Eine Welt ohne Mäuse
Anfang der Siebziger hatte Armin Maiwald eine gute Idee: Er hatte eine kleine Sendung namens „Lach- und Sachgeschichten“, die Stadtkindern klarmachen sollte, dass Kühe nicht lila sind und Käseecken nicht auf Bäumen wachsen. Erst nachdem die Maus erfunden war, das Maskottchen mit dem unnachahmlichen Augenklimpern, wurde die Sendung Kult und ist es heute noch.
Eine ganz andere Maus ist bereits zehn Jahre älter. Ihr Erfinder heißt Douglas C. Engelbart. Den Namen Maus hat er ihr nicht gegeben, wohl aber das Aussehen und die prinzipielle Funktion: Ein Kästchen mit einem Druckknopf („Auge“) und hinten dran ein Kabel („Schwanz“) – mehr braucht es nicht, eine Maus zu erkennen. Er nannte es „X-Y-Positionsindikator“ und legte mit seiner Erfindung den Grundstein für die rasante Entwicklung der Computer.
Ein Selbstgänger war das nicht. Die typische Mensch-Maschineschnittstelle waren Drucker und Lochkarten. Gerade setzten sich die ersten Terminals durch, in Deutschland unter dem Namen „Datensichtgerät“ klar als Spassbremsen erkennbar. Datenfernübertragung und Vernetzung gab es, aber so langsam, dass man die Texte mitlesen konnte, während sie übertragen wurden, und zwischendrin auch immer wieder einen Schluck Kaffee nehmen.
1968 stellte Engelbart in San Francisco der Weltöffentlichkeit seine Visionen vor. Vielleicht sollte man Doug Engelbart noch mehr für seinen Vortrag bewundern als für seine Erfindung, denn er war nicht der einzige, der in den Sechzigern an Mensch-Maschine-Schnittstellen forschte. Telefunken zum Beispiel erfand in Deutschland die Rollkugel – wenn man so will, eine Maus, die auf dem Rücken liegt. Diese führte jedoch immer ein Nischendasein – Engelbarts Maus machte das Rennen, denn nach der Präsentation war unter anderem Xerox sehr beeindruckt, und so nahm die Sache ihren Lauf.
Der Vortrag selbst wurde noch Jahre später zitiert und mit dem Ehrennamen „Mutter aller Präsentationen“ belegt. Nicht ganz unberechtigt, immerhin stellte Engelbart bei der Gelegenheit noch die Idee des Videoconferencing und einen kühnen Entwurf des Internet vor. Ich wäre sicher fasziniert gewesen, hätte ich teilnehmen können, aber zu der Zeit war ich noch nicht mal in der Schule.
Für die Maus sollte es noch Jahre dauern, aber der Anfang war gemacht. 1983 kam Apple mit „LISA“ auf den Markt, wenn man so will die Mutter aller Macs und so wuchs zusammen, was zusammengehörte: Die graphische Oberfläche und das dazu passende Eingabegerät.
Reich geworden ist Engelbart mit seiner Erfindung nicht. Er arbeitete am Standford Research Institute, das damit automatisch die Vermarktungsrechte an seinen Erfindungen hielt. 40.000 Dollar soll der Verkauf der Rechte für Standford gebracht haben. Gemessen am Erfolg ein Witz – und dennoch hat sich Engelbart nie darüber beschwert. Im Gegenteil, er hat sich gefreut, dass seine Erfindung so viel Erfolg hatte, was ihm ja bei seinen weiteren erfolgreichen Forschungsprojekten sicher nicht von Nachteil war.
Somit war er ein Internetpionier der ersten Stunde – nicht Patente, sondern frische Ideen, die von allen eingesetzt werden dürfen, waren das Erfolgsrezept des Internet. Tim Berners-Lee, der Erfinder von HTML und WWW war nicht der erste, wenngleich er ebenfalls einen Dauerplatz in der virtuellen Walhalla verdient hat.
Douglas C. Engelbart ist schon dort – vorgestern ist er nämlich gestorben. Ich verwende heute im Andenken an ihn ausschließlich die Maus und nicht das Trackpad. Und ich schreibe diesen Artikel in aufrichtiger Dankbarkeit.