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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Mittwoch 18. Februar 2015

Quod licet Iovi non licet bovi
Publius Terentius Afer

 

Schlechter Verlierer

Portrait_of_Terence_from_Vaticana,_Vat._lat36 Stundenkilometer. Gestern war das noch erlaubt. Gestern war da sogar noch vierzig erlaubt. Na gut, „gestern“ stimmt nicht, das ist schon länger so, und gewusst habe ich es auch. Vielleicht sollte ich jetzt sagen, ich hätte mich eben auf den Strassenverkehr konzentriert, da kann ich den Tacho nicht dauernd im Blick haben. Oder, auch sehr beliebt: Ich kann nicht so langsam fahren, da falle ich um. Ok, ich war ja mit dem Auto unterwegs, das fällt nicht um, dann eben: Ich hatte Angst vor einem Auffahrunfall, wenn ich so langsam durch die Strasse schleiche. Oder ich gebe einfach auf: Ja doch, ich war zu schnell. 15 Euro. Geht ja.

Damit könnte die Sache ihr Bewenden haben. Aber was ist das eigentlich für ein Unternehmen, das mich da zur Kasse bittet – Polizisten schauen anders aus. Aber es gibt ja einen Absatz zu den gesetzlichen Grundlagen des Bescheids…Dort ist die Rede von §3 Abs. 3. und §49 des StVO, §25 und §25 StVG und §4 Absatz 1 BKatV. Na, das ist ja mal eine präzise Auskunft: In §3 Abs. 3 steht, daß die Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften 50 km/h ist. Der Rest behandelt die Situation ausserhalb geschlossener Ortschaften. Von durch Schilder geregelten Geschwindigkeitsbegrenzungen ist da keine Rede, das trifft also auf mich nicht zu.

§49 ist sehr allgemein – da geht es um Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr generell. Schnell sieht man, daß das eine präzise Liste ist, und in Frage kommt nur §49.1.3 StVO, aber der bezieht sich ausdrücklich auf den §3 StVO. Sonst gibt es nichts zu Geschwindigkeit – jedenfalls nichts, was ich gefunden hätte. Wer den ganzen §49 durchliest, bis unten, wird belohnt: Dort erfährt man, dass in ganz Deutschland das Fahren eines Autos oder eines Fahrrads auf Helgoland verboten ist. Richtig gelesen – es reicht nicht, das auf Helgoland zu regeln, es ist deutschlandweit gültig. Auch wenn es nur Helgoland betrifft. Man könnte genauso die Hochseefischfangquoten in der Bayerischen Verfassung verankern. Ach, hätten wir doch nur Helgoland den Briten gelassen und es nicht für Sansibar eingetauscht. Auf Sansibar darf man Auto und Fahrrad fahren und das Wetter ist besser. Mein Misstrauen wächst: Wer mich Radlverboten auf Helgoland langweilt, hat vielleicht doch etwas zu verbergen.

Also zurück zu den gesetzlichen Grundlagen des Drohbriefs. Die §§ 24 und 25 StVG kommen als nächstes. §24 regelt, dass das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ermächtigt wird, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen über alles mögliche. Das Wort „Geschwindigkeit“ taucht nicht auf im Text. Natürlich ebensowenig eine Erklärung, wieso ein „Zweckverband“ auf meinen Geldbeutel zugreifen darf.  §25 redet vom Entzug der Fahrerlaubnis. In diesem Fall? Jetzt wird mir das zu bunt. Ich werde hier doch reingelegt. Da schreibt mir ein Mensch ohne Geschlecht und ohne Titel, unterschrieben ist das ganze auch nicht. Dennoch solle ich Geld bezahlen und als gesetzliche Grundlage schreibt dieser Mensch einfach irgendwas hin.

Ich bin zu schnell gefahren, ein bisschen, ich habe bezahlt, das könnte es jetzt sein. Aber ich bin auch sauer. Ähnlich amtliche Briefe bekommt ein Geschäftsführer oder ein Vorstand ständig. Viele Betrüger verlassen sich darauf, dass immer wieder unerfahrene Menschen auf so etwas hereinfallen. Briefe, die irgendwie amtlich aussehen, es aber nicht sind. Aber vielleicht ist dieser ominöse Zweckverband ja doch irgendwie legitimiert? Wenn das so ist, ist es ungeschickt, daran zu zweifeln, das habe ich bereits einmal probiert, dann werden aus 15 Euro einfach 40 Euro und der Bescheid kommt von der Bußgeldstelle. Es ist ja, tricky tricky, kein Bußgeldbescheid sondern eine Nötigung: Zahle oder du kriegst ein Bußgeld aufgebrummt. Und das ist mehr als doppelt so teuer.

Also ab ins Internet. Die Oberlandgemeinden scheinen diese Firma tatsächlich beauftragt zu haben. Sie bezahlen dafür fast alles, was eingenommen wird, liest man da. Und dass es ist wie immer, an Schulen wird nie geblitzt, sondern an Ausfallstrassen. Die Firma hat also vermutlich einen öffentlichen Auftrag erhalten. Es gibt eine Website und eine Postadresse und eine gewisse Datenspur im Netz: Ja, der Zweckverband Kommunale Verkehrssicherheit Oberland existiert. Und er fühlt sich zuständig, auch wenn ich gleich dreimal nicht im Oberland wohne, sondern im Würmtal. Aber „Oberland“ ist ja nur ein Name, obgleich ein irreführender. Auf dem Webserver erfahre ich dann, dass die Leute für den Außendienst suchen. Außendienst? Alles klar. Die Bewerber müssen wetterfest und gut zu Fuß sein. Auch die Konfliktfähigkeit wird erwartet. Von Kampfsportarten steht da nichts, wohl aber, daß man keine normale Anstellung erwarten darf. Es wird lediglich befristet eingestellt.

Und das finde ich unglaublich. Ein Unternehmen mußte bis vor kurzem noch begründen, wieso es nur befristete Arbeitsverhältnisse eingehen will und das war keineswegs immer möglich. Elternzeit ist ein guter Grund, oder ein anderer absehbar langer Ausfall eines Mitarbeiters. Die Verlängerung der Probezeit ist jedenfalls keiner gewesen, und wenn ein Unternehmen seine Jobs so ausschreiben würde, gäbe es sicher kritische Reaktionen. Öffentliche Arbeitgeber müssen sich daran nicht halten, auch nicht, wenn sie über solide Einnahmen verfügen – und Falschparker und Schnellfahrer wird es immer geben, das ist ein krisenfester Job. Bei Bewährung – ja, das steht da!! – bei Bewährung also wird ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in Aussicht gestellt. Na bravo.

Der Kampf gegen die Aushebelung des Kündigungsschutzes ist übrigens alt. Der erste Arbeitgeber, der seine Mitarbeitern durch Kettenarbeitsverträge benachteiligt hat, wurde vom Reichsarbeitsgericht auf die Finger geklopft. Es ging um einen Mann, der auf der Basis von 25 nacheinander gereihten Arbeitsverhältnissen beschäftigt war. Wo? Bei einem Stahlkocher? Bei einem Taxiunternehmen? In der Gastronomie? Nein.

Beim Arbeitsamt Düsseldorf, vor fast hundert Jahren.

BildPublius Terentius Afer

 

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