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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Dienstag 16. März 2010

Die Welt ist ein wunderschönes Buch, doch von geringem Nutzen für den, der nicht lesen kann.
Carlo Goldoni

 

Der Krieg

Der Krieg im Theater – ein undankbares Thema. Es gibt viele Dinge, die man gut auf die Bühne bringen kann, Krieg und Schlachtengetümmel gehört nicht dazu. Lernt man sogar in der Schule, Stichwort: Mauerschau. Für die, die es bereits verdrängt haben: Um Krieg auf die Bühne zu bringen, braucht man eine Mauer. Da steht dann einer drauf, schaut runter, das heißt, hinter die Bühne, und erzählt, was er da sieht. Spart Statisten.

Eine ganze Oper gibt es, in der ständig nur erzählt wird, was „draußen“ so passiert. Sie heißt „Boris Godunow“, ist von Mussorgski und ich habe sie zwar gesehen, aber erfolgreich verdrängt. Gestern kam die Erinnerung wieder, ich war gerade im Theater. „Der Krieg“. Zwei Theaterstücke zum Preis von einem. Zuerst ein Einakter von Goldoni („La Guerra“). Dann ein Fragment von Kleist („Robert Guiskard“). Beides in den Kammerspielen, derzeit in München.

Goldoni? War das nicht der geniale italienische Kommödienschreiber, 18. Jahrhundert? Das klingt ja vielversprechend. Und dann Kleist. Der zwar vielleicht nicht für seine Kommödien berühmt war, aber er konnte es, definitiv, und das alles auch noch in einer Sprache, die uns schon als Schüler begeistert hat. Wer kann schon einen ganzen Abend in Hexametern reden? Kleist konnte es.

Wir hatten uns also eingerichtet auf einen vergnüglichen Abend zum Thema „Krieg“. Das konnte ja nur schiefgehen. Wenn es das war, was uns der Regisseur sagen wollte, kann ich nur sagen „Mission accomplished“. Um dieser Mission willen mußte zunächst Goldoni daran glauben. Also alles, was Goldoni zur Auflockerung reingeschrieben hat: raus damit. Dafür baut man einfach was eigenes ein: Eine Opernpersiflage, die nichts mit dem Thema zu tun hat, ein par Stripteaseeinlagen und ein paar Kopulationsszenen. Und, tatsächlich komisch, Felicità. Ja genau, das von Al Bano und Romina Power. Mit Pathos vorgetragen wirkt dieses Italienisch tatsächlich dramatisch und geheimnisvoll, nun ja, bin zum Refrain halt, dann ist alles klar. Heiterkeit im Publikum. Dafür erträgt man, dass der Schauspieler, wenn man ehrlich ist, einen krassen Sprachfehler hat. Gehört nicht zur Rolle. Klingt komisch, ist aber so.

Die „Message“ bleibt auf der Strecke. Nun, ein bisserl Goldoni schafft es ins Programm: „Schön ist der Krieg! Ich kann nur Gutes darüber sagen. Den möchte ich sehen, der – wenn er in vier oder fünf Kriegsjahren hunderttausend Scudi machen kann – aus lauter Nächstenliebe den Frieden will.“ Darum ging es bei Goldoni, um die Perversion des Krieges. Mitten in der Empörung über raffgierige Marketenderinnen, hohle Helden oder zynische Invaliden, die immer noch nichts eingesehen haben, mitten drin in dieser Welt kurz vor dem Abgrund, mitten drin in einem Geschehen, das nur zur Katastrophe führen kann, genau da passieren lustige Dinge. Bei Goldoni, wohlgemerkt, wobei italienische Komik manchmal schwer nachzuvollziehen ist. Am „echtesten“ vermutlich die Szene, wo auf einmal ein Schaf und ein Huhn mitspielen. Das Schaf wirkt etwas verängstigt und das Huhn flattert unversehens so mit den Flügeln, daß es einem der Akteure die Perücke von Kopf weht. Das hätte vor 300 Jahren auch schon geklappt. Nur, das sind nicht die Szenen, für die ich Goldoni schätze. Außerdem, zu seiner Ehrenrettung, diese Szene ist eh nicht von ihm, sondern von Armin Petras hineingeschrieben, dem Regisseur. Vermutlich, um zu zeigen, was er dem Text entnimmt. Nun ja.

Das Stück war noch nicht zuende, da verließen bereits die ersten Zuschauer den Saal. Dann erst kam der Kleist, keine Pause dazwischen, auch eine Art, das Publikum so zu fesseln, dass es nicht geht. Nun ist Kleist nicht Sophokles, aber einen Versuch war es vielleicht wirklich wert. Das Drama in Gestalt der griechischen Tragödie. Die Schauspieler formen den Chor, und der Wechsel zwischen individuellem Vortrag und gemurmeltem Chor entbehrte nicht an Reiz. Dazu passend: die Hexameter, habe ich die schon erwähnt? Die Schauspieler, die soeben noch irgendeine Kleinstadt in Italien belagerten, finden sich zappelnd wie Fische auf dem Trockenen vor den Mauern Konstantinopels wieder. Und sie stehen auf, langsam und zögernd, dann sinnlos herumrennend. Minutenlang kein Wort. Bei Kleist sind das Menschen, die nur einen Wunsch haben: Sie haben vom Krieg die Nase voll. Sie wollen heim. Dies ist dem Publikum zu diesem Zeitpunkt leicht vermittelbar, auch das Publikum will heim. Auf der Bühne ist es die Angst vor der Pest, im Zuschauerraum die Langeweile. Und dann diese Attitüde, den Text entweder zu nuscheln oder zu schreien. Meist leider letzteres. Oder aber durch idiotische Umbetonungen die sperrige Sprache absolut unverständlich zu machen.

Beispiel gefällig? Der Freiheit die Stimme zu leihen. Wo wird das betont? Auf Freiheit. Normalerweise. Wieso es auf einmal heißen muß „die Stimme zu leihen„, das wissen die Götter. Der Verdacht drängt sich auf, daß hier jemand mit dem Text wenig anfangen konnte. Soll heißen: Mit beiden Texten.

Eine dritte Ebene gab es auch: Bereits beim Betreten der Kammerspiele war alles etwas beengt, wie immer. Von den zwei Eingangstüren war nur an einer eine Schlange. An der anderen stand ein freundlich lächelnder junger Mann, der allen, die bei ihm reinwollten, bedauernd mitteilte, das sei kein Eingang. Nun gut, wieder zurück, hinten angestellt, nach einer kleinen Ewigkeit sind wir an der Tür beim Abreißer. Der reißt nichts ab, sondern zückt seinen Scanner. Heute werden Daten erfaßt, wo es auch immer möglich ist. Bei unserer Karte versagt das Einlesen. Also wieder rausgehen – bitte!, immerhin – und an der Abendkasse eine neue Karte ausstellen lassen, unter Vorlage unserer unzweifelhaft gültigen Eintrittskarten. An der Abendkasse die lapidare Ansage, das sei Schmarrn, wir sollten ruhig so wieder reingehen. Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich allmählich an einen witzigen Einfall des Regisseurs, versteckte Kamera, was auch immer, oder auch nur eine Studie, wie schnell man einen Krieg auslösen kann. So hieß ja schließlich das Stück.

Zurück zu Kleist. Der, wie oben erwähnt, ohne Pause und ohne Handlung, nun ja, etwas zäh ist. Zumal da minutenweise nur herumgestanden wird und dann muß ein Kirchenlied gesungen werden, durchaus hübsch übrigens. Dann: großer Auftritt des großen Robert Guiskard. Feldherren erkennt man daran, daß sie zu ihren Männern auch ohne Megaphon sprechen können. Nur, bei solchem Geschrei ist es mühsam, zu folgen. Überspielt? Übertrieben? Oder einfach nur plakativ, damit es jeder im Publikum versteht? Schwarz und weiß, gut und böse, Sprecher und Hörer, Feldherr und einfacher Mensch. Oder Feldherr und gequältes Publikum. Letzters fing allmählich an, sich schlecht zu benehmen. Zwischenrufe. „Muß das sein?“ „Müssen Sie so schreien?“ Der Schauspieler ist entschuldigt. Er spielt ohnehin Mensch gewordenes Testosteron, und so wundert es niemand, daß er sich quasi als Protest entkleidet – normale Tätigkeit in dem Stück – und seine Stinkesocken ins Publikum wirft. Falls das nicht doch zum Stück gehört, die Symbolik ist ohnehin recht missraten. Und so nähern wir uns dem wirklichen Höhepunkt: Erneut stehen ein paar Leute auf, um entnervt die Vorstellung zu verlassen. Der Schauspieler: „Nicht doch. Es sind doch nur noch fünf Minuten“. Und Socken zum Schleudern hatte er nicht mehr, also blieben wenigstens wir noch sitzen. Die fünf Minuten waren auch noch auszuhalten, wenngleich langweilig und auf eine lähmende Art uninspiriert, wie die ganze Inszenierung.

Zuhause angekommen sagte meine kluge Frau: Die Sache hat auch ein Gutes. Armin Petras ist normalerweise in Berlin.

Es war eine Gastinszenierung.

Bild: muenchener-kammerspiele.de

 

3 Kommentare zu “Der Krieg”

  1. B.Ackermann sagt:

    Ich weiß, warum ich zu den Kein-Abonnenten gehöre:-) Ich suche mir lieber selbst aus, was ich sehen oder hören (oder lieber doch nicht
    sehen oder hören)will.Vielleicht fanden die Schauspieler die „Bearbeitung“ durch Herrn Petras auch einfach nur noch zum Schreien.

  2. svb sagt:

    Die Tragik ist doch, dass ich mir dieses Stück ausgesucht habe! Ich habe kein Theaterabonnement. (Sondern eines für die Oper, aber das ist eine andere Geschichte).

  3. B.Ackermann sagt:

    Somit stellt sich die Frage nach den Kriterien für die Auswahl?Oder doch lieber ein Überaschungsei?

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