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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Dienstag 14. Oktober 2008

Wenn ich ich bin, weil ich ich bin, und Du Du bist, weil Du Du bist, dann bin ich ich und Du bist Du. Wenn Ich aber ich bin, weil Du Du bist, und Du Du bist, weil ich ich bin, dann bin ich nicht ich, und Du bist nicht Du.
Yasmina Reza

 

Der Gott des Gemetzels

Man muss sich nicht immer in Sorge um die Welt kopfhaltend auf den Teppich wälzen, mit vor Entsetzen geweiteten Augen. Man kann auch ins Theater gehen und sich ablenken. Zum Beispiel ins Residenztheater in München und sich dort den „Gott des Gemetzels“ ansehen, ein geniales Theaterstück von Yasmina Reza. Premiere war schon im Januar. Bis jetzt hat mir niemand gesagt, dass ich ums Haar etwas versäumt hätte – und bei der Beschreibung, die man zu diesem Stück lesen kann, hätte ich etwas ganz anderes vermutet:

Wir können nicht miteinander leben, aber wir versuchen es immer wieder.
In DER GOTT DES GEMETZELS von Yasmina Reza haben sich zwei Jungen geprügelt. Ein Stock war im Spiel und Zähne sind verletzt. Die Eltern, gut situiert und gebildet, führen ein Streitschlichtergespräch, das zum Krieg im Wohnzimmer wird, unvermittelt und brutal. Wozu die lieben Kleinen erzogen werden sollen, dazu sind die Erwachsenen selbst nicht fähig. Der zivile Umgang funktioniert in der kleinen Welt des kultivierten Bürgertums ebenso wenig wie in der großen Welt der „realen Konflikte“.

Wer ahnt, dass es hier um eine wahrlich komische Angelegenheit handelt! Konfliktlösung im Gespräch. Welches, man ahnt es, schrecklich scheitert. Schrecklich, und schrecklich lustig zugleich. Lang nicht mehr so gelacht.

Zwischendrin hält man schuldbewusst inne – ist das noch Theater? Darf man sich einfach so amüsieren? Oder ist das dann gleich Boulevard, also seicht? Aber seicht ist das Stück nicht. Menschenkenntnis pur tritt zutage, und genial gespielt ist es obendrein. Kein Wunder: Suny Melles, Sibylle Canonica, Michael von Au und Stefan Hunstein, die beiden Ehepaare. Mehr Personen treten nicht auf und mehr braucht es auch nicht.

Die schlichte Bühne ist sehr passend, man entnimmt den Namen, dass der Austragungsort Paris ist – aber dieses Wohnzimmer kann auch in Madrid, Hamburg, Wien oder eben München sein. Die Bühnentechnik ist schlicht, aber es gibt einen äußerst beeindruckenden Trick (hoffentlich war das ein Trick!): Suny Melles kann die halbe Bühne vollkotzen und man findet das lustig! Zugegeben, das Stück hat keine Pause, sonst hätte man nach dieser Szene einen gesteigerten Absatz von Cognac beobachtet.

Also: Lustig, Tiefgang, atemloses Nacherzählen danach im Lokal, hemmungsloses Kichern – ein Muss. Ein Glück, dass ich die dröge Besprechung im Spiegel nicht gelesen hatte. Oh mein Gott. Was hätte denn Gnade vor diesem Rezensenten, Wolfgang Höbel, gefunden?

Der Bürgerkrieg findet im Wohnstudio statt, und das ist in der Boutiquen- und Bonzenhauptstadt München natürlich besonders schick bestückt

Ah, daher weht der Wind. Wieder dieser merkwürdige Minderwertigkeitskomplex eines Hamburger Spiegelschreibers, sobald es um München geht. Aber das ist keine Entschuldigung für solch sinnentlehrte Höbeleien. Auch scheint er etwas gegen den Regisseur zu haben, Dieter Dorn:

Erstaunlicherweise stört Dorns moralische Zaunpfahlschwingerei nicht weiter.

Erstaunlicherweise? Herr Höberl nennt das ganze Stück den Komödienbrüller der Saison… Vermutlich wäre er besser zu Atze Schröder, Bastian Pastewka oder Mario Barth gegangen, da gibt es Brüller ohne Tiefgang. Meine Meinung zu diesem Abend: Grandiose Unterhaltung, die im Kopf bleibt.

Kämen keine Handys vor, könnte das Stück auch Molière eingefallen sein. 

 

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