Vox populi
Nun wird es also durchgezogen, das „Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen“, kurz Zugangserschwerungsgesetz ZugErschwG. Hoffentlich lesen die regierenden Politiker zum Beispiel den Spiegel. Oder irgendeine andere geeignete Zeitung. Muß ja nicht gleich der heise-Newsticker sein. 130.000 Bürger zuerst völlig ungerechtfertigt zu beschuldigen und dann zu ignorieren, das ist ein Bärendienst an unserer Demokratie.
Die Verantwortlichen sollten sich bedeckt halten, wenn wieder festgestellt wird, daß die Anzahl der Wähler kontinuierlich abnimmt:
Das ursprünglich von Familienministerin Ursula von der Leyen auf den Weg gebrachte Gesetz hatte massive Proteste vor allem in der sogenannten Internet-Community verursacht. Eine Online-Petition gegen das Gesetz auf den Seiten des Deutschen Bundestages hat inzwischen politische Geschichte geschrieben: Mit rund 130.000 Unterzeichnern ist sie die größte von Bürgern initiierte Petition, mit der sich der Bundestag je befassen musste. Das wird er wohl erst erledigen, wenn der Entwurf längst Gesetz ist: Es wird nicht erwartet, dass sich der Petitionsausschuss noch vor der Sommerpause damit befasst. CDU und SPD versuchen, das Zugangserschwerungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode durchzusetzen.
Dennoch, es stellt sich das Gefühl ein, daß das Durchpeitschen des Gesetzes ein Pyrrhus-Sieg für die Initiatoren wird. Interessant auch der Umstand, daß der mit einer Aufgabenerweiterung konfrontierte oberste Datenschützer Peter Schaar von dieser Sache aus der Presse erfahren mußte. Seine Empörung war wohl nicht gespielt und er verdient vollstes Mitgefühl. Deutlicher konnte man die ihm zugedachte Feigenblattfunktion nicht demonstrieren. Seine Zivilcourage wurde wohl unterschätzt. Schließlich untersteht er dem Bundesinnenministerium. Wieso eigentlich?
Natürlich bleibt noch viel mehr unbegreiflich. So war die CDU/CSU von Anfang an für diesen ganzen Unsinn. Die SPD war nachdenklicher, bis auf Ausnahmen, brachte ein paar Änderungen ein, die nicht nur reine Kosmetik sind. Und wer kriegt die Prügel? Na klar, die SPD. Aus diesem Artikel stammt das oben verwendete „Stoppbild“. Stoppschild? Und niemandem fällt auf, daß ein Stoppschild so definiert ist: Anhalten, schauen, weiterfahren, wenn keiner kommt. Vermutlich sollte das ein anderes Schild werden (Einfahrt verboten!), aber Politiker sind so oft mit Chauffeur unterwegs, die kennen vielleicht unsere Verkehrsschilder gar nicht mehr.
Oben stand zu lesen, daß so ein Vorgehen, wie es uns von den Bundespolitikern hier gezeigt wurde, die oft bejammerte Politikverdrossenheit stärkt. Natürlich wird das hier kein Aufruf zum Wahlboykott. Nicht zu wählen ist dumm oder arrogant. Oder beides. Das Nichtwählen auch noch zu zelebrieren ist bequemlich und borniert. Demokratie besteht nicht daraus, alle paar Jahre ein Kreuzerl irgendwohin zu machen. Auch nicht, die regelmäßigen Quasselsendungen im Fernsehen anzuschauen. Demokratie ist ein Recht, mitgestalten zu können. Use it or loose it – wir können in verrückte Parteien eintreten, demonstrieren, Blogs schreiben, Abgeordnete quälen. Im Iran sind da die Möglichkeiten nicht ganz so vielfältig. Oder in China. Wer nicht wählt, unternimmt den untauglichen Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen. So etwas machen nur Idioten (griechisch: ἰδιότης, der Privatmann, also einer, der sich aus der Politik heraushält. Mir gefällt, wie die alten Griechen das sahen…). Und die Politiker weinen Krokodilstränen über den Niedergang der demokratischen Kultur und nutzen das ganze Desaster für ihre eigenen Ziele. Wer will denn so regiert werden, von ein
paar Lamentariern?
Bildquelle: Spreeblick