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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Mittwoch 13. Juni 2012

Die Feindseligkeit eines Volkes soll euch nicht verleiten, anders denn gerecht zu handeln. Seid gerecht! Das ist näher der Gottesfurcht.
Quran, 5. Sure 9

 

Mythos #5: Das Urheberrecht sorgt dafür, daß alle Kreativen gleich fair behandelt werden

Was genau ist eigentlich die kreative Leistung bei Musik? Nein, keine Angst, es geht nicht um eine billige Polemik. Was macht Musik zu Kunst? Man benötigt viele Kreative. Den Komponisten. Er denkt sich die Musik aus. Den Interpreten. Er denkt die Gedanken des Komponisten zu Ende. Manchmal spielt diese Rolle auch der Dirigent.

Aber damit nicht genug. Es gibt auch einen Tonmeister. Und wenn dieser ein Meister ist, so schafft es spätestens er, aus einem erbärmlichen Musikstück, das nicht nur langweilig ist, sondern auch noch schlecht gespielt und gesungen wird, etwas Anhörbares zu machen, oder sogar ein eigenes Meisterwerk. Der Covergestalter war mal ein wichtiger Künstler. Im Zeitalter von MP3 läßt dies nach. Auch wenn iTunes und Konsorten die Coverbilder weiter mustergültig unterstützen, ist die Zeit vorbei, in der man zu jeder Platte das Bild des Covers im Kopf hatte und das Cover zur Kaufentscheidung maßgeblich mit beitrug.

In den 90ern des vergangenen Jahrhunderts zeigte sich, daß sogar der Mensch, der in einer Diskothek die Platten auflegt, eigene Kreativität mitbrachte und alten Platten, die nicht mehr gespielt wurden, durch einfaches Rekombinieren oder Spezialtechniken wie dem üblen „Scratching“ möglicherweise einen neuen Anlauf in die Charts verschaffen konnte. Und Gott ist ein DJ, sagten sie.

Dann kam MTV und damit noch etwas neues: Das Musikvideo für beinahe alles, was es an Musik auf dem Markt als Neuerscheinung gab. Heute gibt es MTV nicht mehr, aber dafür stellen bereits Schülerbands ihre Videos auf Youtube ein. Sind Video und Musik gut, ist das die perfekte Promotion.

Das gilt natürlich auch für die Großverdiener im Geschäft, aber die sehen das auf einmal anders und schicken die GEMA vor, den Zugriff auf diese Videos in Deutschland zu verhindern. Dazu muß man wissen: Stimmrecht in der GEMA haben hauptsächlich die Großverdiener. Nur wer fünf Jahre lang ordentlich Geld verdient mit der GEMA wird stimmberechtigtes Mitglied. Alle anderen dürfen zusammen nur ein paar Stimmberechtigte entsenden. Und noch etwas anderes sollte man bedenken: Die GEMA vertritt nicht die Interpreten. Als Urheber im Sinne des Urheberrechts gelten nur Komponisten und Textdichter, deren Texte vertont werden, und, last but not least, Musikverleger. Die bringen aber keine Platten heraus, sondern nur Noten. Labels, im sperrigen Amtsdeutsch der GEMA „Tonträgerhersteller“ genannt, genießen jedenfalls nicht den Schutz des Urheberrechts.

Wir sind die Urheber – das ist der Titel einer Aktion, die angeblich von derzeit 6.500 Leuten unterschrieben wurde. Einige davon sind Hochstapler, es handelt sich nämlich nicht um Urheber. Das läßt sich im Bereich der Musik schnell nachprüfen. Es mag den einen oder anderen vielleicht überraschen, aber Musiker sind erst einmal keine Urheber. Die Definition ist sehr klar, man kann sie bei der GEMA nachlesen:

Wer kann GEMA-Mitglied werden?

  • Komponisten
  • Textdichter vertonter Texte
  • Rechtsnachfolger von Komponisten und Textdichtern
  • Musikverleger

Auch Musikbearbeiter und Bearbeiter oder Übersetzer vertonter Texte können Mitglieder der GEMA werden. Für die Wahrnehmung der Urheberrechte von Bearbeitern ist Voraussetzung, dass ihre Bearbeitungen persönliche geistige Schöpfungen darstellen und dass bei der Bearbeitung einer urheberrechtlich geschützten Vorlage die Genehmigung des Rechteinhabers des Originalwerkes vorliegt.

(…) Reine Musikinterpreten, also ausübende Künstler, die nicht gleichzeitig Komponist, Bearbeiter oder Textdichter sind, können nicht Mitglied der GEMA werden, weil sie nicht als Urheber schöpferisch tätig sind. Für sie ist die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten zuständig (GVL, www.gvl.de).

Wer ausschließlich als Produzent oder Tonträgerhersteller tätig ist, kann nicht Verlagsmitglied der GEMA werden.

Das hat mich zunächst wirklich überrascht. Geschützt als Urheber sind also Menschen, die etwas komponieren oder dichten. Wird ein Text nicht vertont, ist die GEMA nicht zuständig, wobei das Werk natürlich dennoch urheberrechtlich geschützt ist, wie alle verfassten Texte. Und die Musikverleger, nicht jedoch die Tonträgerhersteller. Schön, das klärt es, das heißt nämlich, daß unter einem Musikverleger lediglich jemand zu verstehen ist, der Noten druckt und publiziert. Das ist unverfälschtes 19. Jahrhundert, auch wenn das Gesetz, das das alles regelt, 1965 seine letzte große Umarbeitung erfahren hat.

Das Plattenlabel ist nämlich kein Urheber im Sinne des Gesetzes. Das ist nicht ganz fair, denn ohne Zweifel wird eine Leistung erbracht, die schätzenswert wäre. Und, voilà, so kommt es zur Erfindung des Leistungsschutzrechts. Daher also weht der Wind, wenn die Zeitungsverlage das auch haben wollen – aber das wird an anderer Stelle noch genauer betrachtet, das führt hier zu weit.

Die GEMA verweist die ausübenden Musiker und die Plattenlabels an die gemeinhin recht unbekannte Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten, www.gvl.de. Und was lesen wir dort derzeit, gleich auf der ersten Seite?

01.06.2012

GVL-Aufruf zur Unterzeichnung der Initiative „Wir sind die Urheber“

Die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) ruft ihre Berechtigten dazu auf, sich der Initiative „Wir sind die Urheber! Gegen den Diebstahl geistigen Eigentums“ anzuschließen. Diese wurde Anfang Mai ins Leben gerufen und inzwischen von über 6500 Personen unterzeichnet (www.wir-sind-die-urheber.de). „Als Verwertungsgesellschaft der ausübenden Künstler, Tonträgerhersteller und Veranstalter setzen wir uns dafür ein, dass künstlerische Leistungen auch zukünftig angemessen honoriert werden“, so die GVL-Geschäftsführer Dr. Tilo Gerlach und Guido Evers. Weitere Informationen können der Pressemitteilung entnommen werden.

Urheber erschaffen: Das ist nicht ohne Boshaftigkeit etwas doppeldeutig. Es geht nicht immer, wie wir gesehen haben, darum, daß Urheber kreativ tätig sind und Dinge erschaffen, die uns erbauen, die uns wahlweise Herz, Augen oder den Geldbeutel öffnen. Nein, auch Urheber sind gelegentlich selbst Objekte des Erschaffenwerdens. Und sei es nur, um schnell ein paar mehr Unterschriften unter ein sinnloses Dokument zu setzen.

Aber es ist schön zu hören, daß Veranstalter und Tonträgerhersteller sich ja dafür einsetzen wollen, daß künstlerische Leistungen zukünftig angemessen honoriert werden und damit vielleicht

an die veranstalterischen und tonträgerherstellerischen Leistungen angepasst werden.

——

Was bisher geschah:

Einleitung
Mythos #1: Geistiges Eigentum gibt es nicht
Mythos #2: Künstler haben es schwerer als früher
Mythos #3: Ohne das Internet ginge es den Künstlern besser
Mythos #4: Das Urheberrecht muß überarbeitet werden, weil sich durch das Internet alles geändert hat

 

3 Kommentare zu “Mythos #5: Das Urheberrecht sorgt dafür, daß alle Kreativen gleich fair behandelt werden”

  1. Fredrika Gers sagt:

    Deine Mythenaufklärung in Ehren, aber was ist mit der Kernfrage?
    Die Kernfrage lautet: Wie ist eine elektronische Kopie zu behandeln?

    Und dazu ist meine Meinung: Künstler sollten an der Verbreitung ihrer Werke proportional partizipieren. Wenn mehr Kopien im Umlauf sind, dann sollte auch mehr Geld fließen. Oder anders gesagt: Wer das Werk genießt, soll auch dafür zahlen – sofern der Künstler es nicht aus freien Stücken verschenkt. Ob die Verbreitung der Kopien auf Papier oder elektronisch oder von mir aus per Channeling erfolgt, sollte jedenfalls völlig Wurst sein.

    Warum machen sichnicht mehr Computerprofis darüber Gedanken, wie das zu bewerkstelligen wäre? Mit einer entsprechenden Technologie, die komfortabel funktioniert und die Rezipienten nicht ausspioniert, könnte man reich werden…

  2. svb sagt:

    Liebe Fredrika, Du kennst mich doch! Zuerst mal Klarheit schaffen, dann über Lösungen nachdenken. Wie Du an den Mythen sehen kannst (kommen ja noch ein paar), ist die Diskussion teilweise völlig irre und vernagelt. Gerade dieser Artikel hier – Du ahnst nicht, wie wenig Leute wissen, daß es bei der Musikkopiererei nicht im entferntesten um Urheberrecht geht. Und daß die Lösungen vermutlich für alle Sparten andere sein müssen. Text, Bilder, Photos und Musik lassen sich nicht mit denselben Mechanismen lösen.

    Was Deinen Vorschlag angeht: Mit Technik kennst Du Dich doch aus. Das möchte ich erst sehen, daß jemand etwas entwickelt, das nicht morgen bereits wieder umgangen würde. Oder man setzt es mit Brutalität durch – dann verlieren wir möglicherweise mehr, als wir gewinnen würden. Die Frage ist nur, wie weit dieses „wir“ von Kreativen mitgetragen wird, die sich ausgetrickst fühlen. In jedem Fall: Lies bitte weiter und halte mit Deiner Meinung bitte weiter nicht hinter dem Berg. Ich war eh überrascht, dass mir bis jetzt niemand widerspricht 🙂

    Die Kernfrage lautet übrigens: Wie wird unsere Kultur in 100 Jahren aussehen? Heute stellen wir die Weichen.

  3. Hubert Daubmeier sagt:

    @Fredrika Gers

    Bevor wir an die Frage gehen wie eine elektronische Kopie zu behandeln wäre, würde ich vorschlagen zunächst ein paar der hier versteckte Annahmen zu hinterfragen

    Annahme 1: hier geht es um ein technisches Problem, folglich bräuchte es eine {ausschliesslich | überwiegend} technische Antwort. Im weiteren Kommentar wird aber klar das Papier genannt: zu dessen Replikation brauche ich nicht zwingend Technik.

    Annahme 2: Künstler sollten an der Verbreitung ihrer Werke … partizipieren. Aus dem weiteren Text ergibt sich die Annahme dies wäre nur per Zwangsmassnahmen zu erreichen. Warum nehmen wir uns nicht die Freiheit und legen zuerst alle Lösungsmöglichkeiten auf den Tisch (und bewerten sie) die im Ergebnis zu einer wie immer gearteten Entlohnung führen könnten. Neben Zwang sehe ich Freiwilligkeit, Erziehung, „carrot and stick“ (wie immer das auf deutsch heißt), Beschiss und es gibt wohl noch einiges mehr.

    Annahme 3: wir haben ein rein deutsches Problem vor uns und folglich können/wollen/sollen/werden wir das Problem aus deutscher Sicht lösen. Weder bei der Problemanalyse noch bei der Lösungsentwicklung brauchen wir Input oder Abstimmung mit Nicht-Deutschen. Selbstverständlich wird die Welt jeglicher deutscher Eingebung folgen.

    Waren das schon alle Annahmen oder welche weiteren habe ich übersehen (müssten noch einige sein)

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