Buch wird haarklein beschrieben, was Hexen so machen und was man selbst tun kann, um ihnen die entsprechenden Geständnisse zu entreissen. Unvergesslich sind mir die Unterscheidungen zwischen incubus und succubus. Das war nichts anderes als die Klassifikation von Hexen durch Differenziation der bei ihrer Initiierung angewandten sexuellen Praktiken. Da das Buch überwiegend auf Latein geschrieben ist, erübrigt sich die Altersfreigabe. Wer das versteht, ist alt genug.

Aber es gibt noch ein Buch, das ist noch viel böser als der Hexenhammer. Nein, ich spreche nicht vom Necronomicon. Das Buch vom Gesetz der Toten ist schon deshalb nicht verboten, weil es ohnehin nur in den Büchern von H. P. Lovecraft existiert. Nein, ich spreche natürlich von „Mein Kampf“, einem Sachbuch von Adolf Hitler. Sieht man sich die Verkaufszahlen des Buches nach seinem Erscheinen an, drängt sich der Verdacht auf, daß Hitler ein ganz passabler Maler war, ein katastrophaler Feldherr, aber ein äußerst begabter Bestsellerautor. An der Qualität des Buchs kann es nicht gelegen haben, es wurde von vielen bereits bei Erscheinen vor allem wegen seines Stils verrissen, weniger wegen seiner Inhalte. Das erforderte noch nicht viel Mut, ist es doch bereits 1924 erschienen. Freiwillige Käufer muss es zu Hauf gegeben haben, denn bereits vor 1933 war es ein Bestseller. Nach 1933 schnellten die Verkaufszahlen allerdings noch weiter nach oben. Das ging so weit, daß Brautpaare auf den Standesämtern anstelle einer Bibel ein Exemplar von „Mein Kampf“ erhielten. Interessant dabei: Es wurde der Handel mit gebrauchten Exemplaren des Buches untersagt. Das verhinderte, daß Ehepaare ihr „Geschenk“ mangels Ebay gleich wieder an ein Antiquariat verhökerten. Schon damals gab es also Rechtseingriffe zur Hebung der Verwertungsrechte an einem Text.

Worum geht es in dem Buch?

Da der Autor des Buchs sich heute zu Recht nicht mehr derselben Wertschätzung erfreut wie bei Erscheinen der ersten Auflage, wissen viele Leute kaum noch, worum es in dem Buch geht.

  • Zum einen enthält es die Forderung nach einem österreichisch-deutschen Zusammenschluß. Nun ja, das ist ja bereits vollzogen, sind noch ein paar Länder hinzugekommen, nennt sich EU.
  • Dann eine Kritik des zügellosen Börsenkapitalismus. Hätte der Autor nicht ausschließlich den Juden die Verantwortung dafür zugeschoben, könnte man diese Aussagen heute an jeder Ecke lesen oder hören.
  • Dasselbe gilt für die Warnung vor dem Bolschewismus. Daß er „jüdisch“ sei, leuchtet nicht ein. Dennoch: Lebende Anhänger des Bolschewismus kenne ich nicht.
  • Dann vertritt der Autor die Ansicht, dass sich ein Zweifrontenkrieg nicht wiederholen dürfe. Ich teile diese Ansicht übrigens, ich wünsche mir auch keinen Zweifrontenkrieg in Deutschland und schätze, ich finde locker über 80 Prozent Befürworter dieser These. Die fehlenden 20 Prozent resultieren aus der Tatsache, daß diese nicht genau wissen, was ein Zweifrontenkrieg sein soll und denken, es habe was mit Hip-Hop zu tun.
  • Ferner wird vertreten, daß ein Bündnis mit England und dem damals faschistischen Italien angestrebt werden sollte. Das mit dem Bündnis mit England scheiterte an England (zu deren Glück). Spricht nicht gegen das Buch.
  • Dann enthält das Buch noch eine polemische Kritik am Parlamentarismus, der durch einen germanischen Führerstaat, der die angeblich wahren Interessen der Volksgemeinschaft wahrnehmen solle, zu ersetzen sei. Der erste Teil hat sich kaum geändert. Den Beweis findet man tagtäglich in den Blogs, auf Twitter, aber auch in meinungsverhärtenden Seiten der Massenmedien. Parlament kommt von parlare, reden. Dort wird also geredet, gehandelt wird in Hinterzimmern von Luxushotels. So stellt sich der kleiner Fritzi unsere Demokratie vor und wir halten uns seufzend an Churchill, der sagt „Democracy is the worst form of government except for all those others that have been tried“. Was den Führer angeht, nun ja, zumindest im Geschäftsbereich lebt das Prinzip fort, weswegen es dort anachronistischerweise immer noch Geschäftsführer gibt.

Also, wieso ist der Buch eigentlich verboten? Spaß beiseite, ich weiss nicht, ob ich nicht hier leichtfüßig zwischen Fettnäpfchen umherspringe. Ich habe es ja nicht gelesen, ich kann es ja nicht mal lesen, denn auf deutsch wird es nicht gedruckt.

Quellenstudium nur unter erschwerten Bedingungen

Nur auf Spanisch zum Beispiel, wo es mit der Alterfreigabe ab 9 Jahre zu kaufen wäre. Und selbst wenn ich Spanisch könnte, dürfte ich das Buch dennoch nicht haben, denn auf dem Cover ist ein Hakenkreuz. Ohne Hakenkreuz könnte man das Buch in Indien kaufen, wo es, man glaubt es kaum, von Wirtschaftsstudenten gelesen wird als Mangement Guide. Aber auf Deutsch?

Und nun die Verblüffung: Das Buch ist nicht verboten bei uns. Man darf es besitzen. Man darf es kaufen. Man darf es auch verkaufen. Nur nachdrucken darf man es nicht. Und das liegt daran, daß das Buch keineswegs zensiert ist, obwohl so viele Menschen glauben, es sei so. Die Verbreitung des Buchs wird lediglich dadurch verhindert, daß die Verwertungsrechte beim Freistaat Bayern liegen, und der verbietet den Nachdruck. So einfach ist das.

Wie kam der Freistaat an die Rechte? Adolf Hitler wohnte zwar in Berlin, gemeldet war er aber immer noch in München. Nach seinem Tod fielen alle seine Vermögenswerte zunächst an die Allierten und dann an den Freistaat. So wird die ganze Geschichte verständlich. Die Rechte an diesem Buch werden also verwendet, um eine Verwertung zu verhindern. Der britische Verlag, der Mein Kampf kommentiert in 16 Heften an deutschen Kiosken vertreiben wollte, unterlag gegen den Freistaat vor dem OLG in München. Nicht ganz verständlich ist die Behandlung der Spanier – drucken diese mit bayerischem Segen? Und wird hier das Verwertungsrecht nicht mißbräuchlich verwendet? Letzteres verneint also das OLG.

Darüber kann man sicher trotz allem lange diskutieren, aber nicht zu lange: Wenn Hitler 1945 gestorben ist, laufen die Schutzrecht 2015 aus, 70 Jahre nach seinem Tod. Es bleibt abzuwarten, ob ab 2016 alle Deutschen endlich wieder Mein Kampf lesen können, ob es vielleicht dann doch ehrlicherweise zensiert wird oder ob zu einem Trick gegriffen wird: Immer wieder behaupten Verschwörungstheoretiker, daß Hitler 1945 die Flucht aus Berlin gelang und er noch viele Jahre im Ausland unter falschem Namen lebte. Ein ungeheurer Verdacht keimt auf: Soll hier die Verlängerung der Schutzfrist vorbereitet werden? Steckt am Ende hinter den Gerüchten vielleicht gar der bayerische Geheimdienst?

Wir werden es sehen, 2016.

 

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