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Die Freiheit der Meinung setzt voraus, daß man eine hat (Heinrich Heine)

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Sonntag 28. Februar 2010

Der Schwache zweifelt vor der Entscheidung, der Starke danach.
Karl Kraus

 

Der Kaktus

Es gibt Dinge, die vergißt man nie. Vor einigen Jahren hatte ein sadistischer brutaler Entführer einen kleinen Buben entführt. Er wollte von den Eltern, einer Bankiers­familie in Frankfurt, Geld erpressen, wurde geschnappt und weigerte sich, das Versteck des Buben zu offenbaren. Was gab es nun für Möglichkeiten, das Leben des Buben zu retten? Opferte man das Kind oder opferte man die rechts­staatlichen Prinzipien? Folterte man den Entführer in der Hoffnung, doch noch Aufschluß über das Versteck zu bekommen oder ließ man zu, daß immer mehr Zeit verstrich, Zeit, die die Über­lebens­wahr­schein­lich­keit des Kindes ständig reduzierte?

Eine klare Lösung gab es nicht. Was man auch entschied, es mußte falsch sein. Das ist der Grund, wieso mir diese schlimme Geschichte so im Gedächtnis geblieben ist. Wie ging es damals aus? Ein Opfer wurde gebracht, der Polizei­vize­präsi­dent Daschner wies einen untergebenen Haupt­kommissar an, dem Entführer mit Folter zu drohen. Der Haupt­kommissar gehorchte. Beiden ist hoch anzurechnen, daß sie von Anfang an die Ver­ant­wortung über­nommen haben und die Sache nicht von irgend­einem namen­losen Polizei­ober­meister ausführen ließen. Besonders tragisch war natürlich, daß das Opfer umsonst war – der Bub war längst tot.

Das ist der Stoff, aus dem die alten Griechen ihre Tragödien schufen. Stücke, in denen der tragische Held von den Göttern zu einer Entscheidung gezwungen wird, die in jedem Fall falsch sein muß. Das Urteil im Fall Daschner fiel milde aus, im Namen des Volkes, wobei „das Volk“ vermutlich einen Freispruch vorgezogen hätte. Was wiederum für Herrn Daschner wünschens­wert gewesen wäre, nicht jedoch für den Rechtsstaat. Wobei wir am Ende des Bogens angekommen sind, bei einer Empfehlung für ein Theaterstück:

Wollten Sie sich einmal grundsätzliche Gedanken über Folterung machen, über das Auf­ein­ander­treffen von Ethik und Ratio, über den Miß­brauch von Befehls­strukturen und die dünne Struktur des Eises, auf dem sich unser aller rechts­staatliches Empfinden bewegt, wenn es denn mal konkret auf die Probe gestellt wird? Und sich, das ist das besondere daran, dabei gleich­zeitig königlich amüsieren, ja, wollen Sie dabei lauthals lachen? Auch wenn einem dieses Lachen manch­mal im Hals stecken bleibt – es ist möglich. Es geht wirklich. Die groß­artige Juli Zeh hat ein Theater­stück geschrieben, das derzeit im Münchener Volks­theater zu sehen ist, auf der kleinen Bühne, ganz intim. Es heißt „Der Kaktus„, auch wenn unbegreiflicherweise auf dem Plakat eine Ananas zu sehen ist. Vielleicht gab es kein frei verwendbares Bild von einem Kaktus in der Bilddatenbank der Agentur?

Egal, das Stück ist ausgezeichnet inszeniert, ausgezeichnet gespielt, angeregte Gespräche danach sind garantiert. Schauen Sie es sich an und wenn Sie es nicht anschauen können,

lesen Sie es vielleicht…

Bildquelle: Münchener Volkstheater

 

2 Kommentare zu “Der Kaktus”

  1. Detlev Beutner sagt:

    Es gibt Dinge, die werden nie vergessen. Und seien sie historisch noch so falsch. ZB, dass Herr Daschner sich in einer Tragödie befunden habe, er sich nicht hätte richtig verhalten können. Unter http://www.stop-torture.de/resolution.html ist nachlesbar (und nachvollziehbar), dass genau diese Darstellung jeder Grundlage entbehrt. Zum Verhalten selbst: Daschner hat etwa die Konfrontation des Täters mit der Schwester des Opfers verhindert, um sein geschnürtes Folterpäckchen auch bloß nicht in Gefahr geraten zu lassen (http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,329131,00.html). „Das Urteil im Fall Daschner fiel milde aus“ ist sehr zurückhaltend formuliert. Auch wenn es ein „Urteil“ gab, gab es nämlich keine „Verurteilung“ von Daschner, sondern eine sogenannte „Verwarnung mit Strafvorbehalt“ – weder rechtlich noch moralisch rechtfertigbar, aber, das ist das wirklich Tragische an der Geschichte, das „gesunde Volksempfinden“ hatte sich hier durchgesetzt – wie seinerzeit von Brugger vorhergesehen /-gewünscht.

    Das Markus Gäfgen Jakob von Metzler umgebracht hat, dass diese Tat selbst völlig furchtbar ist – alles keine Frage. Aber wieso „sadistisch“? Wieso muss die Seele hier etwas dazuerfinden, was jeder Grundlage entbehrt? Ist das Thema so heikel, dass nüchterne Korrektheit nicht drin ist? Auch Jahre später nicht? Tragisch…

  2. agc sagt:

    SvB läßt meiner Ansicht nach keinen Zweifel daran, daß Folter und Rechtsstaat eben nicht in Einklang zu bringen sind.

    Dass der Kommentar Beutners nüchtern sei, kann ich wiederum nicht sehen. Das wirkt wie Propaganda. Er wollte wohl vor allem seinen Link auf die Resolution unterbringen.

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