Mehr Wert
Die Briten sind der Vorreiter – sie haben die Mehrwertsteuer gesenkt, um schnell den Leuten mehr Geld in die Hand zu geben. Bei uns ist alles anders. Wir diskutieren noch. Kein Wunder, für Geldgeschenke ist kein Anlaß, es wird ja nicht mehr gewählt in nächster Zeit. Nun, bei den Briten waren es auch nur lustige 2,5%. Ob das was ausmacht?
Unser Mehrwertsteuersystem ist noch nicht sehr alt. Ich bin älter. Unser System wurde zum 1.1.1968 eingeführt, da das alte System unerwünschte Auswirkungen hatte. Die Schweiz ließ sich gar bis 1995 Zeit, Österreich war immerhin 1973 so weit. Was gab es vorher?
Bereits in Rom unter Kaiser Augustus gab es eine vergleichbare Steuer: Von allen (Waren-)Umsätzen, die getätigt wurden, mußte ein Prozent an den Kaiser abgeführt werden. Das war in den folgenden Jahrhunderten mal mehr, mal weniger, und geriet auch mal hunderte Jahre in Vergessenheit. 1916, als die deutsche Staatskasse wegen der kostspieligen Kriegshandlungen eine gefährliche Leere aufwies, holte der Kaiser dieses Instrument wieder hervor. Mit dem Warenumsatzstempelgesetz wurde am 26. Juni 1916 die Umsatzsteuer wieder bei uns eingeführt. Harmlos war sie. Gerade mal 0,1% von allen Entgelten für Warenlieferungen waren abzugeben. Das ist im Vergleich zu heute so wenig, daß das Bundesfinanzministerium hier lieber von 0,5% spricht:
Der ursprüngliche Steuersatz von 0,5 Prozent stieg nach wiederholten Änderungen 1935 auf 2 Prozent, 1946 auf 3 Prozent und 1951 auf 4 Prozent an.
(Quelle: Bundesfinanzministerium). Die 0,5 kamen aber erst Mitte 1918, als auch die Leistungen der Selbständigen mit einbezogen wurden. Am 24.12.1919 kamen die Freiberufler hinzu, und der Steuersatz wurde auf 1,5% erhöht. Nach einem alten Gesetz werden Steuern, wenn sich ihr Einführungsgrund erledigt hat, nicht einfach wieder abgeschafft. Im Gegenteil, einmal in der Welt steigt beinahe jede Steuer unaufhaltsam weiter. Nach dem Krieg waren es also 4 Prozent. Hört sich himmlisch an, hatte aber einen Haken: Es gab noch keinen Vorsteuerabzug. Je kürzer die Glieder der Wertschöpfungskette, desto höher die Kosten des Endprodukts. Dies verhinderte einerseits die Spezialisierung, ein Weg, auf dem Deutschland so erfolgreich war, und begünstigte andererseits die Entstehung riesiger Konzerne, die idealerweise sogar ihre Rohstoffe selbst produzierten und somit ihre Produkte nur einmal mit vier Prozent belasten mußten, nämlich beim Verkauf des fertigen Produkts.
Das war politisch nicht gewünscht und volkswirtschaftlich auch recht bedenklich. Dennoch kam es zum großen Lamento, als das neue Steuersystem eingeführt wurde. „Wieso müssen Unternehmen diese Steuern nicht zahlen und einfache Bürger schon?“ hieß es. Waren die Leute damals wirklich so naiv? Es gibt nichts, was Unternehmer bezahlen müssen, was nicht letztlich an die Konsumenten weitergereicht würde. Wieso? Unternehmen kalkulieren ihre Preise:
Verkaufserlös – Kosten = Gewinn.
Generell wird ein Unternehmen niemals etwas länger anbieten, bei dem diese Formel ein negatives Ergebnis liefert, also einen Verlust. Im einen oder anderen Fall handelt sich ein Unternehmer sogar richtig Ärger ein, wenn er dies tut. (Quersubventionierung? Preisdumping? Beides unerlaubter Wettbewerb. Oder Verletzung der Treuepflicht gegenüber den Eigentümern? Möglicherweise Schadensersatzgrund?) Wobei die Formel korrekterweise heißen muß
Verkaufserlös + Subventionen – Kosten = Gewinn.
Aber das ändert nichts am Ergebnis. So gesehen führte die neue Steuer für die Bürger in großen Teilen zunächst sicher zu einer Ersparnis. Aber man hörte auch, die Regelung sei nicht sozial, da sie Reiche und Arme gleich belaste. Das war ja schon wieder falsch. Arme bezahlen sehr wenig Mehrwertsteuer. Der Löwenanteil der Ausgaben einer armen Familie entfällt auf Miete (mehrwertsteuerfrei) und Lebensmittel (ermäßigte Steuer, bei Einführung nur 5 Prozent). Nur Konsumgüter unterliegen im Warenkorb einer Familie der regulären Steuer, also Auto, Kleidung, Schmuck, Urlaubsreisen, aber auch auswärts Essen anstatt daheim Kochen. Und je mehr einer verdient, desto mehr gibt er ja für Konsum aus. Und genau das macht diese Steuer so interessant in der aktuellen Diskussion – sie ist direkt mit dem Konsum verknüpft. Derartige Gesetzmäßigkeiten sind derzeit
äußerst spannend.
Fortsetzung folgt
Mittwoch 24. Dezember 2008 um 14:22
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Freitag 26. Dezember 2008 um 21:05
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