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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Mittwoch 1. Juli 2009

Wer bist Du, der Du auf solchen Sitz hinauf willst, um von tausend Meilen weither zu richten, mit nur einer handbreitkurzen Sicht?
Dante Alighieri

 

Der Gurkenkönig

gg-logoChristine Nöstlinger hat ein bekanntes Kinderbuch geschrieben, „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“. Ich mochte es als Kind nicht. Es war etwas tendenziös, der König war zu fies und die Kinder zu respektlos. Vielleicht war ich als Kind auch zu royalistisch, um für die Botschaften dieses Buchs empfänglich zu sein, wer weiß.

Übrig blieb für mich nur der Name, „Gurkenkönig“, nachdem sich die Handlung längst hinter den gnädigen Schleier des Vergessens zurückgezogen hatte. Und genau daran mußte ich nun denken, verrückte Assoziation. So wie der Gurkenkönig ein Zerrbild einer Autokratie vermittelte, so vermittelt die Gurke an sich das Zerrbild der Bürokratie. Jährlich werden Tonnen und Abertonnen von einwandfreiem Gemüse weggeworfen, weil sie bestimmte Normen nicht erfüllen. Dabei geht es lediglich um die Form: Gurken mußten jahrelang stangengerade sein, sonst wurden sie vernichtet.

Es geht um diese Norm:  Verordnung (EWG) Nr. 1677/88 der Kommission vom 15. Juni 1988 zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken (Amtsblatt Nr. L 150 vom 16/06/1988 S. 0021 – 0025, Finnische Sonderausgabe: Kapitel 3 Band 26 S. 0207, Schwedische Sonderausgabe: Kapitel 3 Band 26 S. 0207). Normalerweise heißt es ja, daß Lesen bilde, aber hier reicht eigentlich schon die Überschrift.

Diese Vorschrift wurde nun zum 1.7.2009 beerdigt. Mit ihrer Einführung hatten sich die Eurokraten einen Bärendienst erwiesen, die Gurkenkrümmer wurden eben genau zu dem Symbol einer überbordenden Einmischungspolitik. Dem sei nicht so, ließen die Eurokraten erschrocken verlautbaren, das Ziel sei lediglich die vom Handel geforderte Harmonisierung gewesen. Um das zu verstehen, muß man wissen, daß Europäer mit „Harmonisierung“ einen wunderbaren Euphemismus für Gleichmacherei gefunden haben. Verwaltungstechnisch praktisch – schon die Römer achteten auf einheitliche Normen im ganzen Römischen Reich. Aber kulturell unschön, wie man an dieser Stelle schon einmal europakritisch lesen konnte.

Nun gut, in dubio pro reo, die Gurkenkrümmer wollten also vielleicht wirklich nur etwas einführen, was dringend benötigt wurde. Aber dann entzieht es sich völlig der Vorstellungskraft, wieso diese legendäre Norm einfach sang- und klanglos gestrichen werden konnte? Der Handel läuft Sturm – nun weiß man nicht mehr automatisch, wieviele Gurken in eine Kiste passen. Die Bauernlobby ist ebenfalls verständnislos, was vielleicht daran liegt, daß deutsche Gurkenbegradigungstechnik der ausländischen überlegen ist. Die Verbraucher hingegen weinen der Norm keine Träne nach. Vielleicht hat sich inzwischen ja auch die Meinung durchgesetzt, daß die Krümmung einer Gurke ungleich weniger wichtig ist, um als „Handelsklasse 1 A“ oder so bezeichnet zu werden, sondern schlicht und einfach

ihr Geschmack.

Bildquelle: www.giftige-gurke.de

 

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