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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Dienstag 17. Juni 2008

Es war in Europa leichter, zwölf Währungen abzuschaffen, als eine Steuer.
Dr. Thomas Borer-Fielding, Schweizer Botschafter in Deutschland

 

Irlande – douze points

EU-FlaggeAnd here are the results of the Irish jury: EU zero points.

Autsch. Die Eurokraten sind geschockt – das darf doch nicht wahr sein, wie konnten die Iren uns das antun? Andererseits: Ein bisschen Neid ist auch dabei. Die Iren konnten sich also an einer Stelle äußern, an der wir Deutschen nicht mitreden dürfen. Und den anderen Europäern erging es ähnlich: Wieder sollte ein großes Stück Souveränität aufgegeben werden. Aber, wie das irische Beispiel zeigt, jedenfalls nicht kampflos. Hätten die Deutschen anders gestimmt, wären sie gefragt worden? Die Spanier? Die Briten? Aber nun herrscht Katzenjammer. Wie sich die Bilder gleichen, irgendwo wird abgestimmt, der EU wird die Ermächtigung versagt, und alle Kommentatoren titeln „Europa am Ende“.

Unterkühlter schreibt der Stern

Irland fordert Respekt vor seinem Nein

Mit ihrem Nein zum EU-Reformvertrag haben die Iren die Europäische Union in eine schwere Krise gestürzt. Zudem fordert das Land Respekt vor der Entscheidung seiner Bürger. Bei ihrem Treffen in Luxemburg haben die Außenminister der 27 EU-Staaten deshalb alle Hoffnungen auf eine rasche Lösung vorsichtshalber gedämpft.

Vielleicht steht hier die Lösung des Problems, direkt vor unseren Augen? Die Iren fordern Respekt vor ihrer Entscheidung. Nicht Verständnis, nicht Unterstützung, nein, lediglich Respekt.

Wer nun den Iren Vorwürfe macht, hat die Demokratie nicht begriffen. Der Vorschlag, dann eben ohne die Iren weiterzumachen, läßt sich nur als menschliches Versagen bezeichnen. Zuhören heisst die Devise: Was hat die Iren gestört? Vielleicht ist es ja auch das, was uns stört? Der Grund, wieso alle peinlichst darauf achten, daß hier niemand erfolgreich auf die Idee kommt, eine Volks­ab­stim­mung zu diesem Thema zu machen?

Vielleicht geht diese Europa-Idee inzwischen zu weit? Vermutlich findet es jeder gut, dass wir ohne Grenzkontrollen im größten Teil der EU reisen können. Dass wir wohnen können, wo wir wollen. Dafür nehmen wir in Kauf, dass auch bei uns von den europäischen Mitbürgern wohnen kann, wer will – die befürchtete Völkerwanderung blieb bei uns aus. Auch schön, dass man gegen Ende eines Urlaubs nicht noch sinnlose Souvenirs kauft, nur weil man sein „Fremdgeld“ noch nicht auf­ge­braucht hat. Das finden wir immer noch gut, selbst wenn wir das mulmige Gefühl nicht loswerden, dass es ein Fehler war, die Währungs­politik outzusourcen. Immerhin haben wir die Italiener an Bord, oder, schlimmer noch, die Griechen, für die Inflation normal war. Vielleicht halten wir uns auch nur deshalb bedeckt, weil wir selbst vom Hart­währungs­land zum Maastricht-Zitter­kan­di­daten abgestiegen sind?

Jedenfalls, mit diesem Europa, das wir haben, haben wir uns weitgehend arrangiert. Aber bevor die nächste Stufe erklommen wird, sollten vielleicht doch noch einmal prinzipielle Fragen des Selbst­ver­ständ­nisses geklärt werden: Wer hat sich denn nun ausgedacht, dass es nur alles im Bündel gibt? Dass die Vorteile einer gemeinsamen Währung haben zu wollen auch heißt,  alle Normen, Ansichten wie Abmessungen, immer gleich europaweit einzuführen? Haben wir nicht gleichzeitig, gerade eben, erlebt, dass die grossen Blöcke eher auseinanderfallen? Jugoslawien? die Tschechoslowakei? die Sowjetunion? Die Katalonier wollen autonom werden, die Basken sowieso. Bayern ist in dieser Hin­sicht etwas ent­täuschend – möglicherweise bekommen wir bereits seit Generationen etwas ins Bier gemischt, das uns friedlicher stimmt. Das wiederum könnte einer der Gründe sein, wieso die EU erfolgreich das deutsche Reinheitsgebot gekippt hat.

Wenn wir Bayern also schon stimmungsmäßig Schwierigkeiten haben, uns mit den Preussen in dem Konstrukt Deutschland zu arrangieren, wie soll das in einem derart heterogenen Geflecht „Europa“ funktionieren? Doch nur durch Behutsamkeit, durch Respekt vor den anderen, durch gegenseitige Anerkennung. Nicht jedenfalls durch Gleichmacherei und kulturelle Ignoranz. Das Reinheitsgebot war keine Ausnahme. Highlights waren:

  • Das Reinheitsgebot (bereits erwähnt, Hintergründe z.B. bei bierundwir.de)
  • Die Abschaffung der italienischen Nudeln. Diese waren früher ausschließlich aus Hartweizengries und ohne Eier hergestellt. Widerspricht dem Einheitsbrei, abgeschafft.
  • Das Ende der Marmelade. Weil die Engländer Marmelade nur mit Zitrusfrüchten kennen, dürfen auch nur noch Zitronenmarmelade und Orangenmarmelade Marmelade heißen. Daher heißt es bei uns nun „Konfitüre“ und in Östereich „Jam“. Die Menschen sagen natürlich „Marmelade“, aber es steht nicht mehr auf dem Glas.
  • Der Chiquita-Krieg. Protektionismus für französische Bananen – „europäische“ Bananen hätte es ohne das französische Kolonialerbe natürlich nicht gegeben.
  • Der Krümmungswinkel von Gurken. Diese müssen gut geformt und praktisch gerade sein (maximale Krümmung: 10 mm auf 10 cm Länge der Gurke). Nachzulesen unter  Verordnung (EWG) Nr. 1677/88 der Kommission vom 15. Juni 1988 zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken (Amtsblatt Nr. L 150 vom 16/06/1988 S. 0021 – 0025, Finnische Sonderausgabe: Kapitel 3 Band 26 S. 0207, Schwedische Sonderausgabe: Kapitel 3 Band 26 S. 0207). Auch wenn die EUkraten entsetzt darauf hinweisen, dass man sie missverstehe, dass es hier das Ziel eine Vereinheitlichung von Normen war, so geht das doch unter im dröhnenden Gelächter.

Das waren jetzt handverlesene Beispiele zu Nahrung und Tradition. Die Beispiele erheben keinen Anspruch auf Fairness. EU-Hasser können jederzeit weitere Beispiele zitieren, teilweise verzerrt, teilweise sogar falsch. Als Ente hat sich beispielsweise herausgestellt, dass Kondome EU-weit normiert wurden, die Astlöcherverordnung hingegen hat es gegeben. Nachzulesen im Tagesspiegel:

Eine Richtlinie von 1968 zur Sortierung von Rohholz hat die EU Mitte Februar im Kampf gegen zu viel Bürokratie abgeschafft. Trauer empfindet höchstens die Holzwirtschaft. Denn darin war Rohholz als „gefälltes, entwipfeltes und entastetes Holz“ definiert, „auch wenn es entrindet, abgelängt oder gespalten ist“. Zu Astlöchern hieß es: „Die Abholzigkeit wird in Zentimetern mit einer Dezimalstelle pro Meter ausgedrückt.“

Wieviel schlimmer ist es wohl in Bereichen, wo nicht zumindest jeder theoretisch mitreden könnte? Wer versucht, sich einzulesen, rennt gegen übermannshohe Mauern aus Leitzordnern an, bildlich gesprochen. In den Ordnern: Wortgetöse. Banalitäten, Selbstverständlichkeiten, Phrasen, direkt neben wichtigen Dingen, die durchaus interessant gewesen wären zu wissen. Eine kleine Leseprobe:

Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 22. Mai 2008 über die Beteiligung junger Menschen mit geringeren Möglichkeiten

Der Rat der Europäischen Union und die im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten ersuchen die Mitgliedstaaten und die Kommission, (…) jungen Menschen in besonders prekären Situationen bei der Umsetzung der Ziele der Lissabon-Strategie und des Europäischen Pakts für die Jugend hohe Priorität einzuräumen und ihnen im Rahmen der Ausgestaltung ihrer nationalen Flexicurity-Strategien besondere Beachtung zu schenken

Der Rat beschließt, den Staaten etwas ans Herz zu legen. Junge Menschen in prekären Situationen. Und alle sollen ihre nationalen Flexicurity-Strategien in Einklang bringen. Gerne. Machen wir. Was um Himmels willen ist „Flexicurity“?

Das hat sich die EU ausgedacht. Aber sie liefert auch den Versuch einer Erklärung, findet man ja alles, wenn man nur neugierig ist. Als Teil der europäischen Beschäftigungsstrategie findet man:

Das Flexicurity-Modell ist ein vollkommen neuer Weg, Flexibilität und Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt miteinander in Einklang zu bringen. Im Zuge der Globalisierung und des technologischen Fortschritts ändern sich die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und Unternehmen ständig. Produkte und Dienstleistungen müssen immer schneller angepasst und weiterentwickelt werden. Wer auf dem Markt bestehen will, muss seine Produktionsverfahren kontinuierlich verbessern und seine Mitarbeiter entsprechend fortbilden. 

Flexicurity ist ein Versuch, zwei grundsätzliche Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen. Diese Kombination aus flexiblen Arbeitsmärkten und einem hohen Grad an Beschäftigungs- und Einkommenssicherheit könnte die Antwort auf das Dilemma der EU sein, wie die Wettbewerbsfähigkeit bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des europäischen Sozialmodells gewährleistet und erhöht werden kann.

Mit diesem Konzept bewegen wir uns weg vom bisherigen Denken in Dimensionen der Arbeitsplatzsicherheit hin zu einer Dimension der Beschäftigungssicherheit. Es geht nicht mehr um den Schutz von Arbeitsplätzen, sondern vielmehr um den Schutz von Menschen. Die Förderung flexibler Arbeitsmärkte und eines hohen Grades an Sicherheit kann jedoch nur dann Erfolg haben, wenn die Arbeitnehmer auch in die Lage versetzt werden, sich den ständigen Veränderungen anzupassen, auf dem aktiven Arbeitsmarkt zu bleiben und in ihrem Arbeitsleben voranzukommen. Aktive Arbeitsmarktstrategien, lebenslanges Lernen, eine individualisierte Betreuung der Arbeitssuchenden, Chancengleichheit für alle und die Gleichbehandlung von Männern und Frauen sind daher Schwerpunkte des Flexicurity-Modells.

Das ist jetzt ein bisschen gekürzt. Aber viel mehr steht da nicht. Ein Kabarettist macht aus diesem Text ein komplettes Abendprogramm, mir hingegen bleibt das Lachen im Hals stecken. Wenn das das ist, was die EU als komplett neuen Weg ansieht, dann verstehe ich, dass die Iren derzeit lieber ihren eigenen Weg gehen wollen. Und das gilt vielleicht für alle Menschen in Europa, die nicht

irgendwo einen Job bei der Eurokratie haben?

 

2 Kommentare zu “Irlande – douze points”

  1. SvB-Blog » Blogarchiv » Die Rettung Europas sagt:

    […] Haben wir gestern also zu Unrecht den Iren Respekt versprochen für ihre Entscheidung? Ursprünglich hätte heute an dieser Stelle eine kritische Beleuchtung der Europagegner stehen sollen. Ihre Demagogie zu entlarven, ihre selbstsüchtigen Argumente bloß zu stellen. Es ist so einfach, mit Gurken und Bananen die grossen Errungen schaften der EU ins Lächerliche zu ziehen. Aber dann dieses Desaster: Die EU “schafft die Glühbirnen ab”. Europaweit. […]

  2. SvB-Blog » Blogarchiv » Der Gurkenkönig sagt:

    […] Diese Vorschrift wurde nun zum 1.7.2009 beerdigt. Mit ihrer Einführung hatten sich die Eurokraten einen Bärendienst erwiesen, die Gurkenkrümmer wurden eben genau zu dem Symbol einer überbordenden Einmischungspolitik. Dem sei nicht so, ließen die Eurokraten erschrocken verlautbaren, das Ziel sei lediglich die vom Handel geforderte Harmonisierung gewesen. Um das zu verstehen, muß man wissen, daß Europäer mit “Harmonisierung” einen wunderbaren Euphemismus für Gleichmacherei gefunden haben. Verwaltungstechnisch praktisch – schon die Römer achteten auf einheitliche Normen im ganzen Römischen Reich. Aber kulturell unschön, wie man an dieser Stelle schon einmal europakritisch lesen konnte. […]

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