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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Sonntag 3. Mai 2009

Es wird so viel über Musik gesprochen und so wenig gesagt. Ich glaube überhaupt, die Worte reichen nicht hinzu, und fände ich, daß sie hinreichten, so würde ich am Ende keine Musik mehr machen.
Felix Mendelssohn Bartholdy

 

Alter Schwede

conspiracytheoryEiner meiner Lieblingsfilme ist „conspiracy theory“ mit Mel Gibson und Julia Roberts. Auf Deutsch hieß er „Fletchers Visionen“ – ein schwacher Titel, denn es ging ja nicht um Visionen. Es ging um Ver­schwörung. Wer überall Ver­schwö­rung wittert, ist weniger visionär, sondern eher paranoid (παρὰ „neben“, νοῦς „der Verstand“, macht zu­sam­men παράνοια).

Paranoia ist nicht unpraktisch, wenn man spannende Dinge schreiben will. Nur der Para­noi­ker hat die Gabe, wirk­lich eins und eins zu­sam­men­zu­zäh­len, wie man so schön sagt, denn er sieht alles von allen Seiten zu­gleich, nichts ent­geht ihm. „A Beautiful Mind“ mit Russell Crowe, die Ver­filmung des Lebens des genialen Wissen­schaft­lers John Nash, zeigt die häß­liche Seite der Paranoia: Die Ver­schwörung findet nur in seinem Kopf statt. Aber ver­mut­lich haben sie diesen Film nur ge­macht, um Ver­wir­rung zu stiften. Wer ihnen auf die Schliche kommt, wird als geistes­krank hin­gestellt.

Wer sie wohl sein mögen? Ich hätte da schon eine Ver­mu­tung: Es ist die Musik­indu­strie. Frank­reich haben sie be­reits erobert. Hier in Deutsch­land wird eine höchst zweifel­hafte Sperr­platt­form dis­ku­tiert, die sogar Ge­setz werden soll. Auf dem Rücken ge­quäl­ter Kinder wird et­was ein­ge­führt, das sich die Musik­indu­strie schon lange ge­wünscht hat. Zufall? In Schweden werden die Spontis von „Pirate Bay“ zu drasti­schen Strafen ver­ur­teilt. Das Gericht war dabei nicht ganz un­be­fan­gen, wie sich danach heraus­stellte. Nachzulesen zum Beispiel beim ORF:

Rickard Falkvinge, Chef der schwedischen Piratenpartei, wirft der Copyright-Lobby im Gespräch mit The Local vor, „die Korruption nach Schweden gebracht zu haben“.

Harte Worte. Was sagt Europa dazu? Laut eigenen Angaben:

Die Kommission unterbreitete einen Vorschlag, wonach die Schutzdauer des Urheberrechts der ausübenden Künstler und Herstellern von Tonträgern auf 95 Jahre verlängert wird. Ziel des Vorschlags ist es, den Schutz der Künstler mehr in Einklang mit dem Urheberschutz der Autoren zu bringen.

Weiter unten sieht man:

Schließlich werden die Plattenfirmen einen Fonds einrichten müssen, in den sie 20% ihrer Einnahmen zahlen, die während des erweiterten Zeitraums anfallen. Dieser Fond wird an die Studiomusiker verteilt, deren Aufnahmen in der verlängerten Schutzdauer verkauft werden.

Das soll den Künstlern helfen? Das hilft doch nur der Musik­indu­strie. Sollen hier wirk­lich Autoren und inter­pre­tie­ren­de Musiker gleich­ge­stellt werden? Das sind doch nicht die Ent­sprechungen, da müsste man Schau­spieler und Kompo­nisten eben­falls gleich­stellen. Das will keiner. In Wahr­heit hat die Musik­indu­strie auf ein­mal die Chance, aus tra­di­ti­o­nell kurz­lebiger Pop-Musik noch zig Jahre lang Profite ziehen zu können. Die meisten Künstler wären schon froh, würden sie ein­fach an­stän­dig bezahlt. Ein Musiker freut sich über eine an­ge­messene Gage für eine Mugge („Musiker­ge­legen­heits­job“, das früher in Mu­si­ker­krei­sen sehr ge­bräuch­liche Wort hat sich heute merk­würdig ver­selb­stän­digt). 95 Jahre lang Aus­zahlun­gen aus einem Fond? So alt wird keiner. Aber der Wert ge­handel­ter Rechte steigt…

IPRED heißt die EU-Richtlinie, die derzeit in Schweden für Ärger sorgt. Kurz­fas­sung: Ur­heber­rechts­ver­letzungen sollen ein­facher ge­ahn­det wer­den. Pro­vider wer­den ge­setz­lich ver­pflich­tet, etwas zu tun, das ihnen gerade noch aus Da­ten­schutz­grün­den ver­bo­ten war: Das Über­mitteln per­sonen­be­zo­ge­ner Daten an Dritte. Daten, auf die die Musik­indu­strie somit direkt Zu­griff be­kom­men soll, um ihre „Räuber“ und „Piraten“ zu fangen. Bei uns be­darf es des Um­wegs über Europa nicht. Manche Staats­anwälte weigern sich zwar noch, sich zum Büttel der Musik­indu­strie machen zu lassen. Manche Gerichte sehen es eben­falls so, dass nicht alle Rechte zurück­treten müssen vor den Rechten der Musik­indu­strie. Verfolgt wird bei uns immer noch nur gewerbliche Ur­heber­rechts­ver­letzung. Was wie­de­rum einige Gerichte (z.B. das OLG Köln) nicht daran hindert, bereits bei einer Hand­voll MP3-Dateien von ge­werb­li­chem Um­fang aus­zu­gehen. Die Richtung ist klar. Angela Merkel hat sich bereits vor den Karren spannen lassen, mit ihrem be­rüchtig­ten „Offenen Brief“ letztes Jahr. Auf Dauer werden wohl auch bei uns nur Maß­nahmen zur Durch­setzung eines nur selten hinter­fragten Rechts­an­spruchs dis­kutiert, an­statt ein­fach die Si­tu­ation von Künstlern zu ver­bessern. Ich wieder­hole mich: Dank Inter­net haben die Künstler heute die Chance, ihre Kunst wieder direkt zu ver­markten, ohne von einer kompletten Indu­strie ab­hän­gig zu sein. Was sprach eigentlich gegen das System der Mäzene und der staat­lichen För­de­rung? Das hat sich ein paar tau­send Jahre bewährt…

Ich hoffe, ich werde nicht mißverstanden: Ich werde den Teufel tun, den Künstlern ihre Rechte ab­zu­strei­ten. Ich streite nicht einmal der Musik­indu­strie ihre Rechte ab. Ich bin ledig­lich be­sorgt und ver­ärgert über die Me­tho­den der Indu­strie und das völlige Igno­rieren des Grund­satzes der Ver­hält­nis­mäßig­keit. Und ich mag Heu­ch­elei und Phari­säer­tum nicht: In zahl­reichen Kampa­gnen wird vor­ge­rech­net, wieviel Geld die kopie­ren­den Jugend­lichen der Musik­indu­strie vor­ent­halten und es wird so getan, als käme das Geld ge­wöhn­lich den Künstlern zugute. Keiner erwähnt, wie wenig die Künstler letzt­lich von der Musik­indu­strie be­kom­men und nie­mand macht sich die Mühe aus­zu­rech­nen, wie aus Taschen­geld jemals ein Milli­arden­markt werden soll.

Zurück zum Thema: Die schwedischen Provider jedenfalls lassen sich nicht ein­span­nen gegen ihre Kunden. Von denen ja, und darum geht es, die über­wie­gen­de An­zahl brav alles be­zahlt, was sie nutzt. In einer aktuellen Presse­mit­teilung wird von ihrer Gegen­wehr berichtet:

Schwedische Provider löschen IP-Daten von Kunden

ISPs widersetzen sich Auskunftspflicht gegenüber der Medienindustrie

Stockholm (pte/30.04.2009/06:10) – Der schwedische Internetprovider Tele2 hat angekündigt, Daten, die eine Identifikation des Kunden anhand seiner IP-Adresse ermöglichen, nicht mehr zu speichern. Diese Nicht-Speicherung bzw. Löschung der Informationen, welche IP-Adresse zu einem gewissen Zeitpunkt einem Nutzer zugeordnet war, geschehe zum Schutz der Privatsphäre der Kunden, begründet Tele2. Der Internet Service Provider (ISP) schließt sich damit den Webzugangsanbietern „All Tele“ und „Bahnhof“ an, die bereits zuvor den Verzicht auf die Speicherung angekündigt hatten.

Und die Musikindustrie schäumt über den unerwarteten Widerstand. Ihr Anwalt bringt es auf den Punkt, weiter unten in derselben Mitteilung:

Wenig erfreut von der Ankündigung der Provider sind Vertreter der Medienindustrie. Peter Danowsky, Anwalt des Branchenverbandes IFPI, zeigt sich verärgert und macht keinen Hehl daraus, dass er härtere Gesetze fordert. „Jeder im Parlament hat unter der Annahme gehandelt, dass die ISPs sich gegenüber dem Gesetzgeber loyal verhalten und nicht von Rechtsbrüchen profitieren wollen“, moniert Danowsky. Sollten auch andere Provider dem Vorbild folgen, werde man für entsprechend schärfere Gesetze sorgen, poltert der IFPI-Anwalt.

Der Anwalt weiß jetzt schon, daß man für schärfere Gesetze sorgen werde? Da ist sie wieder,

meine Paranoia.

Bildquelle: dreammagic.com

 

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