Kirschen essen
Die Erfindung des Automobils hatte bei allen Nachteilen auch einen Vorteil: zumindest ist die Zahl der Pferdediebstähle stark zurückgegangen. Trotzdem: Schön, wenn man jemanden kennt, mit dem man Pferde stehlen kann. Wenn man dann jemandem die Pferde gestohlen hat, dann ist vermutlich nicht mehr mit ihm gut Kirschen essen.
Woher das mit dem „Pferde stehlen“ kommt, ist wohl klar: Pferdediebstahl wurde früher hart, oft mit dem Tod, bestraft. Daher ist jemand, mit dem man Pferde stehlen kann, jedenfalls hundertprozentig zuverlässig. Vielleicht sagt man eines Tages „mit dem kann man Steuern hinterziehen“, wenn die Strafen für Steuerhinterziehung weiter verschärft werden.
Aber woher kommt das mit dem Kirschen essen? Jetzt wird es schwierig. Wer Wasser getrunken hat, darf einem alten Sprichwort zufolge keine Kirschen essen, oder umgekehrt. Kinder wissen das, sie kennen die fatalen Folgen, zumindest beim Ballspielen
Kirschen gegessen
Wasser getrunken
Bauchweh gekriegt
Ins Krankenhaus gekommen
Gestorben
Begraben
Was ist da eigentlich dran? Kirschen haben in der Schale auffällig viele Hefekeime. Von diesen bekommt man Magenzwicken. Das wird durch die Magensäure verhindert. Wenn man diese aber nun mit Wasser verdünnt, kann man wirklich Bauchweh bekommen. Wenn man viele Kirschen gegessen hat. Sehr viele. Jedenfalls platzt man nicht, wenn man Wasser trinkt. Und ich habe das geglaubt… Wir müssen als Kinder recht vertrauensselig gewesen sein. Und mit dem „gut Kirschen essen“ hat das alles nichts zu tun.
Kommt es vielleicht von gemeinsam erlebten Lausbubenabenteuern? Gemeinsam sich im Kirschbaum verstecken und mit jemandem Kirschen essen? So wie eine Vorform des Pferdestehlens? Das haut nicht hin, denn es heißt ja nicht gut Kirschen essen. Positiv gibt es das gar nicht. Da muß man vielleicht doch ein bißchen in früheren Jahrhunderten graben gehen. Vor Zeiten gab es ein häufig zitiertes Sprichwort. „Mit hohen Herren ist nicht gut Kirschen essen, sie werfen Dir die Steine ins Gesicht“. Kirschbäume waren selten und exotisch. Nur die Oberschicht konnte überhaupt Kirschen essen. Und für feines Benehmen gegenüber den niederen Schichten gab es im Mittelalter keine Garantie. Wer also schon Kirschen mit jemand aß, aber nicht dazugehörte, der mußte sich hüten, daß ihm der Klassenunterschied nicht drastisch vor Augen geführt wurde.
Gottfried August Bürger (1747-1794) kannte das alte Sprichwort auch noch, und dichtete in „Der Raubgraf„:
Für meinen Part, mit großen Herrn,
Und Meister Urian,
Äß‘ ich wohl keine Kirschen gern.
Man läuft verdammt oft an.
Sie werfen einem, wie man spricht,
Gern Stiel und Stein ins Angesicht.
Na toll. Das wäre geklärt, aber schon gibt es neue Rätsel: Wer ist Meister Urian? Das kriegen wir raus, das ginge ja
mit dem Teufel zu!
Weitere Erläuterungen folgen…