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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Freitag 21. Januar 2011

Der Undank darf uns nicht hindern, Gutes zu tun.
Christine von Schweden

 

Prekäre Bürgermeister

Heute stand in der Süddeutschen Zeitung auf der ersten Seite ein Artikel, den man auch online findet: Hartz IV – die Krux mit dem Ehrenamt. In der Papierversion war noch die Rede von „Gotteslohn“ gewesen. Um was geht es? Kurz gefaßt: Ein Bürgermeister, der sein Amt als Ehrenamt bekleidet, bekommt dafür 500 € Aufwandsentschädigung. Nun gibt es in den Neuen Bundesländern viele Bürgermeister, die arbeitslos sind und von Hartz IV leben, sagt zumindest der Artikel, und da wird jene Aufwandsentschädigung bei der Berechnung von Hartz IV angerechnet.

Holger Klukas ist 56, schwerbehindert und seit 1998 ohne feste Stelle. „Ich habe keine Hoffnung mehr, dass ich noch einmal eine richtige Arbeit bekomme“, sagt der Maschinen-Ingenieur. Klukas, der derzeit einen befristeten Job hat, ist aber keiner, der sich hängen lässt. Er engagiert sich als ehrenamtlicher Bürgermeister in der 500-Seelen-Gemeinde Gallin-Kuppentin in Mecklenburg-Vorpommern. Dafür erhält er 500 Euro im Monat. Von dieser Aufwandsentschädigung bleibt ihm aber nur wenig übrig.

Wenn Klukas im Juli wieder Hartz-IV-Empfänger wird, darf er nach geltendem Recht als Alleinstehender 179,50 Euro oder 161,50 Euro als Verheirateter auf jeden Fall behalten, sofern er mindestens Ausgaben in gleicher Höhe für sein Ehrenamt geltend machen kann. Das entspricht jeweils der Hälfte des Regelsatzes. Hat er weniger hohe Aufwendungen, streicht das Job-Center sogar noch mehr weg. Ist er – so wie im Moment – nicht arbeitslos, darf er die Aufwandsentschädigung für sein Ehrenamt komplett kassieren. „Hier wird mit zweierlei Maß gemessen“, sagt er.

Das ist starker Tobak. Und er beweist, wie unsere Optik schon verschoben ist. Der Mann hat ein Einkommen. Das darf er behalten, natürlich, wieso auch nicht. Abgezogen wird ihm ein Teil seiner Hartz-IV-Bezüge. Anstatt sich zu freuen, dass er derzeit der Allgemeinheit nicht auf der Tasche liegt und in naher Zukunft wenigstens nicht vollständig, stört ihn das. Wenig Geld zu haben ist nicht schön. Wer mit 56 Jahren arbeitslos ist, hat es sicher nicht leicht und verdient unser Mitgefühl. Und unsere Unterstützung, notfalls eben auch als Hartz IV.

Aber Bürgermeister ist in dieser Gemeine ein Ehrenamt und die Bezüge sind eine Aufwandsentschädigung. Das heißt, er wird dafür entschädigt, daß er in der Zeit, in der er sein Ehrenamt ausübt, kein oder weniger Geld verdient. Ein Hartz-IV-Empfänger verdient gar kein Geld, er wird unterstützt. Welches Einkommen also entgeht ihm? Es ist ja sicher nicht die Rede von Auslagen.

Natürlich tut mir der Mann leid. Was muß das für ein Gefühl sein, als Ortsvorsteher auf Stütze angewiesen zu sein. Die Politiker, die sich jetzt also darüber aufregen, daß wir nicht alle Hartz-IV bekommen (Grundeinkommen) und den Rest behalten dürfen ohne Abzüge (wenn man von den dann notwendigen horrenden Steuern absieht), lassen dennoch ein beschädigtes Logikgefühl und ein verrutschtes Wertesystem erkennen.

Wie soll es nun weitergehen? Steht im Artikel:

Die Hartz-IV-Bürgermeister sind ein ostdeutsches Phänomen, weil dort die Erwerbslosigkeit besonders hoch ist. In vielen Dörfern geht ohne die ehrenamtlichen Oberhäupter nichts mehr. „In diesen Gemeinden gibt es keinen Supermarkt mehr, keine Sparkasse, keine Gastwirtschaft und keine Schule. Da ist der Bürgermeister der letzte Kümmerer und Ansprechpartner der Bürger“, sagt Klaus-Michael Glaser vom Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern. Zugleich seien immer weniger Menschen bereit, sich in solchen Gemeinden zum Bürgermeister küren zu lassen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert daher, die Aufwandsentschädigung überhaupt nicht mehr auf Hartz IV anzurechnen. „Wir brauchen hier eine Sonderregelung“, sagt Uwe Lübking, Sozialexperte des Verbandes.

Da bleibt einem die Spucke weg. Da gibt es einen Job, der angeblich notwendig ist. Man braucht einen Bürgermeister, weil es keinen Supermarkt und keine Wirtschaft mehr gibt? Der muss sich kümmern, weil es keine Schule und keine Sparkasse mehr gibt? Zu verwalten gibt es offensichtlich nichts dort, niemand heiratet, wird geboren, zieht um oder stirbt. Was wäre denn, wenn es keinen Bürgermeister gäbe? Dann müsste die Gemeinde eben einen Menschen dafür so ordentlich bezahlen, dass er ohne Hartz IV auskommt, dann gäbe es sicher bald wieder einen. Und wenn eine Gemeinde sich das nicht leisten kann, soll sie sich halt mit anderen Gemeinden zusammentun. Fünf Gemeinden, jede 500 €, jede hat einen Bürgermeister für einen Tag in der Woche und der Bürgermeister selbst bekommt außer Geld auch noch Selbstachtung.

Auch wenn Uwe Lübking, der oben erwähnte Sozialexperte des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, das anders sieht:

Wäre das nichts?

Bild: Wikipedia. Man sieht, wo dieser Ort Gallin-Kuppentin liegt, und man sieht das Wappen. Wappen? Ach herrjeh – da wollte ich auch auf keinen Fall Bürgermeister sein.

 

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