Steuer-Paranoia
Die Steuerbehörden mißtrauen den Bürgern grundsätzlich. Sind diese Bürger Unternehmer, Freiberufler, Gewerbetreibende, wächst das Mißtrauen in den Himmel. Andererseits will der Staat etwas von seinen Bürgern, hauptsächlich natürlich Geld. Aber eben nicht nur: Es werden gerne auch Frondienste delegiert. Neben der soeben ausgesetzten Wehrpflicht gibt es noch viel subtileres. Für die Steuererklärung sind jedes Jahr heftige Anstrengungen nötig, weil es dem Staat egal ist, wie kompliziert das Steuerrecht ist – er verdient an den Faulen, denen es zu mühsam ist, ihr Geld zu verlangen und akribisch Belege zu sammeln. Und die meisten Steuern kassiert der Staat nicht einmal selbst. Vielmehr spannt er Geschäftsleute und andere Unternehmer für diese Aufgabe ein.
Andererseits (oder vielleicht deshalb?) kann sich der Staat nicht vorstellen, daß nicht jeder den lieben langen Tag nachdenkt, wie er ihn übers Ohr hauen könnte. Daher gibt es immer wieder sogenannte „Verschärfungen“. Früher hat ein Geschäftsmann einem anderen eine Rechnung geschrieben. Bei dem ersten taucht dies als Einnahme auf, beim anderen als Ausgabe. Kopiert der zweite frech die Rechnung, um sie doppelt als Ausgabe anzusetzen, fällt das über kurz oder lang bei einer Betriebsprüfung mit Quercheck auf, denn die Gegenbuchung fehlt ja. Und der Betrüger bekommt massiven Ärger.
Aber das reichte der Bürokratie nicht. Zu kompliziert, nicht für das Geschäftsleben, sondern für den Prüfer. Also wurde eingeführt, daß jede Rechnung eine immerwährend eindeutige Rechnungsnummer bekommen muss. Das ist nicht selbstverständlich, denn früher fingen viele jedes Jahr wieder von vorne an mit der Rechnungsnummer 1. Aber nicht einmal das war ausreichend, wenn die Rechung per Email verschickt werden sollte. So eine Emailrechnung ist praktisch. Sie verbraucht zunächst kein Papier, sie kostet kein Porto und für ihren Transport werden wirklich überschaubare Mengen CO2 anfallen, im Gegensatz zu Papier.
Und wer sie auf Papier haben will, kann sie sich ja einfach ausdrucken. Ach ja? Von wegen. Die Gesetzeslage ist eindeutig (§14 Abs. 3 UStG), jede per Mail verschickte Rechnung mutiert zur „Digitalen Rechnung“. Diese muss nicht nur numeriert sein, sondern auch digital signiert (den Spezialfall EDI lassen wir mal weg). Und der Empfänger darf sie nicht einfach ausdrucken, sondern er hat sie digital vorzuhalten, damit der Prüfer bei seinem segensreichen Werk gleich elektronisch Hand anlegen kann. Das ist weltfremd. Ich kenne ausgesprochen wenig Firmen, die Lust haben, die Risiken der digitalen Signatur einzugehen. Diese muss ja persönlich erfolgen und die betreffende Person hat ein Mensch mit entsprechenden Kompetenzen in der Firma zu sein. Wer sich aber dessen digitalen Schlüssels bemächtigen kann, kann eine Menge Unsinn anstellen. Ich weiss nicht, ob ich jedem uneingeschränkt empfehlen würde, überhaupt so einen Signaturkey zu kaufen. Ja, richtig gelesen, solche Keys darf man nicht selbst definieren wie früher die eigene Unterschrift, man muss sie vielmehr für Geld kaufen. Für nicht wenig Geld, wie man sich denken kann.
Horrender Unsinn? Leider Realität. Edmund Stoiber ging bekanntlich nach Europa, um dort am Abbau der Bürokratie seine Unsterblichkeit zu befestigen. Das hat bis jetzt noch nicht so ganz geklappt, aber eines hat er sofort gesehen: Dieser Unsinn mit der digitalen Signatur sorgt dafür, daß heute komplette Geschäfte über das Internet abgewickelt werden, nur die Rechnung, die kommt per Post. Als Brief. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, daß hier richtig getrickst wird. Viele drucken die Rechnungen, die sie per Mail kriegen, einfach aus. Manche machen dann sogar listig einen Eingangsstempel drauf. Ganz Schlaue falten die Rechnung sogar, damit sie aussieht, als wäre sie mal in einem Umschlag gewesen. Das ist dann zwar irgendwie nicht korrekt, aber niemand kann diese Rechnung entlarven. Sie gleicht einer Briefrechnung zu 100 Prozent.
Ergo fehlt dem Empfänger das Unrechtsbewusstsein und den Sender freut’s, er spart das Porto. Ausdrucken muss der die Rechnung allerdings schon, sonst hat er ja wieder keinen Beleg für die Buchung. So richtig logisch war das noch nie, wo verläuft denn die Grenze? Ich darf Rechungen ja auch faxen, das gilt sehr wohl. Aber was, wenn ich die Rechnung direkt aus meiner Software auf einen Faxserver schicke, und von da wird sie dann irgendwann ausgedruckt – was ist der Unterschied? In beiden Fällen werden die Daten ausschließlich elektronisch übermittelt und dann gedruckt. Oder gilt der Faxserver auch nicht, muss es ein gutes altes Fax sein, am besten noch mit Thermopapier von der Endlosrolle? Kann auch nicht sein, denn in dem Fall müsste der Sender ja wissen, was für ein Faxgerät der Empfänger bereithält, sonst fehlt womöglich die digitale Signatur und die Rechnung wird umsatzsteuertechnisch nicht anerkannt. Auf der Empfängerseite natürlich, der Sender muss das Geld trotzdem versteuern und die Umsatzsteuer abführen.
Vor vielen Jahren hatte ich einen freien Mitarbeiter, der war etwas, nun ja, eigen. Sagen wir, unkonventionell. Ich musste ihn jedenfalls immer treten, damit ich endlich seine Rechnungen bekam. Eines Tages summt mein Drucker bei mir zuhause. Mein Modem blinkt (ja, das ist schon bald 20 Jahre her). Offensichtlich ist mein Rechner online. Auf einmal kommen die Rechnungen aus dem Drucker, den sich der Mitarbeiter schnell mal als seinen Netzwerkdrucker definiert hatte. Das war kein Problem, er hatte ja einen Account auf meinem Rechner für remote Zugriffe. Kurz darauf wiederholte sich das Spiel, die Rechnungen kamen nochmal, und dazu eine Mail: „Hier hast Du die Rechnungen. Ich habe meine Kopien gleich mit ausgedruckt, sei bitte so gut und schick sie mir per Post.“ Ist das nun korrekt übermittelt nach §14 UStG? Auf jeden Fall war es Chuzpe, das ist schon klar.
Und die Pointe: Am 1.7.2011 sollte dieser Unsinn bereinigt werden, die Regierung hatte alles vorbereitet. Nur war vermutlich das Ganze wieder einmal so ärgerlich mit anderen Regelungen gebündelt, daß der Bundesrat nicht zugestimmt hat. Und so bleibt bis auf weiteres alles beim alten.
Seufz.
Bildquelle: Beckshop