Wort des Jahres: Cyberkrieg? Wikileaks?
Cyberkrieg
Wie kann man so ein Retro-Wort als Wort des Jahres auch nur in Erwägung ziehen? War das nicht der Titel eines uralten Films? Nein, der hieß Wargames, aber er hätte auch Cyber War heißen können. Das klingt so nach 80er Jahre. Und Krieg… In Aghanistan wird seit jeher ängstlich vermieden, das Wort „Krieg“ auch nur zu denken, und im Internet gilt das nicht? Das Internet soll eben kein rechtsfreier Raum sein (seufz) und daher darf es auch kein kriegsfreier Raum sein. Gleich zwei Vorfälle wurden letztes Jahr als Krieg attribuiert: Der Angriff auf Steueranlagen der Firma Siemens, wie sie etwa in Atomaufbereitungsanlagen eingesetzt werden (Stuxnet) und die Denial-of-Service-Attacken auf all die amerikanischen Firmen, die sich allzu willfährig daran beteiligten, Wikileaks den Garaus zu machen. Das war aber kein Krieg, eher eine Demonstration, und geschadet dürfte Amazon und Paypal eher der Abzug einer großen Zahl von Kunden haben. Im Rechenzentrumsbereich verließen die Kunden Amazon nicht wegen Sympathie zu Wikileaks, sondern eher wegen der allzu deutlich demonstrierten Nähe der Firma zu möglichen Begehrlichkeiten des Staates. Des US-Staates. Und da wundert sich inzwischen niemand, wieso keiner mehr vertrauliche Informationen in eine amerikanisch dominierte Cloud legen mag. 0 Punkte für den Cyberkrieg.
Wikileaks
2010 war wirklich ein wichtiges Jahr für Wikileaks. Aus der „Whistleblowerplattform“ wurde ein Politikum. Es geht nicht mehr um Korruption, Umweltsünden, vertuschte Sicherheitsrisiken. Spätestens seit Cablegate geht es darum, ob es überhaupt noch Dinge gibt, die wirklich geheim bleiben. Die Bilder brutal mordender Soldaten, die auf Menschen schießen, als ginge es um ein Videogame, werden uns noch lange verfolgen. Cablegate hingegen war eher lustig: Wir haben erfahren, daß Frau Merkel die Teflonkanzlerin ist, an der nichts haften bleibt, aber eben auch, daß sie nicht gerade kreativ sei. Nun gut. Daß Herr Westerwelle aggressiv sei, und daß er nicht identisch mit Genscher sei („He’s no Genscher“). Tja. Und Seehofers Horizont ist begrenzt. Nun denn, dazu braucht es Wikileaks nicht. Viel interessanter ist die Tatsache, daß diese Daten und andere, die vielleicht doch etwas brisanter waren, alle offiziell als geheim eingestuft waren. Kein Politiker sagt seither, irgendwelche Daten seien sicher und Bürgerdaten könnten vor Mißbrauch geschützt werden. Jedenfalls die Politiker nicht mehr, die sich von Erfahrungen beeindrucken lassen.
Was aber vielleicht noch verblüffender war: Wikileaks kündigt an, das US-Außenministerium vorzuführen. Nichts passiert. Wikileaks macht es. Dann kündigt Wikileaks an, eine Großbank vorzuführen. Und schon werden die Konten gesperrt und die Server gekündigt. Das ist Macht. Aber es bringt Wikileaks nicht zum Schweigen. Und das ist eine neue Macht.
Dank Wikileaks gibt es nur noch eine Sache, die weltweit unklar ist und vielleicht nie aufgedeckt wird: Wie spricht sich der Nachname des Frontmannes Julian Assange wirklich aus?
Cablegate bekommt 9 Punkte. Wikileaks kriegt höchstens 3 Punkte: Das Thema hat 2011 eher noch bessere Chancen,
wieso also Punkte schon für 2010 verschwenden?