Freie Drinks auf der Titanic
„Je mehr einer verdient, desto mehr gibt er ja für Konsum aus“. Das ist zunächst mal nur eine Theorie, aber man kann davon ausgehen, daß das hinkommt. Die Umkehrung gilt trivialerweise. Wer kein Geld hat, kann nicht konsumieren. Oder nur begrenzt. Oder nur für eine bestimmte Zeit.
In jedem Fall gilt aber: Je weniger konsumiert wird, desto schlechter geht es der Wirtschaft. Im ersten Schritt trifft es nur die Konsumgüterindustrie und den Einzelhandel, aber dann schon sehr bald alle weiteren Wirtschaftszweige. Was tut man also, wenn man der Wirtschaft helfen will?
Man gibt den Leute mehr Geld. Aber wie?
Lösung 1: Staatsaufträge
Der Staat kann selbst Umsätze provozieren. Zum Beispiel Autobahnen bauen. Es muß nicht immer gleich auf einen Überfall auf Polen hinauslaufen. Und mit Autobahnen allein ist es nicht getan. Man darf nicht übersehen, daß die Nationalsozialisten die Wirtschaft zu einem großen Teil über die Rüstungsindustrie angekurbelt haben. Dies bringt wiederum nur dann etwas ein, wenn man entweder jemanden überfällt oder die Waffen an solvente Kunden verkauft. Von beidem würde ich derzeit abraten.
Man kann natürlich auch ein völlig sinnloses Produkt herstellen lassen. Da gibt es mindestens eine literarische Vorlage: Die Haarteppichknüpfer von Andreas Eschbach. In diesem Buch ist ein politisches System nur deshalb stabil, weil die ganze Gesellschaft auf einer letztlich sinnlosen Tätigkeit fußt. Klingt auch nicht nach einer Lösung unseres Probems.
Was helfen könnte: Bereits beschlossene, hoffentlich sinnvolle Staatsaufträge vorziehen. Alles andere hilft nicht kurzfristig genug, und es wäre auf jeden Fall zu ungeplant. Denn wenn der Staat im großen Stil Geld ausgibt, landet der Profit doch sehr häufig in sehr wenigen Taschen, ohne daß man dem gewünschten Ziel nennenswert nähergekommen wäre. Wir erinnern uns mit Schaudern an die Treuhand. Im vorliegenden Fall wäre es besonders ärgerlich, denn das Geld muß in vielen Taschen stecken, möglichst locker, denn einer kann beim besten Willen nicht so viel konsumieren wie tausende.
Lösung 2: Mehrwertsteuer senken
Den größten Hebel hat man direkt beim Konsum. Alle Konsumausgaben sind mit rund einem Sechstel durch die Mehrwertsteuer belastet. Eine Senkung der Steuer ist eine einfache und vor allem schnelle Lösung. Damit werden Waren billiger. Eine zeitliche Befristung der Senkung sorgt zusätzlich dafür, daß Konsumentscheidungen vorgezogen werden und möglicherweise ergibt das ganze für den Staat noch nicht mal einen Verlust. Diese Idee wird von den Politikern abgelehnt und auch für die Wirtschaft ist unsere Art der Mehrwertsteuerausgestaltung eine Zumutung. Das System könnte nicht schnell genug repariert werden. Diese Idee scheidet also vielleicht besser doch aus.
Lösung 3: Gießkanne
Der wohl populistischste Vorschlag ist derzeit quer durch die politischen Lager zu hören: Man gibt den Leuten einfach Geld in die Hand. Meist ist die Rede von einer Art Scheck. Diesen kann man beim Einkauf von Konsumgütern einlösen. Was sich zunächst einfach anhört, wirft Fragen auf. Wie verhindert man, daß das ganze schöne Geld einfach nur sinnlos verpulvert wird? Es gibt ja, volkswirtschaftlich gesehen, gute und schlechte Kaufentscheidungen. Koreanische Flachbildschirme helfen unserer Wirtschaft ebensowenig wie Spontanurlaub in der Dominikanischen Republik.
Die Summe wäre nicht von Pappe. Gibt man an 80 Millionen Menschen einen 500-Euro-Scheck, so kostet das mal schnell 40 Milliarden. Nun, rund sechseinhalb Milliarden kommen sofort zurück über die Mehrwertsteuer. Vom Rest werden auch noch weitere Milliarden in Form von Steuern zurückgeholt, aber es bleibt noch Profit für die Wirtschaft übrig, und der wird vielleicht investiert oder konsumiert. Wenn es so leicht ist, die Wirtschaft zu retten, ist dieser Weg auf einmal nicht mehr so teuer, wie es auf den ersten Blick scheint, jedenfalls verglichen mit den Kosten einer Wirtschaftsdepression.
Tragen nun alle ihren Scheck auf die Bank, ist das sinnlos. Dort liegen bereits gehortete Billionen, nutzloses Kapital, dessen Zinsen erwirtschaftet werden müssen. Das Geld muß also verkonsumiert werden. Wie erzwingt man denn nun Konsum? Keine triviale Aufgabe. Nehmen wir an, jemand will dieses Geld unbedingt auf die Bank bringen. Dann zahlt er mit dem Scheck einfach seine Miete und läßt sein eigenes Geld auf der Bank liegen. Lösung: Der Scheck gilt nur für Konsumgüter.
Gut, geht unser Zwangssparer eben hin und kauft die Lebensmittel mit dem Scheck. Das verhindert man, indem man den Scheck nur für Waren mit 19% Mehrwertsteuer gültig macht. Gut, der Sparneurotiker kauft eben Waren des täglichen Bedarfs ein, Klopapier, Wasch- und Putzmittel und ein paar Tankfüllungen Benzin. Neue Lösung: Der Scheck darf nicht in Teilen eingelöst werden, es muß eine einzige Sache davon angeschafft werden. Ein reines Konsumgut, aber bitte ein inländisches. Schwierig. Und übertragbar darf der Scheck nicht sein, sonst macht die Aktion höchstens Ebay reich. Aber innerhalb einer Familie darf man Schecks doch zusammenlegen. Noch schwieriger.
Lösung 4: Glühbirnen und Kühlschränke
Den Bedarf an inländischen Konsumgütern kann man schneller und direkter wecken: Man verbietet einfach alles mögliche und die Leute müssen Ersatz kaufen. Dazu braucht es nicht einmal einen Scheck, das geht auch so. Schnell geht den Politikern hier ein Licht auf: Glühbirnen verbieten! Die Leute müssen schnell Energiesparlampen kaufen. Und wer ist der Marktführer? Osram – eine Münchener GmbH, wunderbar. Nur leider zu billig, wir wollten 40 Milliarden ausgeben. Ah, Kühlschränke. Ärgerlich, daß unsere Kühlschränke bereits alle FCKW-frei sind, aber man kann ja über den CO2-Wert gehen. Jeder Kühlschrank, der mehr CO2 verbraucht als erlaubt, muß ersetzt werden. Nun verbraucht die Herstellung und Verteilung neuer Kühlschränke auch eine Menge CO2, mehr vermutlich als der Betrieb suboptimaler Kühlschränke für die Restlebensdauer des Geräts. Diese Ersetzungsaktion kostet also vermutlich noch viel mehr CO2, als sie einspart. Aber es geht ja nicht um CO2, es geht ja um das Ankurbeln der Wirtschaft. Und schon fällt uns noch viel mehr ein: Waschmaschinen und Trocker, Spülmaschinen und Toaster. Toaster? Naja, wenn bei Toastern die Energieargumentation versagt, gehen wir eben zum Feinstaub über. Schön wäre es, die Umweltnormen so ausdehnen zu können, daß jeder auch sofort ein neues Auto kaufen muß. Das wäre nachgerade ideal. Man müßte eine Feinstaubplakette einführen. Ach, die gibt es schon? Dann machen wir sie eben bundesweit und verbinden sie gleich mit einer CO2-Plakette. Nur leider sind die Umweltwerte deutscher Automobile nicht sonderlich hilfreich, und die italienische, die französische oder gar die japanische Automobilindustrie wollen wir doch garnicht ankurbeln.
Aber wir haben da noch was übersehen – die Leute haben vielleicht nicht genug Geld, ein neues Auto zu kaufen, einen neuen Kühlschrank und eine neue Waschmaschine etc. Also doch: Wir teilen das Geld aus, her mit den Konsumschecks, möglichst noch vor Sylvester, dann kaufen alle Leute noch schnell Böller und Kracher, Sternwerfer und Raketen. Ideale Konsumgüter, solange sie die deutschen Sicherheitsnormen erfüllen – und das tun hoffentlich nur
Sylvesterkracher aus deutscher Produktion.