Ich griech die Krise
Es ist nicht auszuhalten. Ich habe ja schon viel zum Thema Griechenland geschrieben (hier, hier, hier oder neulich erst hier), durchaus ambivalent, aber nun sitze ich im ICE. Im Großraumwagen. Nein, kein Schimpfen über die Bahn heute, das wäre zu ermüdend und wir haben auch nur 15 Minuten Verspätung und der Zug fährt ja, trotz Streikgeschrei. Es ist viel schlimmer. Eine Reihe weiter sitzt ein Mensch mit unangenehmem Düsseldorfakzent, also „rheinisch ohne Freude am Leben“, und weiss alles zum Thema Griechenland. Nein, ich werde ihm nicht ins Wort fallen, nein, ich werde ihm nicht seinen Schal in den Hals stopfen oder ihn mit seinen eigenen Därmen erwürgen, oder welche Gewaltphantasien noch mit mir durchgehen mögen. Ich beschliesse also, still zu leiden. Der da spricht, ist kein dumpfer Stammtischler, der aus der Bildzeitung vorliest, oder einfach nur Dampf abläßt, sondern er ist, wie er auch erwähnt, ehemaliger Ministerialbeamter. Und ich befürchte, viele denken so wie der. Warum tun sie das? Weil sie recht haben? Ich bin nicht überzeugt.
Aber reden wir über das, was er sagt.
In Griechenland herrscht jetzt eine kommunistische Partei
Das ist natürlich so etwas von letztes Jahrhundert. Kommunisten? Wo gibt es die denn noch? Ja klar, es gibt noch kommunistische Parteien, aber die spielen doch keine Rolle. Er meint wahrscheinlich „linke Partei“. Was zeigt, dass er wenig Ahnung von Griechenland hat, denn hinter Syriza stecken vor allem Leute, die der Meinung sind, dass es ein Weiter so nicht mehr geben kann und darf. Lieber verbünden sie sich mit Nationalpopulisten als mit anderen Linken. Und wenn die Griechenlinken dem Russen Putin schöne Augen machen, dann ist das einfach eine nachvollziehbare Drohung an die EU: Helft Ihr uns nicht, helfen uns vielleicht die Anderen. Die deutschen Linken mögen Putin ja übrigens auch, nicht weil er und die heutigen Russen so gute Kommunisten sind, sondern weil sie die Amerikaner und die amerikafreundlichen Deutschen ärgern wollen.
Die spielen sich auf, waren vorher nichts
Jedenfalls waren die meisten der Griechen, die heute politisch an der Macht sind, vorher keine Politiker gewesen. Deshalb, genau deshalb sind sie gewählt worden. Das ist Demokratie. In Island war es ähnlich, fanden damals alle toll. Ich auch, und ich finde es immer noch toll.
Die tricksen die Troika aus, weil sie nicht mehr kontrolliert werden wollen. Ohne Wirtschaftsprüfer gibt es aber keinen Kredit.
Die Troika als Wirtschaftsprüfer zu bezeichnen, ist eine arge Beschönigung. Die Troika war eher eine Art Interimsmanager, die angeblich regierenden Griechen hatten nichts zu melden. Die Troika, und damit, so hart es klingt, wir haben uns aufgeführt wie Insolvenzverwalter, aber ein ordentliches Insolvenzverfahren verschleppt. Wenn ein Unternehmen in Schieflage gerät und Insolvenz beantragt, so wird, wenn es sich noch lohnt, ein Insolvenzverwalter bestellt. Dieser trifft unpopuläre Entscheidungen und führt, notfalls mit Gewalt, eine Einigung mit den Gläubigern her. Danach, und das ist der Punkt, sind die Schulden weg, und wenn es ein Konzept für den Weiterbetrieb gibt, lebt die Firma weiter. Typischerweise lassen die Alteigentümer dabei ordentlich Federn, die Gläubiger schreiben einen Großteil der Forderungen ab, aber oft bleiben Marke, Produkte und Arbeitsplätze bestehen. Das ist der entscheidende Unterschied.
Wie die jetzt auftreten, ist eine Frechheit: Halten die Verträge nicht, die sie selbst geschlossen haben
Nun ja, das ist ja nicht ganz falsch. Daß man für Dinge in Regress genommen wird, die die eigenen Landsleute zu verantworten haben, selbst wenn man nicht den Hauch einer Chance gehabt hatte, das zu verhindern, wissen wir in Deutschland recht gut: Es gibt heute bereits Urgrosseltern, die nach dem Dritten Reich geboren wurden. Andererseits ist es aber auch nicht richtig: Diese Verträge haben nicht sie geschlossen. Wie Herr Tzipras so treffend bemerkte, er stand voll ohnmächtiger Wut als Demonstrant vor dem griechischen Parlament und hielt Schilder hoch. Seiner politische Einstellung gegen diese Verträge verdankt er, dass er jetzt Ministerpräsident ist. Ob er dafür wirklich dankbar ist, weiss ich nicht. Vielleicht steht er ja auch nur ganz altdeutsch „da und kann nicht anders“. Und damit ist das alles auch keine „Frechheit“. Was macht ein Unternehmen, das sich in der Schieflage von seinem Management getrennt hat? Schreibt einen Brief „Wir sind unter neuer Führung“ und verhandelt erst mal alle Verträge neu. Allerdings wird in der Wirtschaft nicht so lang gefackelt wie in der Politik, da ist meist noch mehr Substanz, auf die sich die neue Führung stützen kann.
Sollen erst mal was arbeiten, dann sehen wir weiter
Nun, das tun sie ja. Sie stellen tausende Menschen wieder ein, die derzeit arbeitslos rumsitzen. Sie wissen nicht, wie sie sie bezahlen können, aber sie mit Sozialhilfe fürs Nichtstun zu bezahlen wäre ja kaum ökonomisch. Was den Besserwisser vor mir auch aufregt, er weiss ja, daß denen ihre Beamten nichts tun. Sagt ein deutscher Beamter. Naja.
Schäuble sieht alles skeptisch, aber die Griechen wollen ja nicht hören
Ich erinnere mich dunkel, dass diese Haltung von Herrn Schäuble beim letzten Mal dazu geführt hat. dass den Griechen neue Kredite aufgezwungen wurden, anstatt mit ihnen einen anständigen Rückzug aus dem Euro zu versuchen. Ja, aufgezwungen, viele Griechen wollten das Geld nicht. Sie hatten exakt dasselbe Gefühl wie wir, wenn wir hören, welche Verpflichtungen unsere Regierung eingeht: Mindestens ein flaues Gefühl im Magen. Und wofür das Ganze? Um erst die eigenen Banken vor dem GAU zu bewahren. Und auch, weil alle derzeit die Hosen richtig voll haben, dass mit dem Austritt Griechenlands aus dem EURO einfach nur neue Schlusslichter entstehen, die dann wie eine Reihe Dominosteine einer nach dem anderen die Rolle Griechenlands übernehmen. Wenn dann irgendwann alle austreten, die eine weichere Währung bräuchten, schrumpft das Eurokerngebiet gewaltig und viele Vermögen verwandeln sich in Luft.
Wir wissen doch alle seit Jahren, dass die Griechen pleite sind, aber immer wieder gelingt es ihnen, uns reinzulegen.
Zum reinlegen gehören zwei, meistens. Wenn wir das seit Jahren wissen, wieso schieben wir immer wieder Geld nach? Ich bin entsetzt, wie lang ich selbst schon zu dem Thema schreibe. Und wenn ich das weiß, dann sollten es die doch erst recht wissen, die in der Politik tätig sind! Wir sehen, dass es mit Griechenland bergab geht, da hilft die ganze Schönrechnerei nichts. Wir wissen, dass die Pro-Kopf-Verschuldung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, auf zwei Arten gesenkt werden kann. Man zahlt Schulden zurück (davon war nie die Rede beim Thema Griechenland), oder man wartet, bis das BIP im Keller ist. Und wenn eine Bank auf solche Daten hin Kredite vergibt, dann ist das Teilnahme an Insolvenzverschleppung. Bei Unternehmen jedenfalls. Und das nennen wir „reingelegt werden“?
Es gibt nur eine Lösung: Die EU muss darauf bestehen, dass diese Wahl für ungültig erklärt wird. Bis dahin gibt’s einfach kein Geld mehr.
Oh je. Da sind wir also schon. Einmarsch oder was? Das soll die einzige Lösung sein? Das ist keine. Aber es gibt es eine Lösung, die funktioniert einhundertprozentig. Das Problem läßt sich mit einem Handgriff lösen. Wo ist es nun gleich wieder? Ach ja, hab es schon. Das Produkt heißt Bose Acoustic Noise Cancelling headphones, ein Weihnachtsgeschenk von meiner lieben Frau, das mir jetzt das Leben retten muss. Henry Purcell, „Dido and Aneas“ aus dem Computer auf die Ohren und ich muss diesem aufgeblasenen überheblichen Kerl nicht mehr zuhören.
Den Griechen hilft das nicht, aber mir.