Wir sind alle Verbrecher
Was ich heute schreiben wollte, hat Tim Cole schon erledigt. Sehr lesenswert!
So ein Artikel sollte den Leuten von der „Ich habe nichts zu verbergen“-Fraktion, kurz: den Ihanizuven, zu denken geben. Schönes und sehr konkretes Beispiel, wieso wir uns Sorgen machen müssen, wenn man der Polizei erlaubt, was sie bzw. deren Führung sich wünscht.
Und auf der anderen Seite? Terrorismus bekämpfen und Leben retten – wer wird das in Frage stellen wollen? Und das Ziel rechtfertigt die Mittel. Der eine oder andere denkt dabei allerdings an den Film „Minority Report„. So eindeutig ist die Aussage des Films nicht wirklich, wie man zunächst meint. Nachdem das Cola getrunken und das Popcorn gegessen ist, sobald sich also die Kinotüren hinter einem wieder geschlossen haben, fällt auf, dass die Methode der Präkognition wenigstens die Mordrate gesenkt hat (und zwar auf Null).
Das ist doch per se ein gutes Ergebnis, auch wenn der eine oder andere den Verlust seiner Rechte zu beklagen hat. Einfach nur ein Fall von Interessenkonflikt? Einer muss leiden, damit es vielen anderen gutgeht? Aber wir wollen uns heute mal nicht ums Steuerrecht kümmern.
Wir beschränken uns auf die Vorratsdatenspeicherung. Zunächst. Dabei geht es ja nicht nur um Terrorismus, organisierte Kriminalität, Kinderpornographie und Drogen. Es geht, und das wissen schon längst nicht mehr alle Ihanizuven, um ähnlich folgenschwere Dinge wie Steuerhinterziehung, Geschwindigkeitsübertretung, Verstoß gegen das Meldegesetz und Urheberschutz. Und für solche Bagatellen sollen unsere Grundrechte ausgehebelt werden?
Dies sah auch das Landgericht Saarbrücken in einem Urteil ähnlich:
Im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Filesharing ist der Musikindustrie keine Akteneinsicht zu gewähren, da dem überwiegende schutzwürdige Interessen der beschuldigten Person entgegenstehen. Denn aus dem Umstand, dass eine bestimmte IP-Nummer einer bestimmten Person zugeordnet werden kann, folgt noch nicht, dass diese Person auch zu der angegebenen Tatzeit über den genannten Anschluss die vorgeworfenen Urheberechtsverletzungen begangen hat, so dass diesbezüglich nicht ohne weiteres ein hinreichender Tatverdacht bejaht werden kann.
Was steckt dahinter? Die Musikindustrie gibt eine Menge Geld aus, um Schwarzkopierer zur Strecke zu bringen. Das ist ihr gutes Recht, und ich werde nicht darüber nachsinnen, ob das sonderlich klug ist im Vergleich zu einfach anderen Geschäftsmodellen – hier bin ich eindeutig kein Fachmann. Was ermittelt aber nun die Musikindustrie? Es gab wirklich dreiste Fälle, wo Schwarzkopierer ihre „Beute“ auf CD gebrannt über eBay verkauft haben. Diese sind der Darwinschen Lehre von der Evolution zum Opfer gefallen und inzwischen wohl weitgehend ausgestorben. Fall abgeschlossen.
Heute endet die private Ermittlung meist bei einer IP-Adresse. Also einer Nummer, zu der es gilt, den Nutzer dieser Nummer herauszufinden. Dieses Verfahren haben wir bereits kennengelernt. Da gibt es nur ein Problem: Wir Provider sind doch nicht die Büttel der Musikindustrie. Deren privatrechtliche Ansprüche durchzusetzen ist nicht unsere Aufgabe. Also gehen die Anwälte der Musikindustrie her und erstatten Strafanzeige. Eine? Nein, tausende. Ständig. Diese Anfragen werden zur Ermittlung via Staatsanwaltschaft zur Polizei gegeben. Diese meldet sich bei den Providern und läßt die Eigentümer der Adressen ermitteln. Die Anwälte verlangen Akteneinsicht. Voilà, im Akt stehen die Daten des Eigentümers. Flugs noch unterstellen, der Eigentümer und der Nutzer seien identisch, und schon bekommt jemand eine zivilrechtliche Forderung ins Haus. Der Ausgang des Strafverfahrens ist ab diesem Zeitpunkt egal. Den bezahlen alle, die an der Finanzierung unseres Rechtssystems beteiligt sind. Meistens wird eh eingestellt.
Und genau dieser Praxis haben nun die Saabrücker den Riegel vorgeschoben. Danke!
Herrje. Das hat schon wieder nichts mit Vorratsdatenspeicherung zu tun. Oder doch?
(Fortsetzung folgt)