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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Dienstag 6. März 2012

Der Abschied schmerzt immer, auch wenn man sich schon lange auf ihn freut.
Arthur Schnitzler

 

Wie die Faust aufs Auge

Unvergesslich der Gentleman, den bei seiner Hinrichtung angesichts des Henkers hauptsächlich eine Sorge plagt – die Frage „Was gibt man dem Mann?“ Diese Geschichte wurde schon so vielen Menschen zugeschrieben, daß es sich klar um eine urbane Legende handelt, einen neuzeitlichen Mythos. Oft wird erwähnt, bei dem Delinquenten habe es sich um einen Snob gehandelt. Das sehe ich anders. Der wahre Gentleman denkt einfach an alles, und wo man nicht auf Erfahrung zurückgreifen kann, steigt das Risiko, eine Peinlichkeit zu begehen. Das ist bei Hinrichtungen so, das ist beim Ausscheiden aus dem Amt des Bundespräsidenten nicht anders. Kaum jemand macht diese Erfahrung zweimal.

Wiebitte? Schon wieder ein Wulff-Artikel? Nein, keine Sorge, mir geht es wie allen: Ich mag den Namen dieses Menschen nicht mehr hören. Das ist nur leichter gesagt als getan. Er steht nach wie vor unter öffentlicher Beobachtung und man kann sicher sein, wenn er sich in der Metzgerei vom Würstlverkostungsteller zwei Stückerl nehmen würde, es stünde in der Zeitung. Leider ist der Mann so instinktlos, steckt den ganzen Teller ein, symbolisch natürlich, und ignoriert die ihm zuteil werdende Aufmerksamkeit – vermutlich auch deshalb, weil es das letzte Mal sein wird, dass so viel über ihn berichtet wird. In ein paar Jahren noch ein Auftritt auf der letzten Seite im Stern („Was macht eigentlich …“) und das war’s.

Nicht ganz. Natürlich wird er in Wikipedia stehen. Oder in irgendeiner Liste, zum Beispiel in einer Liste aller Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Da wird er natürlich auftauchen, genauso wie in der amerikanischen Liste deren Präsident Zachary Taylor, der 12. Präsident der U.S.A. Würden die Amerikaner ihre Präsidenten nicht durchnumerieren, wäre dieser längst vergessen. Sein Vorgänger James K. Polk hat durch die Annexion von Texas und das Anzetteln des mexikanischen Kriegs wenigstens den Stoff für unzählige unsterbliche Western geliefert, sein Nachfolger Millard Fillmore war der letzte Präsident der U.S.A., der aus der Partei der Whigs stammte. Zachary Taylor, dem ich hier nicht am Zeug flicken will, starb nach einem guten Jahr im Amt. Das war’s. So bekam er natürlich auch keinen Großen Zapfenstreich, oder was auch immer die Amerikaner mit den Präsidenten machen, die sie während ihrer Präsidentschaft nicht ermordet haben.

An welches Vorbild soll sich also nun Herr Wulff halten? Er möchte nicht enden wie Taylor und sich 162 Jahre nach seinem Tod als blaß und farblos in einem Blog verunglimpfen lassen. Ergo wünscht er sich vier Stücke für seine Verabschiedung per Großem Zapfenstreich. Das gab es noch nie. Es waren immer drei. So geht man in die Geschichte ein. Während noch krämerhaft gestritten wird, ob man ihm den Großen Zapfenstreich überhaupt geben darf, nimmt er die Version XXL. Kurz nach der Ehrensolddebatte und dem wirklich unglücklichen Bestehen auf einem lebenslangen Büro mit Mitarbeitern kommt es darauf nun auch nicht mehr an.

Und was hat er sich gewünscht? „Over The Rainbow“. Hoffentlich nach der Art von Judy Garland und nicht im Heeresmusikkorpssound. Oder meinethalben in der Interpretation von Israel Kamakawiwo’ole. Das ist der mit der Ukulele, und das Instrument stimmt Wulff schon mal auf sein weiteres Betätigungsfeld ein, X-treme Island Relaxing.

Dann der Alexandermarsch, von Alexander Leonhardt. Komponiert und aufgeführt zu Ehren des Besuchs des russischen Thronfolgers Alexander, 1853. Erstaunlich, er hat doch den Ehrensold bekommen, da muss er sich nicht bei Gazprom einschmeicheln (was mich dazu bringt, dass man Bundeskanzlern auch ein lebenslanges Berufsverbot mit Ehrensold geben sollte). Kritteln wir an dieser Entscheidung besser nicht herum, auch wenn sich angesichts seines großen Freundeskreises die „Alten Kameraden“ allein vom Titel besser angeboten hätten.

Doch dann das nächste Lied, ein Kirchenlied, kein altes, eher eines, das von Pfarrern ausgesucht wird, die sich beim Gottesdienst eine Gitarre umhängen und Jeans unter dem Talar anhaben:

Da berühren sich Himmel und Erde

Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen
und neu beginnen, ganz neu.
Da berühren sich Himmel und Erde,
dass Friede werde unter uns.

Wo Menschen sich verschenken, die Liebe bedenken
und neu beginnen, ganz neu.
Da berühren sich Himmel und Erde,
dass Friede werde unter uns.

Wo Menschen sich verbünden, den Hass überwinden
und neu beginnen, ganz neu.
Da berühren sich Himmel und Erde,
dass Friede werde unter uns.

Oh jeh, wie komme ich nun raus aus dieser Nummer? Ich weiß, daß sich viele Menschen genau dieses Lied zu ihrer Hochzeit gewünscht haben. Aber es muß einfach raus, ich kann das nicht runterschlucken: Dieses Lied in diesem Zusammenhang auszusuchen, das ist das Ganz Große Kino. Besser geht kaum. Menschen vergessen sich also und verlassen die Wege und was kommt? Ganz klar, sie müssen neu anfangen. Das trifft’s. Dass sich in der zweiten Strophe Menschen verschenken und nicht umgekehrt, Menschen verschenken etwas und das führt schon wieder zu einem Neuanfang, das ist schon fast platt. Die dritte Strophe ist hingegen unrealistisch. Hier haben sich nicht Menschen verbunden, um Haß zu überwinden. Vielmehr hatte ich den Eindruck, dass die ganze Wulff-Affaire viele Menschen in ihrem oft schon irrationalen Haß verbündet hat. Aber auf so etwas lobend hinzuweisen? Ich weiß nicht.

Aber dann das Finale. Herr Wulff braucht also eine Zugabe. Und was wählt der Unglückswurm? Die Ode an die Freude. Vielleicht dachte Wulff an die Strophe

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, Dein Heiligtum.

Deine Zauber binden wieder,
was der Mode Schwert geteilt;
Alle Menschen werden Brüder,
wo dein sanfter Flügel weilt.

Sehr schön. Nichts dagegen zu sagen. Dennoch wird das Volk sich seiner Bildung erinnern und an den Chor denken, denn so geht es weiter:

Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder – überm Sternenzelt
muß ein lieber Vater wohnen.

Womit wir wieder beim Ehrensold wären. Ich. Will. Nicht. Kleinlich. Sein. Aber mit 190.000 im Jahr ohne Arbeit würde ich in diesem Chor auch gerne mitsingen. Herrjeh, jetzt habe ich es doch gesagt. Zurück zu Wulff: Seien wir großzügig, blicken wir über all diese Instinktlosigkeiten, Tolpatschigkeiten und Peinlichkeiten hinweg – in seiner Situation ist es schwer, noch irgendwas richtig zu machen. Aber eines werde ich ihm nie verzeihen: Nachdem ihm das Heeresmusikkorps schon zu verstehen gegeben hatte, daß man das von ihm ursprünglich gewünschte „Ebony and Ivory“ so schlecht blasen könne,  da zwingt er die Musiker, sich blastechnisch an Beethovens Neunter zu vergreifen.

Schon irgendwie diabolisch.

Bildquelle: Wikicommons. Die Abbildung zeigt die Handschrift Schillers – übrigens auch eine interessante Stelle der Ode an die Freude, die Strophe „Jeder Schuldschein sei zernichtet“. Aber genug jetzt mit diesen Anspielungen.

 

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