Noch mehr Wert
Wir haben erfahren, daß die Mehrwertsteuer zu Beginn von den Linken scharf kritisiert wurde. Unverständlicherweise. Dieser Protest verstummte zwar schnell wieder, aber erstaunlicherweise gehören Mehrwertsteuererhöhungen immer zu den politischen Ideen der Schwarzen. Was die Roten nicht dran hindert, da mitzumachen, aber das ist nicht das Thema.
Was stört die Linken? Schließlich ist die Mehrwerttheorie von Karl Marx formuliert worden. Nach Marx bezahlt ein Unternehmer seinen Arbeitern genau das, was sie zum Überleben brauchen, was also ihre Arbeitskraft erhält – daran ist ja auch noch der fieseste Manchesterianer interessiert. Zumindest solange das Heer der Arbeitslosen (bei Marx „die Reserve“) nicht unerschöpflich ist. Mehr bezahlt er nicht, wenn er nicht muß.
Somit haben wir auf der Kostenseite
Kgesamt = Arbeitskosten + Maschinenkosten + Rohstoffe + Steuern
und auf der anderen den Verkaufspreis V.
V – Kgesamt = Gewinn
oder eben:
V = Kosten + erwirtschafteter Mehrwert.
Und diesen Mehrwert erwirtschaftet der Arbeiter, der Kapitalist enthält ihm dafür aber den Lohn vor, und das kann nur er, weil er ja Eigentümer der Produktionsmittel („Maschinen“) ist, und der Arbeiter kann es ja nie, weil er nur seinen Lebensunterhalt bekommt, also nicht selbst Eigentümer werden kann. Das war wohl so zu Zeiten von Marx.
Aber jetzt ist jetzt. An die ganze Mehrwerttheorie erinnert nur die gleichnamige Steuer und die heißt noch nicht mal so. Der korrekte Name ist „Umsatzsteuer“. Eigentlich. Und gleich nach der Einführung der Steuer wuchsen die Begehrlichkeiten. 10 Prozent waren wohl zu hübsch zu rechnen, das mußte sofort nach einem halben Jahr erhöht werden. Und damit waren es also elf. Immer noch leicht zu rechnen, eine harmlose Addition im Dezimalsystem, und das war konstant während meiner ganzen Kindheit, bis 1.1.1978. Nicht einmal die große Rezession anfangs der 70er namens „Ölkrise“ wurde als Vorwand für eine Senkung genommen. 12 und 13 gingen schnell ins Land, der 14 war wieder längere Gültigkeit beschieden. 15 war wieder schön zu rechnen, 16 eher nicht, und vermutlich wären 17 und 18 auch häßlich zu rechnen gewesen, so ließ man sie gleich aus. Die SPD sagte „keine Erhöhung“ und „Nein zur Merkelsteuer“, die CDU/CSU „zwei Prozent mehr“, der Kompromiß war 19. Der Wähler war entsetzt. Erstens über die Kaltschnäuzigkeit der Politiker: „Gemeinsam begangener Wortbruch ist keiner“. Und dann hätte man weiß Gott gleich 20 Prozent nehmen können, das wäre wenigstens wieder leicht zu rechnen gewesen. Hier noch einmal die Übersicht:
Einführung | Regelsatz |
---|---|
1.1.1968 | 10 % (5% ermäßigter Satz) |
1.7.1968 | 11 % (5,5 % erm.) |
1.1.1978 | 12 % (6 % erm.) |
1.7.1979 | 13 % (6,5 erm.) |
1.7.1983 | 14 % (7 % erm.) |
1.1.1993 | 15 % (7 % erm.) |
1.4.1998 | 16 % (7 % erm.) |
1.1.2007 | 19 % (7 % erm.) |
Das Aufkommen aus der Umsatzsteuer stieg von rd. 16 Mrd. DM 1968, das waren etwa 13,2 Prozent der gesamten Steuereinnahmen, auf umgerechnet 270 Mrd. DM 2007. Bereits 1/4 der Steuereinnahmen der Bundesrepublik kommen somit allein aus der Mehrwertsteuer, und dabei ist die Einfuhrumsatzsteuer noch nicht dabei.
Graphisch sieht man die steigende Bedeutung besonders hübsch, alle Zahlenreihen sind normiert, 1968 ≙ 100:
Die Daten sind aus einer Statistik des Bundesfinanzministeriums.
Gut, die Mehrwertsteuer ist inzwischen ein teurer Hebel, aber auch einer, der direkt betriebswirtschaftlichen Gesetzen genügt. Eine Senkung der Steuer, sagen wir um 50%, führt direkt zu einer rund zehnprozentigen Verbilligung von Waren. Konsumentscheidungen werden vorgezogen, und möglicherweise ergibt das ganze für den Staat noch nicht mal einen Verlust. Bei dem derzeitigen Konsumniveau sind Verdoppelungen des Konsums oder mehr durchaus vorstellbar, und nimmt man noch indirekte Effekte hinzu, wie Erhalt von Arbeitsplätzen, Unternehmenssteuern etc. sieht es so aus, als ob wir den Stein der Weisen gefunden hätten.
Doch nein! Diese Idee wird von den Politikern abgelehnt. Es sei nicht garantiert, daß die Unternehmen die Preissenkungen an die Bürger weitergäben. Daher ginge das nicht. Wiebitte? Das ist tatsächlich ein deutscher Sonderweg: In allen Ländern, die mir gerade in den Sinn kommen, werden Steuern gesondert ausgewiesen. Die V.A.T. wird an der Kasse aufgeschlagen, die MWSt. schon auf dem Preisschild. Wieso? Vielleicht, weil uns unsere Politiker traditionell für verblödet halten. Als ob wir im Geschäft alles auf den letzten Pfennig ausgeben würden und es dann an der Kasse ein böses Erwachen gäbe.
Dabei spielt die Politik schamlos mit dem Bild des Unternehmers, der sich beim Einsammeln der Steuern ungeniert aus der Börse der Bürger bedient. Dabei ist es genau umgekehrt. Wer nicht beim Verstecken der Steuern mithilft, bekommt Ärger, nicht zuletzt vom Wettbewerb. Betroffen ist selbst, wer ausschließlich an gewerbliche Kunden verkauft, also an Kunden, die höchstwahrscheinlich den Steueranteil zunächst wieder herausrechnen müssen. Sobald es nicht auszuschließen ist, daß ein Privatmann einen Preis sehen kann, muß der Bruttopreis angegeben werden. Der Nettopreis darf höchstens so groß geschrieben sein wie der Bruttopreis. Wir erinnern uns – der Nettopreis ist der Preis, den der Unternehmer erzielt. Das ist der Preis, der ihn interessiert. Der Rest ist eine erzwungene Hilfsleistung für den Staat.
Und somit ist jede Mehrwertsteueränderung mit Aufwand verbunden. Alle Preislisten müssen neu gedruckt werden. Alle Preise müssen auch neu „schön“ gerechnet werden. Beim letzten Mal (16% ➯ 19%) mußten beispielsweise Produkte, die 9,90€ kosteten, zunächst auf 10,16€ angehoben werden. Aber 10,16€-Preise gibt es bei uns nur in den seltensten Fällen, das gab es höchstens in der DDR. Es stellt sich die Frage, ob das Produkt damals aus Preiskosmetikgründen künstlich verbilligt worden war, so daß es jetzt gleich auf 11,50€ schnellt (11,50€ ist glaubwürdiger als 10,16€ und die 50ct. von 11€ – auch schön – muß die Konsumdelle kompensieren, die entsteht, wenn ein Produkt die 10€-Schallmauer durchbricht). Oder vielleicht schluckt der Handel die Erhöhung, vielleicht gab es noch etwas Luft in den Preisen. Vielleicht also bleibt es bei 9,90€.
Jedenfalls sind diese Ängste der Politiker ein prima Anlaß, in Zukunft auf die separate Ausweisung der Mehrwertsteuer zu drängen. Kein Neudrucken aller Preislisten. Keine Rekalkulation aller Produkte. Kein Schielen zum Wettbewerber, ob dieser Änderungen vielleicht auffängt, nach oben oder unten. Der gültige Mehrwertsteuersatz steht dann unten auf jeder Rechnung und wird auf den Preis aufgeschlagen.
Und die Politiker können die Steuern senken, endlich. Und falls die Methode nicht verfängt, die verbilligten Waren also wider Erwarten nicht gekauft werden, spielt es keine Rolle, ob die Steuer ermäßigt worden ist oder nicht – es ist nichts verloren.
Also: Jetzt 10 Prozent Mehrwertsteuer für sechs Monate, dann 20 Prozent bis Jahresende. Und in Zukunft alle Preise zzgl. MWSt. Würden unsere Politiker das hinkriegen, wäre mir
bedeutend wohler….
Sonntag 28. Dezember 2008 um 15:12
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