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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Dienstag 12. Februar 2008

Ähnlichseherei und Gleichmacherei sind das Merkmal schwacher Augen.
Friedrich Wilhelm Nietzsche

 

Die Waage der Baleks

Heinrich BöllJeder hat wohl in der Schule die Novelle „Die Waage der Baleks“ gelesen. Es ist von Böll. Ja, wirklich! Der Propagandastil hätte besser zu Brecht gepasst. Aber es ist doch von Böll, den ich sonst immer als witzig und als auf eine erfreuliche Art boshaft empfunden hatte.

Egal, da liegt es also vor mir, das Machwerk, über das ich mich in der Schule so aufgeregt hatte. So geht es los:

In der Heimat meines Großvaters lebten die meisten Menschen von der Arbeit in den Flachsbrechen. Seit fünf Generationen atmeten sie den Staub ein, der den zerbrochenen Stengeln entsteigt, ließen sich langsam dahinmorden, geduldige und fröhliche Geschlechter, die Ziegenkäse aßen, Kartoffeln, manchmal ein Kaninchen schlachteten; abends spannen und strickten sie in ihren Stuben, sangen, tranken Pfefferminztee und waren glücklich. Tagsüber brachen sie den Flachs in altertümlichen Maschinen, schutzlos dem Staub preisgegeben und der Hitze, die den Trockenöfen entströmte. In ihren Stuben stand ein einziges, schrankartiges Bett, das den Eltern vorbehalten war, und die Kinder schliefen ringsum auf Bänken. Morgens waren ihre Stuben vom Geruch der Brennsuppen erfüllt; an den Sonntagen gab es Sterz, und die Gesichter der Kinder röteten sich vor Freude, wenn sich der schwarze Eichelkaffee an besonders festlichen Tagen hell färbte, immer heller von der Milch, welche die Mutter lächelnd in ihre Kaffeetöpfe goß.

Und so weiter. Die Gesichter der Kinder röten sich noch mehrmals in dieser Geschichte, obgleich das bereits beim ersten Mal übertrieben klingt. Dass es einem grossen Erzähler wie Böll passiert, dass er unfreiwillig behauptet, diese Leute hätten Kartoffeln geschlachtet (das steht ja da!), will ich nur kurz streifen.

Die Geschichte geht ja so weiter: Die Baleks sind die erste Familie am Ort, sie sammeln die Erzeugnisse der Leute ein und verkaufen sie weiter, mit Gewinn. Sie lassen schon seit Generationen immer wieder den begabtesten Burschen aus dem Ort studieren, und, wird jemand krank, kümmern sie sich um dessen Genesung. Feudalistisch, mag sein. Anlässlich ihrer Erhebung in den Adelsstand schenken sie jedem Einwohner ihres Dorfs ein Päckchen Kaffee und einem Buben, der den Kaffee abholt, ein Bonbon. Dieser undankbare Kerl wiegt den Kaffee nach, und zertritt dann das freundlich geschenkte Bonbon und löst einen heftigen Aufstand aus. Warum? Weil er festgestellt hat, dass die Waage, die die Baleks verwenden, zu wenig anzeigt.

Worum geht es in der Geschichte? Soll gezeigt werden, dass Michael Kohlhaas nicht immer recht hat? Dass man aus einer Mücke keinen Elephanten machen soll? Nein – es handelt von Gerechtigkeit, zumindest glauben das alle Deutschlehrer. 

Will mir Böll ernsthaft einreden, dass die Baleks, die in einem Schloss wohnen, die Waren für Pfennigbeträge einkaufen, grammweise, dass diese Leute vorsätzlich ihre Waage manipulieren? Das hätten die gar nicht nötig, denn sie bestimmen eh die Preise. Die Leute im Ort verdienen gerade mal ihre Subsistenz – da spielt es keine Rolle, ob auf einem Packerl gesammelter Pilze 100 Gramm oder 110 Gramm steht. Man kann kritisieren, dass Menschen so leben müssen, wie diese Dorfleute, aber, wie heisst es so schön gleich oben im Text: 

abends spannen und strickten sie in ihren Stuben, sangen, tranken Pfefferminztee und waren glücklich.

Und zwar genau so lang, bis dieser Großvater, der damals noch ein Bub war, seine hanebüchene Theorie von den Waagenmanipulatoren aufstellen musste. Jedenfalls waren die Leute danach sicher nicht mehr so glücklich, denn im Lauf der Geschichte gibt es noch Tote und es geht schlecht aus.


Fand nur ich diese Geschichte so unbefriedigend?!

 

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